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Technik ist sinnvoll, solange sie das selbständige Leben unterstützt - Digitale Hilfsmittel für Betroffenen und Angehörige

Bietet Technik Chancen für mehr Selbstbestimmung, Lebensqualität, Sicherheit und Teilhabe? Diese Frage warf die Informationsveranstaltung der Reihe „Selbsthilfe digital“ - Unterstützung bei Wohnen und Pflege, Hilfe bei Demenz. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V. 30. November 2016. Zugleich wurde im Haus des Sozialverbandes Deutschland eine Ausstellung zu Anwendungen aus dem Bereich Ambient Assisted Living (AAL, also elektronisch unterstützte Steuerung der Wohn-Umgebung) sowie Pflege und Demenz gezeigt. Der Blickwinkel der Veranstaltung lag insbesondere bei der Einbindung und Entlastung von Angehörigen. Die Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin ist der Dachverband der Berliner Selbsthilfeorganisationen für Menschen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen und bündelt nach eigenen Angaben die Interessen von rund 70 Vereinen mit 45.000 Selbsthilfe-Aktiven in Berlin.

Was wird von den Entwickler*innen in Aussicht gestellt?

Mit digitalen Hilfen ausgerüstete Wohnungen „beschützen“ und unterstützen ihre Bewohner*innen und vernetzen sich mit Angehörigen und Pflegepersonal. Angehörige, die entfernter wohnen, können mit einer Angehörigen-App den Kontakt zu den zu Pflegenden und den Behandler*innen und Nachbar*innen intensivieren. Wenn eine herausfordernde Pflegesituation wie bei Demenz eintritt, kann man sich als Angehöriger in Online-Kursen fortbilden. Ein barrierefreier Notruf hilft bei Gefahrensituationen.

Was jedoch ist „gute“ und für Betroffene und ihre Angehörigen „nützliche“ und „sinnvolle“ Technik, die unterstützt und ermündigt, jedoch nicht entmündigt? Wo kann Technik beitragen, Angehörige zu entlasten, ohne dass der „Faktor Mensch“ zu kurz kommt? Wie viel Technik (oder noch mehr?) wollen wir in unser Leben integrieren, weil es damit besser und sicherer wird?

In verschiedenen Panels wurde unter Moderation von Gerlinde Bendzuck, Vorsitzende der LV Selbsthilfe Berlin e.V., über die Möglichkeiten, Grenzen und Rahmenbedingungen von digitaler Hilfs-Technik diskutiert.

Was würde ich machen?

Auf die Frage, was ich denn im Spagat zwischen Sicherheit/Komfort, Freiheit und Kosten bei einer pflegebedürftigen Angehörigen tun würde, habe ich mir meine (verstorbene) Mutter vorgestellt. Diese durchaus fortschrittliche Frau hätte einige Abwehr gegen diese Technik deutlich gemacht. Nicht nur für diese Generation (geb. 1928) ist meines Erachtens zu bedenken:

  • Digitale Hilfsmittel dürfen kein Ersatz für menschliche Nähe und Zuwendung sein.
  • Bei technischen und/oder digitalen Hilfsmitteln muss immer die ethische Komponente mitbedacht werden.
  • Entscheidungen über den Einsatz sollten unbedingt mit den Betroffenen gemeinsam getroffen werden. Ich plädiere für individuelle Lösungen und nicht für einen Pauschaleinsatz von digitalen Hilfsmitteln.
  • Sicherheit ist ein entscheidendes Kriterium: Für Angehörige beispielsweise: Ist der Herd ausgeschaltet, etc.. Angesichts von möglichen kameraüberwachten Wohnungen, Geofencing, technikoptimierten Tagesabläufen mit computergesteuerten Gedächtnistrainings, „Fütterungsrobotern“, künstlichen Kuschel-Robben, etc. ist auch daran zu denken, dass den pflegebedürftigen Menschen ihre Mobilität und auch die individuellen Gewohnheiten nicht genommen werden dürfen. Mir ist ein Anliegen: Immer nur so viel wie nötig - und so wenig wie möglich. Die Anwendung digitaler Hilfsmittel ist für mich dann durchaus sinnvoll, wenn sie individuell eingesetzt sind und ein sicherer Umgang damit gewährleistet ist.
  • Es besteht aber noch ein erheblicher Forschungsbedarf. Derzeit laufen diesbezüglich zahlreiche klinische Prüfungen. Noch sind viele Hilfsmittel nicht für die „grundständige“ Anwendung und den kontinuierlichen Einsatz ausgereift. Ich erwarte aber, dass in den kommenden Jahren viele gute Geräte auf dem Hilfsmittelmarkt kommen, die erforscht sind und zu denen auch wissenschaftliche Evaluationen vorliegen.
  • Die Politik entscheidet nicht über die Listung und damit Kostenübernahme von Hilfsmitteln in das Hilfsmittelverzeichnis.

Dies kann nur erfolgen, wenn der Nutzen der Geräte erkannt wird, diese also zur Verbesserung der Versorgung, einer Reduktion der Folgekosten und einem längeren Mobilitätserhalt beitragen. Bislang sind keine digitalen Hilfsmittel für an Demenz Erkrankte im Leistungskatalog vorhanden. Eine Aufnahme ist von den Herstellern zu beantragen. Noch fehlt vielen Angeboten die Niedrigschwelligkeit, die Geräte sind oft noch viel zu teuer.

Mit technischen Errungenschaften aus der digitalen Welt und internetgestützten Lösungen, die zur Steigerung von Effektivität und Effizienz in der Gesundheitsversorgung beitragen, beschäftigte sich Prof. Birgit Wilkes von der Technischen Hochschule Wildau. Sie hat das Buch "Smart Home für altersgerechtes Wohnen" veröffentlicht. Darin verweist sie darauf, dass der Mensch den Einsatz der Technik bestimmt und dass die Technikakzeptanz auch unter den Älteren sehr viel höher sei als die meisten annehmen. Technik biete entsprechende Möglichkeiten für an Demenz Erkrankte.

Daniel Ruprecht von der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft brachte es auf den Punkt: Technik ist sinnvoll, solange sie das selbständige Leben unterstützt. Wenn sie zur Substitution für personenbezogene Pflegeleistungen werde, sei sie abzulehnen. Er verwies darauf, dass die Hersteller ihre Produkte am Markt testen, dabei gäbe es für viele der Anmieter*innen es jedoch auch Nebenwirkungen. So müssten häufig Verträge von den Nachkommen übernommen werden, obwohl diese für sie gar keinen Sinn machten. Viele Hersteller forschen, entwickeln und produzieren an den Bedürfnissen der an Demenz erkrankten Menschen vorbei.

Auf die unterschiedlichen Interessen bei der Nutzenbewertung seitens der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen wies Oliver Blatt, Leiter der Abteilung Gesundheit beim Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek), hin. Beim „Krieg der Talente“ machen mittlerweile Firmen ihren Mitarbeiter*innen viele technische Angebote, um sie bei der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ihrer Angehörigen zu unterstützen, erklärte Dr. Oliver Hüfner. Er ist Associate Partner, IBM Global Business Services. Seine Einladung zum Besuch in die erste „Ermündigungswohnung“, eine Musterwohnung in Berlin-Marzahn, habe ich gerne angenommen.