Mit dem europaweit einzigartigen Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ schützt der Deutsche Bundestag MenschenrechtsverteidigerInnen. Mit dem gemeinsamen Antrag "Schutz von bedrohten Menschenrechtsverteidigern" von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (15/2078) hat sich der Bundestag im Jahr 2003 fraktionsübergreifend verpflichtet, sich aktiv am Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ (PsP) des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu beteiligen. Das Programm ist offen für alle Abgeordnete und soll Schutz bieten für bedrohte PolitikerInnen - weltweit. Es ist angesiedelt beim Sekretariat des Ausschusses für Menschenrechte des Bundestags. Mittlerweile gilt es nicht allein für verfolgte KollegInnen in anderen Staaten, sondern auch für MenschenrechtlerInnen, JournalistInnen und AktivistInnen.
In vielen Ländern zählen PolitikInnen zu den gefährdeten Menschenrechtsverteidigern. Dabei kann es sich gleichermaßen um MandatsträgerInnen, OppositionspolitikerInnen oder BürgermeisterInnen handeln, die unter oft schwierigsten politischen Bedingungen tätig sind und deren Vergehen meist einzig darin besteht, dass sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen.
Fraktionsübergreifende Initiative zum Schutz bedrohter türkeistämmiger Abgeordneter
Noch nie in der bisher 13-jährigen Geschichte des Programms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ ist das Patenschaftsmodell allerdings für ein einziges Land - der Türkei - in einem solchen Umfang fraktionsübergreifend zum Schutz von KollegInnen zur Anwendung gekommen.
Warum machen wir das? Leider müssen wir erleben, wie die Türkei dabei ist, sich von einer Demokratie in eine Diktatur zu verwandeln. In der Türkei ist faktisch eine ganze Oppositionsfraktion in der Situation, in ihrer Arbeit behindert oder inhaftiert zu werden - eine parlamentarische Opposition gehört aber ebenso wie eine Koalition zur Demokratie. Den allermeisten der 59 Abgeordneten starken HDP Fraktion droht eine Anklage bzw. diese ist längst erfolgt. Mit der Aufhebung der Immunität erlischt auch der Schutz vor einer Verhaftung. Zwar bleiben alle Abgeordneten so lange ParlamentarierInnen, bis ein endgültiges Urteil vorliegt, sie können aber in Untersuchungshaft genommen werden.
VertreterInnen der sozialdemokratischen CHP wurden bislang noch nicht ins Solidaritätsprogramm aufgenommen: Noch ist keine CHP-VertreterIn verhaftet worden, auch gibt es bislang keinen Wunsch der CHP-Führung an die deutschen KollegInnen, in ähnlicher Form wie bei der HDP aktiv zu werden.
Es ist ein Zeichen der Solidarität
60 Abgeordnete aus allen im Bundestag vertretenen Parteien (CDU, CSU, SPD, Grüne und Linke) haben sich zusammengefunden, um Patenschaften für verfolgte und bedrängte ParlamentskollegInnen der Nationalversammlung der Türkei zu übernehmen, vor allem für die prokurdischen HDP-PolitikerInnen.
Diese Aktion aus dem Bundestag steht ganz bewusst auf breiter Basis. So soll vermieden werden, dass die AKP-Regierung in Ankara oder Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die Aktion als Solidaritätsadresse nur einer politischen Richtung diffamieren kann.
Die Namen der Bedrängten sollen in der Öffentlichkeit bekannt werden. Für einen Kollegen habe ich zusammen mit der Kollegin Susanna Karwanskij von der Linken eine Patenschaft übernommen. Sobald ich mich näher mit ihr darüber verständigt habe, wie wir beide unterstützend tätig werden wollen, werde ich auch den Namen des bereits inhaftierten Kollegen bekannt machen.
Das Patenschaftsprogramm ist für mich als Mitglied des Europarates auch eine Möglichkeit - trotz der willkürlichen Verhaftung von Richtern, JournalistInnen und frei gewählten Abgeordneten - mit der Türkei im Gespräch zu bleiben. Fakt ist aber: Wir müssen die Kräfte in der Türkei unterstützen, die für Demokratie eintreten. Das versucht auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der am 14. November 2016 zum ersten Mal seit dem Putschversuch nach Ankara gefahren ist. Er ist über die Aktion der ParlamentarierInnen unterrichtet.