Teilhabe ist wichtig. Für jede und jeden, egal ob mit oder ohne Behinderung(en). Alle Menschen sollen überall mitmachen und mitwirken können. Um diesem Ziel näher zu kommen, arbeitet die Politik aktuell an einem neuen Gesetz, dem Bundesteilhabegesetz (BTHG). Zusammen mit diesem Gesetz soll ab dem 1. Januar 2017 auch eine neue Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (WMVO) in Kraft treten. Diese regelt die neuen Vertretungsrechte von Menschen mit Behinderungen, regelt die Stärkung und Ausweitung ihrer Mitbestimmungsrechte.
Über einzelne Punkte des Gesetzentwurfes zum Bundesteilhabegesetz wird derzeit viel und hitzig diskutiert. Leider gehen in der gesellschaftlichen Debatte einige der unstrittigen Erfolge des BTHG unter. Zu den Erfolgen gehören die Ausweitung der Vertretungs- und Mitbestimmungsrechte. Diese sind für eine inklusive Gesellschaft aber auch von höchster Bedeutung. So werden neu eingeführt bzw. ausgebaut:
- Höhere Ansprüche auf Freistellungen und Fortbildungen erhalten Menschen mit Behinderungen in den Schwerbehindertenvertretungen der Betriebe. Damit wird die Mitbestimmung verbessert.
- Mehr Rechte erhalten die Werkstatträte in den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM).
- Um geschlechtsspezifischer Diskriminierung besser entgegentreten zu können, wird in den Werkstätten und Wohneinrichtungen die Position einer Frauenbeauftragten verbindlich festgeschrieben.
Was andere nicht tun, muss frau eben selbst tun!
Das Projekt "Frauenbeauftragte in Einrichtungen" des Vereins "Weibernetz e.V. - Bundesnetzwerk von Frauen, Lesben und Mädchen mit Beeinträchtigung" organisierte daher am 31. August 2016 in Berlin den Fachtag "Wir sind auf dem Weg! Frauenbeauftragte in Werkstätten und Wohneinrichtungen". Die gesamte Tagung fand in leichter Sprache und mit GebärdendolmetscherInnen statt. Mehr als 200 Frauen und - ganz wenige - Männer mit und ohne Behinderung aus der ganzen Bunderepublik nahmen an der Tagung teil.
Warum sind Frauenbeauftragte in den Einrichtungen so wichtig?
Frauen mit Behinderungen in Werkstätten beklagen sich häufiger über eine andere Behandlung aber auch über andere Arbeiten als Männer. Sie fühlen sich oft ungerecht behandelt: Sie erhalten weniger Geld als Männer und können unter anderem auch dadurch ihr Leben weniger selbstbestimmt führen. Sie werden öfter sexuell belästigt und es findet auch sexuelle Gewalt statt.
Frauen mit Behinderungen in Wohnheimen klagen oft darüber, dass sie ihre Zimmertür nicht abschließen könnten oder auch kein Zimmer für sich allein hätten. Es fehlten Wohnmöglichkeiten, um mit ihrem Kind gemeinsam zu wohnen. Auch wenn sie nicht wollten, dass ein Mann u.a. beim Waschen und Anziehen hilft, können sie es sich oft nicht aussuchen. Auch wird über sexuelle Belästigung geklagt.
Zu großer Betroffenheit in unserer Gesellschaft haben 2013 die Ergebnisse der im Auftrag des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) erstellten und veröffentlichten Studie „Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in Deutschland“ geführt: „Frauen mit Behinderungen sind aufgrund von Diskriminierungen und körperlich-psychischer sowie kognitiver Abhängigkeiten einem erhöhten Risiko ausgesetzt, in verschiedenen Altersphasen und Lebenssituationen Opfer von psychischer, physischer und sexueller Gewalt zu werden.“. Dass Frauen mit Behinderungen noch stärker von (sexueller) Gewalt im häuslichen und öffentlichen Bereich betroffen sind als Frauen ohne Behinderungen bestätigen auch internationale Studien.
Frauen mit Behinderungen werden also gleich doppelt ungerecht behandelt:
- Weil sie Frauen sind.
- Und weil sie eine Behinderung haben.
Was soll mit dem Projekt „Frauenbeauftragte in Einrichtungen“ erreicht werden?
Drei Ziele sollten mit der Fachtagung erreicht werden, nämlich
- zeigen, dass das Modell Frauenbeauftragte in Einrichtungen funktioniert,
- sensibilisieren für den Umgang mit dem Thema "Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen in Einrichtungen", und
- Impulse für einen politischen Dialog über die Implementierung von Frauenbeauftragten in Werkstätten und Wohneinrichtungen geben.
Verena Bentele, die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, wies in ihrer Rede auf die UN-Behindertenrechtskonvention hin. Die UN-BRK verpflichtet uns alle zum Abbau von Diskriminierungen und zur Förderung und Gewährleistung von Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Die BRK fordert eindringlich zur Bekämpfung insbesondere der Mehrfachdiskriminierungen und der hohen Gewaltbetroffenheit von Mädchen und Frauen mit Behinderungen auf. Deren Abschaffung ist Voraussetzung für Selbstbestimmung, Teilhabe und Inklusion.
Im Gesetzestext des BTHG steht genau, welche Rechte eine Frauenbeauftragte hat. Zu diesem Punkt des Bundesteilhabegesetzes habe sie „nichts zu meckern“ - und sie meckere im Hinblick auf viele Stellen des Entwurfes zum Bundesteilhabegesetz.
Frauenbeauftragte in Einrichtungen: Wir sind auf dem Weg!
Die Idee, Frauen mit Lernschwierigkeiten in ihren eigenen Einrichtungen - den Wohneinrichtungen und Werkstätten - zur Frauenbeauftragte zu qualifizieren und einzusetzen, ist rund 12 Jahre alt. Es wurden dazu bisher bereits zwei Modellprojekte durchgeführt.
Das erste Projekt wurde 2008 bis 2011 zusammen von Weibernetz e.V. und Mensch zuerst e.V. durchgeführt. Weibernetzwerk ist der bundesweit einzigem Verein für Frauen und Mädchen mit Behinderung und Mensch zuerst e.V. ist ein Verein für Menschen mit Lernschwierigkeiten. Im Projekt „Frauenbeauftragte in Einrichtungen“ wurden 16 Frauen mit Lernschwierigkeiten wurden zu Frauenbeauftragten ausgebildet. 14 von ihnen agieren jetzt als Frauenbeauftragte in ihrer Werkstatt bzw. in ihrer Wohneinrichtung. Das sind natürlich noch viel zu wenige Frauenbeauftragte.
Im zweiten Projekt „Frauenbeauftragte in Einrichtungen: Eine Idee macht Schule“ wurden daher Kurse für Trainerinnen angeboten. An den Schulungen nahmen immer zwei Frauen gemeinsam statt: Eine Expertin mit Lernschwierigkeiten, die aus einer Werkstatt oder einer Wohneinrichtung kommt, und eine Fachfrau ohne Lernschwierigkeiten, die beispielsweise Mitarbeiterin in einer Frauenberatungsstelle, einer Werkstatt oder einer Wohneinrichtung für behinderte Menschen oder in einem Netzwerk behinderter Frauen tätig ist. Diese beiden Frauen arbeiten dann als ein „Trainerinnen-Tandem“ zusammen. Gemeinsam lernen sie:
- Wie werden gute Schulungen für weitere Trainerinnen für Frauenbeauftragte gemacht?
- Wie kann politisch auf allen Ebenen für das Thema „Frauenbeauftragte in Einrichtungen“ geworben werden?
- Wie können sich Frauenbeauftragte besser vernetzen? Wie erreichen sie, dass sie in ihren Einrichtungen ein eigenes Frauenbeauftragtenbüro erhalten, um sich mit den Frauen auch vertrauensvoll unterhalten zu können?
Nach dieser Schulung sind die „Trainerinnen-Tandems“ so kompetent, dass sie nun selber viele neue Frauenbeauftragte ausbilden können. Mittlerweile gibt es diese „Trainerinnen-Tandems“ in 10 von den 16 Bundesländern: in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Schleswig-Holstein.
Die Finanzierung der Modellprojekte erfolgte durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zusammen mit den jeweiligen Bundesländern.
Welch große Freude: Auch das dritte Projekt kann starten!
An der Fachtagung nahm auch Elke Ferner, Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig teil. Elke Ferner freute sich mit den vielen Aktiven über die erreichten Erfolge und dankte allen für ihren Einsatz und für ihr Engagement.
Elke Ferner verweis aber auch darauf, dass zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit für die Mädchen und Frauen mit und ohne Behinderungen noch viel zu tun ist. Denn nach wie vor werden Frauen auf der Arbeit schlechter behandelt als Männer:
- Frauen bekommen weniger Geld.
- Frauen bekommen schlechtere Arbeit.
- Frauen haben nicht genug Zeit, um sich um ihre Familie zu kümmern.
Dagegen können Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte aber etwas tun:
- Sie kennen die Rechte der Frauen.
- Sie hören den Frauen zu und können helfen.
- Sie können auch mit den Vorgesetzten reden.
Für die Zukunft ist es sehr wichtig, dass sich die Frauenbeauftragten noch besser vernetzen: untereinander aber auch in Richtung ArbeitgeberInnen oder Politik. Keine Frauenbeauftragte soll sich alleine fühlen. Frauenbeauftragte sollten eine „laute, machtvolle Stimme“ sein. Mittlerweile sei bewiesen, dass Frauenbeauftragte wirkungsvoll zur Gewaltprävention in den Einrichtungen beitragen. Die Frauenbeauftragten sind für die betroffenen Frauen Ansprechpartnerinnen auf Augenhöhe. Sie sensibilisieren für die Probleme und Benachteiligungen von Frauen mit Behinderungen. Außerdem stellen sie eine Schnittstelle zwischen dem System der Behindertenhilfe und dem Hilfenetz für gewaltbetroffene Frauen dar. Alles im allen bis dato: ein wirklicher Erfolg, den es auszubauen gilt!
Aus diesem Grunde wird am 1. Oktober 2016 das neue Projekt „Errichtung eines Bundesnetzwerkes für Frauenbeauftragte in Einrichtungen“ mit dem Träger Weibernetz e.V. starten.