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“Brexit” – aktuelle Entwicklungen & Relevanz für die irische Insel: Prof. Dr. Dagmar Schiek aus Belfast zu Gast in der Taskforce Brexit

Bereits seit längerem befasst in der SPD-Bundestagsfraktion eine Taskforce Brexit mit den Konsequenzen des angekündigten Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU). Prof. Dr. Dagmar Schiek, Europarechtlerin an der Queen´s University in Belfast war am 27. Januar 2017 Gast in dieser Runde. Debattiert wurde über die politischen, sozialen, gesellschlichen und administrativen Folgen des Brexits insbesondere für die Region Nordirland. Zur Erinnerung: 56 Prozent der Bevölkerung in Nordirland hat für einen Verbleib in der EU gestimmt.

Ich danke Prof. Schiek ganz herzlich dafür, dass sie nicht nur unten stehenden Text geschrieben hat, sondern auch weiterhin für Fragen zur Verfügung steht.

 

“Brexit” – aktuelle Entwicklungen & Relevanz für die irische Insel

Zusammenfassung & Aktualisierung des Vortrags am 26 Januar 2017 – weitere Fragen: d.schiek@qub.ac.uk

 

Professor Dagmar Schiek, School of Law

Jean Monnet Centre of Excellence – Tensions at the Fringes of the EU 


Brexit – die vergangenen zwei Wochen – wie weiter?

Theresa May Rede am 17 Januar 2017

Im Wesentlichen handelt es sich um eine Zusammenfassung der bisherigen Regierungsposition

  • Numerische Beschränkung des Zuzugs von EU AusländerInnen (widerspricht der Personenver­kehrsfreizügigkeit und damit dem Verbleib des VK im Binnenmarkt)
  • Volle Autonomie für Handelsabkommen mit auβereuropäischen Staaten (è Ausscheiden aus der Zollunion)
  • Keine Autorität des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über britisches Recht (nur partiell möglich wegen der Ausstrahlung von Teilen des EU Rechts in Drittstaaten, z.B. Kartellrecht und Zolltarifrecht).

Entscheidung des UK Supreme Court am 25. Januar 2017

Prozedurale Konsequenz ist, dass die Regierung die Zustimmung des Parlaments in Westminster für die Notifizierung des Rates der EU von der Intention des Austritts aus der EU (Artikel 50 (2) EUV) benötigt. Die Regionalparlamente in Edinburg (Schottland), Cardiff (Wales) und Belfast (Nordirland) müssen demgegenüber nicht gehört werden, womit jede konstitutionelle Bedeutung des Belfaster Friedensabkommens von 1998 für Nordirland verneint wird.

Wie weiter ?

Die praktischen Auswirkungen dieser Entscheidung sind voraussichtlich gering. Ein kurzes Gesetz zur Autorisierung der Notifizierung wurde heute Nachmittag dem Parlament vorgelegt – es war bereits vorbereitet. Die Annahme des Gesetzes ist so gut wie sicher, obwohl die Konservativen nur eine knappe Mehrheit bei den 639 Abgeordneten des Unterhauses haben. Da jedoch die Labour Party die Zustimmung befürwortet, werden sicher nur die Abgeordneten der Scottish National Party (56) und der Liberal Democrats (8) sowie je eine Grüne und eine unabhängige nordirische Abgeordnete gegen den Austritt aus der EU stimmen. Die Annahme des Gesetzes würde auch durch einige Abtrünnige aus den Reihen von Labour und Conservatives oder die Ausübung der Stimmrechte der Sinn Fein Abgeordneten nicht in Frage gestellt.

Labour strebt weiterhin einen “weichen Brexit” an und möchte dies durch eine parlamentarische Abstim­mung des endgültigen “Brexit-deals” durchsetzen. Sollte das VK Parlament die Austrittsvereinbarung ablehnen, führt dies nur dazu dass die Mitgliedschaft des VK ohne jede Übergangslösung erlischt. (Hier der Link zu einem Blog mit weiteren Links zur Frage der Revisibilität der Notifizierung, ein Bericht über nun in Irland anhängige Verfahren zur Klärung dieser Frage, ist heute Nachmittag im Guardian erschienen).

Brexit & die irische Insel – Raum für Solidarität in den Verhandlungen?

Die irische Insel wird durch den “Brexit” doppelt negativ betroffen: durch ihre geographische Randlage ist sie künftig vom Rest der EU durch das Territorium des Nichtmitglieds UK abgeschnitten, und die Teilung der Insel in Nordirland als Teil des Vereinten Königreich und Irland (Republik Irland) erhält eine neue Dimension wenn die Auβengrenze der EU entlang der Grenze zwischen diesen beiden Teilen verläuft. Obwohl die Positionierung des Vereinigten Königreichs ein ungünstiges Verhandlungsklima schafft, ist zu hoffen dass die EU27 nötige Solidarität für die irische Insel aufbringt. Irland hat sich nicht für den Brexit ausgesprochen, und auch im britischen Referendum ergab die Auszählung für Nordirland eine Mehrheit für „Remain“.

Geographisch prekäre Lage

Die negativen Auswirkungen auf die ohnehin prekäre Wirtschaft Irlands erfordern eine noch weitere Abkoppelung vom der ehemaligen Kolonialmacht sowie die Überwindung von Fehlentwicklungen wie der starken Orientierung an Auslandsdirektinvestitionen. Für die Übergangsphase bis zum Vollzug des Austritts könnte die EU z.B. durch die Genehmigung staatlicher Beihilfen für besonders betroffene Wirtschaftszweige sowie eine Berücksichtigung der besonderen Situation Irlands in den Strukturprogrammen zur Verminderung der Probleme beitragen. Die geographisch nachteilige Lage der irischen Insel westlich eines ehemaligen Mitgliedsstaates der für einen sogenannten harten Brexit optiert hat ist jedoch kein vorübergehendes Problem. Folglich ist es durchaus denkbar dass eine Vorzugsregelung vergleichbar derjenigen für Gebiete in äuβerster Randlage (Artikel 350 AEUV) getroffen wird, die selbstverständlich dem Umstand Rechnung tragen muss, dass Irland nicht ganz so abgelegen ist wie beispielsweise die Azoren.

Zwei Staaten auf einer Insel – und der nordirische Friedensprozess.

Die Zwei-Staaten-Lösung für Irland ist bekanntlich mit dem Belfaster Friedensabkommen vom Karfreitag 1998 akzeptiert worden, mit dem Ziel vom bewaffneten Konflikt zu einem Waffenstillstand und in Perspek­tive zu einer harmonischen und gegenseitig vorteilhaften Entwicklung der Gesamtheit der interpersonellen Beziehungen auf den britischen Inseln zu erreichen (Strand 3 Belfast Agreement). Dieses Ziel schlieβt auch eine Perspektive für die Gesamtheit der irischen Insel ein, was durch die Verpflichtung die Vereinigung Irlands offenzuhalten für einen Zeitpunkt zu dem die Mehrheit der Bevölkerung Nordirlands dieser Lösung zustimmt. Sowohl harmonische Beziehungen in der Gesellschaft als auch die langfristige Perspektive erfordert, die gespaltene Gesellschaft in Nordirland zu überwinden. Dazu soll jeder/m Einwohner/in Nordirlands ermöglicht werden, sich kulturell entweder als irisch (offiziell als “nationalist” bezeichnet, überwiegend katholisch) oder zum Vereinigten Königreich gehörig (offiziell “unionist”, überwiegend protestantisch) zu identifizieren. Voraussetzung der erstgenannten Identifizierung ist die faktische Einheit der irischen Insel in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht, während Voraussetzung der letzt­genannten Identifizierung die enge Verbindung Nordirlands mit Groβbritannien (“Union”) ist. In der Brexit-Diskussion wird auch von der britischen Regierung anerkannt, dass der Erfolg des Abkommens von der Abwesenheit einer “hard border” auf der Insel abhängt, worauf die Forderung nach einem post-Brexit Sonderstatus für Nordirland im Bezug auf Personenverkehrsfreizügigkeit und Zollunion gestützt wird.

Es ist jedoch zweifelhaft, ob so ein marktzentriertes Herangehen ausreicht, um die kulturelle und soziale transirische Dimension des Friedensprozesses abzusichern. Diese basiert auch auf der praktischen Umsetzung der Unionsbürgerschaft, welche die Freizügigkeit nicht nur zu ökonomischen sondern auch kulturellen und politischen Zwecken erlaubt. Ein weitergehender spezieller Status für die irische Insel wäre daher erforderlich, wobei den kulturellen Bedürfnissen der “unionist identity” mit besonderen Zugeständnissen des neuen Irland sowie des Vereinten Königreich für diese Personengruppe Rechnung zu tragen ist.

Schlieβlich sollte eine Klausel im Austrittsabkommen sicherstellen, dass ein eventuell in der Zukunft geeintes Irland nicht erneut die Mitgliedschaft in der EU beantragen muss. Darauf zu vertrauen, dass ein vergleichbar informelles Vorgehen wie bei der Deutschen Wiedervereinigung nochmals möglich ist (dazu der Beitrag The European Parliament and German unification), wäre eher leichtfertig.

Da das sogenannte Powersharing auf der Grundlage des Belfast Agreement die Entscheidungsfindung der nordirischen Regierung sehr erschwert (auch wenn die Regierung nicht gerade aufgelöst ist wie derzeit), hat sich Irland dieser Anliegen bisher angenommen. Die Erhaltung friedlicher Beziehungen auf der irischen Insel sowie die Vermeidung unverhältnismäβiger wirtschaftlicher Nachteile aufgrund unilateraler Aktionen Groβbritanniens sollten jedoch als gesamteuropäische Interessen definiert werden können.