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Rede im Europarat zum Thema Schutz von Menschen mit psychosozialen Behinderungen vor ungerechtfertigten Menschenrechtsverletzungen

In meiner Rede habe ich deutlich gemacht, wie wichtig es ist, dass die parlamentarische Versammlung die Rechte für Menschen mit Behinderungen stärkt. Ich unterstütze die Intention des Berichtes "Die Gründe gegen ein Rechtsinstrument des Europarates im Hinblick auf unfreiwillige Maßnahmen in der Psychiatrie", Menschen mit psychosozialen Behinderungen vor ungerechtfertigten Menschenrechtsverletzungen zu schützen, teile aber nicht seine Empfehlungen. Als Gesundheitspolitikerin weiß ich, wie schwer die Abwägung zu dieser Fragestellung in den nationalen Parlamenten ist. 

 


Parlamentarische Versammlung des Europarats

SITZUNGSPERIODE 2016 (2. Teil)

18. Sitzung

Freitag, 22. April 2016, 10.00 Uhr

Mechthild RAWERT, Deutschland, SOC

"Die Gründe gegen ein Rechtsinstrument des Europarates im Hinblick auf unfreiwillige Maßnahmen in der Psychiatrie" - “The case against a Council of Europe legal instrument on involuntary measures in psychiatry” (Dok. 14007)

Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich bedanke mich herzlich für diesen vorliegenden Bericht, denn es ist wichtig, dass die parlamentarische Versammlung die Rechte für Menschen mit Beeinträchtigungen, die Rechte für Menschen mit Behinderungen stärkt.

Mit dem Bericht von Carmen Quintanilla zum Thema Gleichstellung und Inklusion für Menschen mit Behinderungen hat die parlamentarische Versammlung bereits ein Meilenstein für die Stärkung der Rechte für Menschen mit Beeinträchtigungen gesetzt.

Die Stärkung des Menschenrechtsansatzes durch die Menschenrechtskonvention ist der richtige Ausgangspunkt.

Ich unterstütze die Intention des Berichtes, Menschen mit psychosozialen Behinderungen vor ungerechtfertigten Menschenrechtsverletzungen zu schützen, teile aber nicht seine Empfehlungen.

Meiner Meinung nach sollte die Diskussion um das Zusatzprotokoll fortgesetzt und dabei berücksichtigt werden, dass medizinisch indizierte Zwangsbehandlungen selbstverständlich auf keinen Fall leichtfertig entschieden werden.

Wir stehen vor der Herausforderung, die nicht diskriminierenden Grundsätze der UN-Behindertenrechtskonvention mit den Bestimmungen der Gesundheitsversorgung für Menschen mit psychosozialen Beeinträchtigungen und den Menschenrechtsbestimmungen in den unterschiedlichen Mitgliedsländern in Einklang zu bringen.

Im Kern geht es um die Frage, ob Eingriffe in die Freiheitsrechte akut und psychisch schwer erkrankter Menschen zu deren Schutz oder zur Abwehr von Selbstgefährdung zulässig und mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar sind.

Es gibt hierzu unterschiedliche Auslegungen, ob die Konvention grundsätzlich gegen den natürlichen Willen gerichtete Maßnahmen verbietet, die an eine krankheitsbedingt eingeschränkte Selbstbestimmungsfähigkeit anknüpfen.

Als Gesundheitspolitikerin weiß ich, wie schwer die Abwägung zu dieser Fragestellung in den nationalen Parlamenten ist. Eine Behandlung gegen den ausdrücklichen Willen eines Menschen stellt einen erheblichen Grundrechtseingriff dar.

Allerdings kann das Fehlen einer solchen Möglichkeit im Rahmen des Betreuungsrechtes dazu führen, dass die Betroffenen selbst einen gesundheitlichen Schaden nehmen.

Wir haben in Deutschland einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt und uns war es besonders wichtig, einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Recht auf freie Selbstbestimmung und dem Schutz vor einer erheblichen gesundheitlichen Gefährdung für sich selbst und/oder für andere zu finden.

So ist in Deutschland die Durchführung medizinischer Zwangsbehandlungen und -maßnahmen nur mit und nach einer richterlichen Genehmigung möglich. Zwangsmaßnahmen dürfen nur das letzte Mittel, die Ultima Ratio, zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens sein, der durch keine andere zumutbare Maßnahme abgewendet werden kann.

Vor einer Anordnung muss versucht werden, die betroffenen Menschen von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen, um eine freiwillige Zustimmung zur Behandlung zu erreichen.

Es gibt Mitgliedsstaaten, die bislang über keine nationalen Vorschriften zur unfreiwilligen Unterbringung verfügen und daher existiert hier große Rechtsunsicherheit. Deswegen müssen große Anstrengungen unternommen werden, um eine Rechtslage zu schaffen, die eine willkürliche Freiheitsentziehung ausschließt.

Darum empfehle ich, dass auf jeden Fall Interessenvertreterinnen und –vertreter von NGOs bei allen Beratungen dabei sind.

Darüber hinaus müssen die Rechtssysteme auch Menschen mit Behinderungen anhören, denn es gilt auf jeden Fall: Nichts über uns ohne uns!

Fotos: Felix Zahn Copyright: ©Council of Europe