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Bundesteilhabegesetz: Menschen mit Behinderungen ein eigenständigeres Leben ermöglichen

Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, hat am 26. April 2016 den Referentenentwurf "Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG)" in die Ressortabstimmung sowie zur Länder- und Verbändebeteiligung gegeben. Die Anhörung des Ministeriums soll am 24. Mai stattfinden. Das Bundeskabinett soll den Gesetzentwurf im Juni oder Juli beschließen. Inklusive der Begründung umfasst das Dokument mehr als 360 Seiten.

EINLADUNG zur FvO-Veranstaltung am 31. Mai 2016

Wer mehr über das Bundesteilhabegesetz erfahren möchte, ist am 31. Mai, abends, herzlich zur Fraktion-vor-Ort-Veranstaltung von Kerstin Tack, Behindertenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, und mir eingeladen. ImpulsgeberInnen sind auch VertreterInnen aus der Betroffenen-Community. Weitere Informationen erhalten Sie in Kürze auch auf meiner Website.

Das BTHG ist ein sozialpolitischer Meilenstein

Bundesministerin Andrea Nahles (SPD) sprach von einer der „größten sozialpolitischen Reformen in dieser Legislaturperiode“. Nach Angaben des BMAS profitieren von den Gesetzesänderungen rund 16,8 Menschen mit bestehenden oder drohenden Behinderungen sowie 7,5 Millionen Menschen mit Schwerbehinderungen.

Mit dem sogenannten Bundesteilhabegesetz wird die Behindertenpolitik in Deutschland im Einklang mit der Behindertenrechtskonvention (BER) der Vereinten Nationen weiterentwickelt. Gleichzeitig werden Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode umgesetzt. Kernziele sind, mehr Selbstbestimmung und umfangreichere Teilhabe sicherzustellen sowie in Zukunft staatliche Leistungen wie aus einer Hand zu gewähren. Dem Grundsatz „nichts über uns - ohne uns“ folgend, hatte das Bundesministerium vorab einen umfassenden Beteiligungsprozess in einer „Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz“ durchgeführt. Dieser ist auf www.gemeinsam-einfach-machen.de dokumentiert.

Die BER verlangt, dass die Hilfe für Menschen mit Behinderungen nicht nur als Fürsorge gewährt wird, sondern als Chance zur umfassenden gesellschaftlichen Teilhabe begriffen wird. Nach dem neuen Gesetz

  • sollen diese beispielsweise selbst wählen dürfen, wo und wie sie wohnen und der Bezug von Sozialleistungen soll außerdem nicht mehr an die Wohnform gekoppelt werden, sondern sich am jeweiligen individuellen Bedarf ausrichten,
  • sollen Arbeitgeber einen Teil des Gehaltes über ein „Budget für Arbeit“ erhalten können, wenn sie jemanden mit Behinderung einstellen. Menschen mit Behinderungen sollen dadurch leichter einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt erhalten,
  • soll die sogenannte Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung ab 2020 gänzlich von den sogenannten Fachleistungen getrennt werden. Bis dahin soll es hinsichtlich der Anrechnung von Einkommen und Vermögen auf die Behindertenhilfe, die bislang als Sozialleistung gilt, Verbesserungen in mehreren Schritten geben: Ab 2017 sollen der Einkommensfreibetrag um 260 Euro, der Vermögensfreibetrag auf 25.000 Euro angehoben werden; ab 2020 soll ein Vermögensfreibetrag von 50.000 Euro gelten - bislang liegt dieser bei gerade einmal 2.600 Euro.

Der Gesetzentwurf liegt dem Deutschen Bundestag noch gar nicht vor. Dennoch erreichen uns bereits jetzt erste Veränderungswünsche. Wir Abgeordnete werden noch viel zu tun haben, um den unterschiedlichen Interessen gerecht zu werden.

Fakten zum Bundesteilhabegesetz

1. Mehr möglich machen

Mit dem BTHG-Gesetzentwurf wird ein Rahmen für eine bessere Teilhabe von Menschen mit Behinderungen durch mehr Selbstbestimmung und Unterstützung zur individuellen Lebensplanung geschaffen. Nach dem Motto „nichts über uns ohne uns“ wurde der Entwurf auf der Grundlage eines  achtmonatigen Beteiligungsprozesses unter Einbeziehung von Betroffenenverbänden, Ländern, Kommunen und Sozialpartnern erstellt. Im Mittelpunkt der Stärkung des Teilhaberechts im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) steht der Mensch mit seinen behinderungsspezifischen Bedarfen.

Die individuelle Selbstbestimmung und die Teilhabe am Arbeitsleben werden durch die Reform der Eingliederungshilfe verbessert. Dafür wird die Eingliederungshilfe personenzentriert weiterentwickelt und aus dem „Fürsorgesystem“ der Leistungen zum Lebensunterhalt herausgeführt.

Die Regelungen zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen werden im Sinne der Betroffenen verbessert. Übergänge in Arbeit werden durch die Schaffung von Alternativen zur Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) erleichtert und Arbeitgeber durch ein „Budget für Arbeit“ unterstützt. Gleichzeitig wird die Steuerungsfunktion der Leistungsträger verbessert und die Ausgabendynamik in der Eingliederungshilfe gebremst.

Zudem werden die verschiedenen Rehabilitationsträger zukünftig noch enger zusammenarbeiten und den individuellen Teilhabebedarf nicht einzeln, sondern gemeinsam ermitteln. Dazu wird ein für alle Rehabilitationsträger verbindlich geltendes Teilhabeplanverfahren geschaffen. Ziel ist es, Leistungen „wie aus einer Hand“ zu erbringen. Die Betroffenen können sich Rat von einer neu geschaffenen unabhängigen Beratung einholen.

2. Mehr Selbstbestimmung

Ein selbstbestimmteres Leben wird durch die Reform der Eingliederungshilfe ermöglicht. Dabei handelt es sich um individuelle Hilfen, die behinderungsspezifische Bedarfe z. B. beim Besuch einer Hochschule oder persönlicher Assistenz abdecken, um eine vollwertige Teilhabe sicherzustellen. Die Eingliederungshilfe soll konsequent personenzentriert weiterentwickelt und aus dem „Fürsorgesystem“ der Grundsicherung herausgeführt werden. Fachleistungen der Eingliederungshilfe und Leistungen zum Lebensunterhalt werden zukünftig getrennt erbracht und finanziert. Dies ermöglicht mehr Selbstbestimmung z. B. auf Grund der freien Wahl des Lebensmittelpunktes, ob in eigener Wohnung, Wohngemeinschaft oder Einrichtung. Die Unterscheidung von Leistungen in ambulante, teilstationäre und stationäre Maßnahmen der Eingliederungshilfe entfällt, ohne dabei die Möglichkeit der Unterbringung in Einrichtungen gänzlich abzuschaffen.

Zudem verbessen wir die Einkommens- und Vermögensberücksichtigung in der Eingliederungshilfe. Damit geben wir Menschen mit Behinderungen, ihren Ehe- oder LebenspartnerInnen sowie Arbeitgebern mehr finanziellen Spielraum. Bereits 2017 werden Freibeträge für Erwerbseinkommen um bis zu 260 Euro monatlich und für Vermögen von 2.600 um 25.000 Euro deutlich erhöht. In einem weiteren Schritt wird ab 2020 das bisherige System durch ein neues, an das Einkommenssteuergesetz anknüpfendes Verfahren ersetzt. Dies führt für viele zu einer Besserstellung durch eine weiter verbesserte Einkommensanrechnung, eine zusätzliche Vermögensfreigrenze von 50.000 Euro und insbesondere durch den Wegfall der Anrechnung des PartnerInneneinkommens. Damit schaffen wir mehr Freiheit und stärken die Anreize zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit.

Auch Beschäftigten in Werkstätten für behinderte Menschen wird künftig ein geringerer Teil ihres Arbeitsentgelts auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angerechnet.

3. Umfangreichere Teilhabe

Die gesellschaftliche Teilhabe und insbesondere die Teilhabe am Arbeitsleben ist - wie für viele Menschen - auch für Menschen mit Behinderungen eine grundlegende Säule eines selbstbestimmten Lebens. Diese stärken wir mit verschiedenen Maßnahmen:

Bessere Teilhabe an Arbeit schaffen wir mit mehr Übergängen in Arbeit. Durch die Zulassung anderer Anbieter neben den WfbM und die Einführung eines Budgets für Arbeit wird es mehr an der individuellen Leistungsfähigkeit ausgerichtete Beschäftigungsmöglichkeiten geben. Den vielfältigen Bedürfnissen behinderter Menschen soll dadurch Rechnung getragen werden, dass neue, näher an der betrieblichen Praxis ausgerichtete, Beschäftigungsmodelle möglich werden. Dies kann auch in Kooperation mit privatwirtschaftlichen Betrieben geschehen, so dass das Miteinander von Beschäftigen mit und ohne Behinderung als inklusive Form der Zusammenarbeit gelebt wird. Mit dem Budget für Arbeit ermöglichen wir zudem passgenaue Modelle für Menschen mit wesentlichen Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Arbeitgeber erhalten bei Einstellung von Menschen mit wesentlichen Behinderungen Lohnkostenzuschüsse von bis zu 75 % des gezahlten Arbeitsentgeltes. Ergänzend werden vom Amt die Kosten für die erforderliche Anleitung und Begleitung am Arbeitsmarkt übernommen.

Die soziale Teilhabe stärken wir durch eine Neustrukturierung, Ergänzung und Konkretisierung von verschiedenen Leistungstatbeständen im SGB IX. Insbesondere wird erstmals klarstellend ein eigener Tatbestand für Elternassistenz geschaffen. Damit erhalten Mütter und Väter mit Behinderungen die erforderlichen Leistungen bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder aus einer Hand.

Im Schwerbehindertenrecht werden die Schwerbehindertenvertretungen und Werkstatträte gestärkt: Die Mitbestimmung von Menschen mit Behinderungen in den  Schwerbehindertenvertretungen der Betriebe wird durch mehr Ansprüche auf Freistellungen und Fortbildungen verbessert. In den WfbM erhalten die Werkstatträte mehr Rechte. Für besonders wichtige Angelegenheiten (z. B. Entlohnungsgrundsätze) hat der Werkstattrat künftig ein Mitbestimmungsrecht.

Daneben wird die Position einer Frauenbeauftragten geschaffen, um geschlechtsspezifischer Diskriminierung besser entgegentreten zu können.

4. Leistungen wie aus einer Hand

Mit dem Umbau des SGB IX, Teil 1 werden die Regelungen zur Zuständigkeit und zur Einführung eines trägerübergreifenden Teilhabeplanverfahrens für alle Rehabilitationsträger verbindlich und abweichungsfest ausgestaltet. Die Bedarfsermittlung und -feststellung werden damit vereinfacht und Leistungen wie aus einer Hand erbracht. Mit Zustimmung der Leistungsberechtigten werden zukünftig auch Fallkonferenzen durchgeführt, die die Partizipation im Verfahren stärken. In Zukunft ist ein einziger gestellter Leistungsantrag ausreichend, um ein umfassendes Prüf- und Entscheidungsverfahren in Gang zu setzen.

Der Behinderungsbegriff des SGB IX wird sprachlich an die UN-Behindertenrechtskonvention angepasst.

Flankiert wird dies durch ein vom Bund gefördertes träger- und leistungserbringerunabhängiges Netzwerk von Beratungsstellen für Menschen mit Behinderung und ihren Angehörigen. In den Beratungsstellen soll auch die sogenannte „Peer Counseling-Methode“ angewandt werden. Dies bedeutet Beratung von Menschen mit Behinderungen durch Menschen mit Behinderungen.

Das Angebot setzt auf bestehenden Strukturen auf.

5. Verbesserungen für Leistungsträger

Verschiedene Maßnahmen sorgen für eine Stärkung der Steuerungsfunktion der Leistungsträger bei der Eingliederungshilfe. Durch die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für gemeinschaftliche Leistungserbringung (sog. „Poolen“) soll es ermöglicht werden, bestimmte Leistungen auch für mehrere Personen gemeinschaftlich zu erbringen. Dies erlaubt einen wirtschaftlicheren Einsatz der öffentlichen Mittel (z. B. bei SchulassistentInnen und Fahrdiensten). Klar ist dabei jedoch: Leistungen können nur „gepoolt“ werden, wenn dies für den Betroffenen zumutbar ist.

Durch Präzisierungen im Vertragsrecht werden bessere Möglichkeiten für effektivere Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen geschaffen. Auch die Sanktionsmöglichkeiten bei Verletzung vertraglicher oder gesetzlicher Pflichten der Leistungserbringer werden erweitert. Das in der Eingliederungshilfe bereits etablierte Gesamtplanverfahren wird weiterentwickelt und mit dem Teilhabeplanverfahren eng verzahnt. Mit Stärkung der vorrangigen Leistungssysteme, etwa der Kranken- und Pflegeversicherung, soll die Ausgabendynamik in der Eingliederungshilfe gebremst werden.

6. Prävention

Präventive Maßnahmen werden gefördert, um Zugänge insbesondere aus dem SGB II und dem SGB VI in die Eingliederungshilfe zu verringern. Ziel ist es, bereits vor Eintritt einer chronischen Erkrankung oder Behinderung durch geeignete präventive Maßnahmen entgegenzuwirken und die Erwerbsfähigkeit zu erhalten.

Daher wird der Bund auf fünf Jahre befristete Modellvorhaben mit den Jobcentern und der gesetzlichen Rentenversicherung fördern, in denen geprüft wird, inwieweit und durch welche Maßnahmen drohender Behinderung frühzeitig entgegen gewirkt werden kann. Dabei kann im Rahmen der Modellvorhaben befristet von gesetzlichen Vorgaben abgewichen werden, um auch neue Wege und Methoden erproben zu können. Auch hiermit wirkt das Bundesteilhabegesetz darauf hin, Erwerbsfähigkeit als wichtigen Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe zu erhalten.