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Teilhabe, Chancengleichheit und Rechtsentwicklung in der Einwanderungsgesellschaft Deutschland – Wir müssen gegen Diskriminierung ankämpfen

Es ist noch viel zu tun: „Wie Integration gelingen kann, ist heute eine der größten Herausforderungen der Politik“, sagte Aydan Özoguz (SPD), Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Sie stellte am 9. Dezember 2016 ihren „11. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration – Teilhabe, Chancengleichheit und Rechtsentwicklung in der Einwanderungsgesellschaft Deutschland (Dezember 2016)“ vor. Auf 737 Seiten wird hier die Situation von Migrant*innen und Geflüchteten in Deutschland für den zweijährigen Berichtszeitraum bis Juli 2016 dargestellt. Im Vordergrund stehen die Teilhabe, Chancengleichheit und Rechtsentwicklung in der Einwanderungsgesellschaft Deutschland.

Letztlich geht es um die Teilhabe aller! Denn Integration ist kein Sonderformat für 17,1 Millionen Menschen mit familiären Einwanderungsgeschichten, rund die Hälfte von ihnen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Wie es dem Fünftel der Menschen in Deutschland geht, hat Auswirkungen auf alle 82 Millionen Menschen, die in unserem Land leben. Ein Einwanderungsland muss im eigenen Interesse allen Menschen im Land - egal welcher Herkunft - gleiche Chancen auf Teilhabe geben: in der Schule, bei der Ausbildung, am Arbeitsmarkt oder im Gesundheitswesen. Darum geht es im 21. Jahrhundert!

Der Bericht macht deutlich, dass sich unser Land, unsere Gesellschaft so intensiv, ernsthaft und ausdauernd wie selten zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik mit den Themen Flucht, Asyl, Migration und Integration auseinandergesetzt hat. Mensch hat aus den Fehlern der 1990er Jahre gelernt.

Aber: „Gleichzeitig mussten wir feststellen, dass das Klima unserer Gesellschaft inzwischen rauer geworden ist.“ Rechtspopulist*innen profilieren sich durch Stimmungsmache gegen Geflüchtete, der Hetze im Netz folgten Taten. Es ist der höchste Anstieg der politisch motivierten Kriminalität in Deutschland seit Erhebung der Statistik festzustellen: Die stärkste Zunahme (116 Prozent) war bei den fremdenfeindlichen Straftaten zu beobachten. 2014 waren es knapp 4000, im Jahr 2015 rund 8500. Erschreckend sind der massive Anstieg menschenfeindlicher Straftaten und die Bedrohungen von Helfer*innen und Kommunalpolitiker*innen, die sich für Geflüchtete einsetzen. Die Angriffe auf Asyl- und Geflüchtetenunterkünfte haben sich verfünffacht. Ein Anstieg an Straftaten von Geflüchteten ist im Berichtszeitraum nicht festzustellen.

Zu beobachten ist eine zunehmende Muslim- und Islamfeindlichkeit in Deutschland. Die Beauftragte fordert daher die Einrichtung eines Expert*innenkreises Muslimfeindlichkeit, der dem Bundestag regelmäßig berichten soll. „Politik und Zivilgesellschaft müssen solchen Anfeindungen aus Ausgrenzungstendenzen klar entgegentreten. Ich setze hier auf den Konsens aller Demokrat*innen, auch im Wahlkampf“, erklärte Özoguz.

Die Hälfte der Menschen mit Migrationsbiographie hat in den vergangenen zwei Jahren zudem Diskriminierungen wegen eines im allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AAG) genannten Grundes erlebt. Am häufigsten werden Diskriminierungen aus rassistischen Gründen in den Bereichen Öffentlichkeit und Freizeit (23 Prozent) erfahren - aber auch im Arbeitsleben (21 Prozent) sowie in Behörden und Bildung (jeweils 13 Prozent). Eine Evaluierung des AAG zeige, dass der gesetzliche Schutz in vielen Teilen lückenhaft ist. Die Beauftragte fordert in dem Bericht „eine selbstkritische Auseinandersetzung“ mit den Ergebnissen.

Gemischte Bilanz

Eine gemischte Bilanz zieht die Integrationsbeauftragte Aydan Özogu zu dem in 2016 verabschiedeten Integrationsgesetz, mit dem die Integration Geflüchteter erleichtert werden soll: Sie lobte die Bleibegarantie für Geflüchtete mit Ausbildungsplatz und die Ausweitung und Ausstockung der Integrations- und Sprachkurse. Diese sind von 2013 bis 2015 um knapp 70 Prozent gestiegen und wurden 2015 von rund 180.000 Kursteilnehmer*innen besucht. Als die fünf größten Gruppen sind hier Syrer*innen (19 Prozent), Pol*innen (8,8 Prozent), Rumän*innen (8,6 Prozent), Bulgar*innen (6,6 Prozent) sowie Italiener*innen (4,4 Prozent) zu nennen. Im ersten Halbjahr dieses Jahres waren es bereits rund 155.000 Kursteilnehmer*innen.

Kritisch äußerte sie sich aber zur Wohnsitzauflage für anerkannte Geflüchtete, die ihnen einen bestimmten Aufenthaltsort vorschreibt. Fehler der Vergangenheit dürften hier nicht wiederholt werden, sagte sie mit Blick auf die Aussiedler*innen, bei denen der Wohnsitzzwang oft dazu geführt habe, dass sie keine Arbeit gefunden hätten. Sie kritisierte auch die Aussetzung des Familiennachzugs für einen Teil der Schutzberechtigten. Es werde unterschätzt, wie stark der Familienfaktor sei, um ankommen und sich integrieren zu können. Es sei den Geflüchteten anzumerken, was es bedeute, wenn die Familie im Ausland bedroht wird und sie um ihre Angehörigen Angst haben müssen.

Weitere Einzelinformationen:

  • 2015 sind 2,13 Millionen Menschen nach Deutschland gezogen. 998.000 haben das Land verlassen. 45 Prozent der Neuankömmlinge waren EU-Bürger*innen, 5 Prozent stammten aus Afrika.
  • Menschen mit Migrationsbiographie sind im Schnitt 36 Jahre alt, Menschen ohne Migrationsbiographie im Durchschnitt 47,7 Jahre.
  • In Deutschland sind 190 Staatsangehörigkeiten vertreten. Die drei größten Personengruppen sind weiterhin Türk*innen (16,7 Prozent), Pol*innen (9,9 Prozent) gefolgt von Russ*innen (7,1 Prozent).
  • Die Kriminalität gegen Migrant*innen hat stark zugenommen. Die Zahl der Angriffe auf Asyl- oder Flüchtlingsunterkünfte ist von 199 im Jahr 2014 auf 1.031 im Vorjahr angestiegen.
  • Die Zahl der Straftaten gegen Religionsstätten hat im Jahr 2015 im Vorjahresvergleich deutlich zugenommen, von 45 auf 78 registrierte Angriffe.
  • Die Zahl der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Deutschland wird mit 153 angegeben. Die Mehrheit ist weiterhin christlichen Glaubens. Rund ein Drittel der Menschen sind konfessionslos.

Ungefähr ein Fünftel aller Katholik*innen in Deutschland hat eine Migrationsbiographie. Vergleichbare Zahlen zu Protestant*innen liegen laut Bericht nicht vor.