Die zahlreichen Medienkommentare über die parlamentarische Debatte zur Reform des Sexualstrafrechts im Deutschen Bundestag haben eines sehr deutlich gemacht: Die Gesellschaft weiß genau, dass die Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung bestraft gehört und diese Bestrafung nicht vom wehrhaften Verhalten des Opfers abhängig gemacht werden darf. MedienmacherInnen als auch auf der Straße befragte Menschen zeigten sich höchst erstaunt, wie viele Täter bei der augenblicklichen Rechtslage ungeschoren davonkommen, obwohl sie gegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht verstoßen. Unsere Gesellschaft ist reif für ein Sexualstrafrecht mit Nein-heißt-Nein-Lösung.
Schon vor der 1. Lesung im Deutschen Bundestag am 28. April 2016 haben SPD- und CDU/CSU-Koalitionäre Expertinnen aus dem Bereich Sexualstrafrecht, Frauenverbände und -Beratungsstellen, Vertreterinnen weiterer Verbände und der Länder sowie die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Verena Bentele, am 27. April zu einem Hearing eingeladen. Die Botschaft der schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen lautet: Der vorgelegte Gesetzentwurf aus dem Hause Maas ist ein guter erster Schritt, die schon geplanten Verschärfungen sind ein guter zweiter Schritt - aber all das reicht nicht! Ein neues Gesetz zur Strafrechtsreform muss von Anfang an den Anforderungen der Istanbul-Konvention entsprechen.
Die Lösung heißt: Nein heißt Nein!
Am 16. März 2016 hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung beschlossen. Der Gesetzentwurf sorgt nicht erst seit den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln und anderen deutschen Städten für Diskussionen.
Parlamentarische Debatte zur Änderung des Sexualstrafrechts
Das Struck´sche Gesetz lautet: "Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es eingebracht worden ist.". Damit wird gegenüber Regierung und ihrer Ministerialbürokratie klargestellt, dass es die gewählten Abgeordneten sind, die die Gesetze beschließen. Gesetzgeber ist der Deutsche Bundestag. Ein Gesetzentwurf wird u.a. von der Bundesregierung geschrieben, die zwischen Referentenentwurf und Kabinettsentwurf noch Sachverständige befragen, der Kabinettsentwurf wird dann ins Plenum zur 1. Lesung eingebracht und an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Hier wird dann mit oder ohne Öffentliche Beratung bis zur Beschlussempfehlung debattiert. Dieser Entwurf kommt dann zur 2./3. Lesung ins Plenum des Deutschen Bundestages zurück. Hier findet die Verabschiedung des häufig geänderten Gesetzentwurfes statt. Erst ab diesem Zeitpunkt wurde aus dem Entwurf ein fertiges Gesetz.
Zur Debatte standen bei der 1. Lesung der Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung“
Und der Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE „Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts (... StrÄndG) (Drs. 18/771918). Erster Redner war Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der darauf verwies, dass eklatante Schutzlücken existieren, um „Frauen in Deutschland besser vor sexueller Gewalt zu schützen“. Recht hat er mit der Einsicht, dass weitere Verschärfungen notwendig sind – die vorgetragenen Verschärfungen reichten den SPD- und Unionsparlamentarierinnen ebenso wie den OppositionspolitikerInnen. Die meisten forderten, dass alle nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen unter Strafe gestellt werden. Sie zeigten sich nicht einverstanden mit einem Gesetzentwurf, der weiterhin auf Widerstandsfähigkeit des Opfers und nicht den Willen des Opfers setzt. So bleiben immer Schutzlücken bestehen. Es reiche auch nicht aus, lediglich auf eine Erhöhung der Verurteilungsquote, die bei erschreckenden acht Prozent liegt, zu zielen. „Nein heißt Nein“ heißt die geforderte Lösung.
Die beschlossenen Unterlagen wurden in die zuständigen Ausschüsse verwiesen: in den federführenden Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, in die beratenden Ausschüsse Innen; Gesundheit; Familie, Senioren, Frauen und Jugend und Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
Koalitionsinternes Expertinnengespräch zur Reform des Sexualstrafrechts
Deutschland hat sich mit der Istanbul-Konvention des Europarates und der Europäischen Menschenrechtskonvention verpflichtet, zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung alle nicht-einvernehmlichen sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen. Mit den vorgesehenen Änderungen im Strafrecht sollen Strafbarkeitslücken geschlossen und die Istanbul-Konvention ratifiziert werden.
Es wurden uns mehrere schriftliche Stellungnahmen zur Verfügung gestellt von
- Prof. Dr. T. Hörnle, Juristische Fakultät, HU Berlin
- Stellungnahme Frau Kuder, Justizministerium Meck-Pom
- Dagmar Freudenberg, Vorsitzende der Kommission Strafrecht, Deutscher Juristinnenbund
- Katja Grieger, Geschäftsführung des Bundesverbandes Frauenberatungsstellen
und Frauennotrufe (bff), und Christina Clemm, Rechtsanwältin,
- Prof. Rudolf, Deutsches Institut für Menschenrechte
- Anja Nordmann, Geschäftsführerin, Deutscher Frauenrat.
Österreich hat die Istanbul-Konvention am 14. November 2013 ratifiziert. Die „Konvention des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ ist ein wichtiger Meilenstein im europaweiten Kampf gegen Gewalt an Frauen. Sie hat das Ziel, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu beenden. Bei Inkrafttreten der Konvention müssen die Unterzeichnerstaaten die Gleichstellung der Geschlechter in den Verfassungen und Rechtssystemen verankern. Sämtliche diskriminierenden Vorschriften müssen abgeschafft werden. Auch für den Opferschutz sieht die Konvention zahlreiche Verbesserungen vor: Die Maßnahmen umfassen die Einrichtung von Hilfsangeboten für Frauen wie Frauenhelplines, Frauenhäuser, Beratungsstellen und besondere medizinische Dienste sowie die Schaffung von Bildungsangeboten zur Sensibilisierung gegen Gewalt an Frauen und Kinder. Zwar konnte keine sachverständige Person aus Österreich kommen, dennoch wurden uns zahlreiche Materialien zur Verfügung gestellt.
Unter der Moderation von Carola Reimann (SPD) und Karin Maag (CDU) erörterten die Frauen in der SPD-Bundestagsfraktion und die Gruppe der Frauen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zusammen mit Kollegen aus den zuständigen Ausschüssen, wie der vorliegende Gesetzentwurf ergänzt oder geändert werden kann, um das Prinzip „Nein heißt Nein“ in Bezug auf Vergewaltigung rechtssicher gesetzlich zu fassen und auch die Fälle sexueller Übergriffe, die die Schwelle der sexuellen Nötigung nicht überschreiten, als Straftatbestand aufzunehmen. Auch für sexuelle Nötigung oder Handlungen, die aus einer Menschenmenge heraus erfolgen, wollen wir eine Regelung wie bei der Beteiligung an einer Schlägerei schaffen.
Die Diskussion war sehr zielorientiert und hinsichtlich des politischen Zieles ziemlich einvernehmlich. Noch sind wir aber nicht am Ziel: Es muss ein neuer Gesetzentwurf geschrieben werden, der als Änderungsantrag eingebracht werden kann. Gemeinschaftlich zu klären ist der auch Zeitplan. Packen wir es an. Ich bin guten Mutes!