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Startschuss für den Innovationsfonds: Der Innovationsfonds als Motor für eine bessere Patient*innenversorgung

„Die Probleme sind so groß, dass wir alle gemeinsam für diese Menschen kämpfen müssen.“

Mit diesem Satz fasst Prof. Joseph Hecken, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, den Zweck des so komplex klingenden Großprojekts „Innovationsfonds“ zusammen. Am 23. Januar 2017 fiel der Startschuss für die ersten 91 innovativen Projekte, die die Patient*innenversorgung auf lange Sicht verbessern sollen. Im ersten Jahr werden nun deutschlandweit 29 Projekte zu neuen Versorgungsformen und 62 Projekte zur Versorgungsforschung gefördert. In den Genuss einer Förderung kommen auch fünf Projekte aus Berlin zu neuen Versorgungsformen sowie sieben Berliner Projekte im Bereich der Versorgungsforschung.

Der Innovationsfonds als Motor für eine bessere Patient*innenversorgung

Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz erhielt der Gemeinsame Bundesausschuss den Auftrag, neue Versorgungsformen zu fördern. Ziel ist es, die Gesetzliche Krankenversicherung weiterzuentwickeln.

Die Bundesregierung hat dazu einen Innovationsfonds aufgelegt. 2016-2019 sollen jährlich 300 Millionen Euro, insgesamt also 1,2 Milliarden Euro, dazu verwendet werden, neue Versorgungsformen zu fördern und zu erforschen. Jährlich werden daraus 225 Millionen für die Förderung neuer Versorgungsformen und 75 Millionen für die Förderung der Versorgungsforschung verwendet. Der Innovationsfonds wird aus Mitteln der gesetzlichen Krankenkassen und aus dem Gesundheitsfonds finanziert. Die Mittel-Verwaltung erfolgt durch das Bundesversicherungsamt. Der Innovationsausschuss legt die Kriterien fest und entscheidet bei Anträgen auf Förderung. Angesiedelt ist er beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), dem obersten Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzt*innen, Zahnärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland.

Der Innovationsausschuss besteht aus zehn Mitgliedern. Diese setzen sich zusammen aus Vertreter*innen von Selbstverwaltungsorganisationen, des Bundesgesundheitsministeriums und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zudem gibt es einen Expert*innenbeirat, der Empfehlungen ausspricht und eine Patient*innenvertretung mit Mitberatungs- und Antragsrecht.

„Das Wohl der Patient*innen muss in den Mittelpunkt gestellt werden“

Bereits das erste Jahr habe für eine bessere Kooperationskultur zwischen Berufsgruppen, Fachdisziplinen und Akteur*innen wie beispielsweise Kommunen, die nicht direkt mit der Krankenversorgung zu tun haben, gesorgt. Es sei wichtig, die Versorgung zu verbessern und das Wohl der Patient*innen dabei in den Mittelpunkt zu stellen. Deutschland sei nach Japan das Land mit der ältesten Bevölkerung, Herausforderungen, wie die Multimorbidität nähmen zu. Schon jetzt sind Versorgungsengpässe besonders in ländlichen Gebiete spürbar. Der Innovationsfonds ist hier eine Chance, hiermit könnten Brücken geschlagen werden. Die mit dem Innovationsfonds erzielten Maßnahmenergebnisse sollen möglichst breit zugänglich gemacht werden.

Prof. Joseph Hecken, auch Vorsitzender des Innovationsfonds, berichtete, dass zu Beginn des Innovationsfonds am 1. Januar 2016 zunächst noch viele Fragen technischer Art geklärt werden mussten, bevor mit der Umsetzung der Arbeit des Innovationsausschusses (siehe Paragrafen 92 a und 92 b SGB V) begonnen werden konnte. So galt beispielsweise zu klären, ob für das Auswahlverfahren das Europarecht gelte, oder ob Mittel teilweise in das nächste Haushaltsjahr übertragen werden könnten. Dank der Mithilfe des Deutschen Bundestages konnten die Fragen schnell geklärt werden, sodass bereits im April 2016 die Bekanntmachung der ersten Förderwelle erfolgte. „Der Gesetzgeber hat auf Innovationskraft vertraut“ resümierte Hecken. In der hochkomplexen Gesundheitsversorgung gebe es keine Erkenntnisdefizite zur derzeitigen Versorgungssituation. Viele sachgerechte Lösungen könnten dennoch nicht umgesetzt werden, da dieses derzeitig noch Hindernisse und interessensgeleitete Strukturen vielfach verhindern. Deshalb sollen Lösungen „von unten nach oben“ gefördert werden.

Etwa 700 Projektanträge wurden eingereicht, aus denen 91 innovative Projekte ausgewählt wurden. Es sei lediglich eine Klage eingelegt worden, was für die Qualität des Auswahlverfahrens spräche. Hecken freut sich über diesen guten Schnitt und lobte die hochqualifizierten Anträge, die ein großes Spektrum an Themenfeldern abdeckten. Allerdings sind jedoch wenige Anträge zu den Themen Delegation und Substitution eingereicht worden. Hier hofft Hecken, dass sich dies in der nächsten Antragsvergabewelle ändere. Mehr eigene Verantwortung würde den Pflegeberuf aufwerten.

„Die Probleme sind so groß, dass wir alle gemeinsam für diese Menschen kämpfen müssen“

Prof. Joseph Hecken bedankte sich bei den Vertreter*innen der Projekte und rief ihnen ins Bewusstsein, dass ab jetzt die Verantwortung bei jedem Projekt selbst liege. „Die Aufgabe endet nicht mit dem Erhalt des Zuschlages, sondern mit der Umsetzung des, auf Papier erarbeiteten Konzepts, in der realen Welt. Aber am Ende dürfe es nicht 500 Insellösungen geben, die mit Beendigung des Fonds in sich zusammenfallen. Dann wäre der Fonds gescheitert, erklärte Prof. Joseph Hecken. Das optimale Ziel ist, dass die Projekte bei den Patient*innen direkt ankommen, sich die Versorgung also spürbar verbessere, sich eine wirtschaftliche Verbesserung einstelle und beides nachhaltig anhalte. Dann könnten die Projekte in große Selektivverträge, oder noch besser, in die Regulärverfahren umgewandelt werden. Mit den Projekten seien große Hoffnung und Erwartung verbunden: Die Probleme sind so groß, dass wir alle gemeinsam für diese Menschen kämpfen müssen.

„Patient*innen müssen als Subjekte und nicht als Objekte wahrgenommen werden“

Die drei wesentlichen Erfolgsfaktoren der Projekte aus Patient*innensicht beschrieb die Patient*innenvertreterin im Innovationsausschuss, Dr. Ilona Köster-Steinebach:

  • Umsetzbarkeit
  • Verbesserung der Versorgung:
    • Wahrnehmung der Patient*innen als Subjekte
    • Einbindung von Patient*innen/Patient*innenorganisationen in die Projekte
    • Stärkung der Patient*innensouveränität und -rechte
    • Berücksichtigung der Barrierefreiheit auf Ebene der Sprache, Wissenskenntnisse, Behinderung und bei chronischen Erkrankungen
    • Erkennbare, patient*innenrelevante Endpunkte
    • Systeminnovationen, wie neue Wege der Kommunikation, Organisation und Patient*innenintegration
  • Übertragbarkeit in den Kollektivvertrag.

Dass der Innovationsfonds nach 2019 weitergeführt wird, erhofft sich Köster-Steinebach.  Auch wenn nicht alle Projekte erfolgreich sein werden, könne das Großprojekt insgesamt Erfolg haben. Sie empfahl, dass für zukünftige Projekte längere Laufzeiten eingeplant werden sollten. Wenn Versorgungsstrukturen verändert werden sollen, brauche dieses mehr Zeit.

„Der Innovationsfonds ist ein Glücksfall für die Versorgungsforschung“

Heute werden die Versorgungsformen von Morgen geschaffen. Der Innovationsfonds sei ein Glücksfall, erklärte Prof. Dr. Holger Pfaff, Vorsitzender des Expert*innenbeirates. Aufgabe dieses Beirates ist es, die Anträge mit spezifischen Methoden im Praxistest, Wirksamkeitstest und Politiktest zu untersuchen, sodass dieser im Anschluss belastbare Aussagen zu den Erfolgsfaktoren Machbarkeit, Wirksamkeit und Patientenrelevanz der einzelnen Projekte treffen kann. Mit den Innovationsfonds werde ein Förderdreieck für die Forschung entwickelt, freute sich Pfaff. So können auch die Hochschulen sich der Aufgabe bewusst werden, Nachwuchs für die Versorgungsforschung zu finden und ihnen eine Karriereperspektive an den Universitäten zu bieten.

Aus der Perspektive der Patient*innen betrachtet, führe der Innovationsfonds dazu, dass zielgenauer gearbeitet werden kann - die Wissenschaft werde also praktischer und die Praxis wissenschaftlicher. Im ersten Jahr werden nun deutschlandweit 29 Projekte zu neuen Versorgungsformen und 62 Projekte zu Versorgungsforschung gefördert. Es wird in den nächsten Jahren jedoch weitere Fördermöglichkeiten geben.

Ich freue mich über die Förderung folgender fünf Projekte zu neuen Versorgungformen im Raum Berlin, die ich in einem vorherigen Artikel bereits vorgestellt habe:

  • RESIST - RESISTenzvermeidung durch adäquaten Antibiotikaeinsatz bei akuten Atemwegsinfektionen - Antragsteller*in: vdek: Dr. Julia Iwen
  • Enhanced Recovery after Intensive Care (ERIC) - Antragsteller*in: Charité Universitätsmedizin Berlin: Univ.-Prof. Dr. Claudia Spies
  • Verbesserung der Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen durch Umsetzung von im nationalen Aktionsplan (NAMSE) konsentierten Maßnahmen - Antragsteller*in: Charité Universitätsmedizin Berlin: Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich
  • Akutneurologische Versorgung in Nordostdeutschland mit telemedizinischer Unterstützung (ANNOTeM) - Antragsteller*in: Charité Universitätsmedizin Berlin: Prof. Dr. med. Heinrich Audebert
  • BGM-innovativ: Arbeitsplatznahes, trägerübergreifendes Versorgungsmanagement der Betriebskrankenkassen - Antragsteller*in: BKK Dachverband e.V.: Thomas Moormann

Neu gefördert im Bereich der Versorgungsforschung werden folgende sieben Projekte im Raum Berlin:

1) Verbesserung der Notfallversorgung von Herzinfarktpatient*innen in Berlin und Brandenburg (QS‐Notfall)

Antragstellerin ist Dr. Birga Maier des Vereins Berliner Herzinfarktregister e.V. an der TU Berlin. Konsortialpartner sind: Rettungsdienst Oberhavel GmbH, Oberhavel Kliniken GmbH Hennigsdorf, Rettungsdienst Havelland GmbH, Havelland Kliniken GmbH Nauen, Berliner Feuerwehr und Universitätsklinikum Hamburg‐Eppendorf.

Das Projekt gehört zum Themenfeld 1: Qualitätssicherung und Patient*innensicherheit. Ziel ist, die Notfallversorgung von Herzinfarktpatient*innen in Berlin und in 2 Brandenburger Landkreisen zu verbessern, indem die Versorgungszeiten ‐ als Indikator für die Versorgungsqualität und als Surrogatparameter für Mortalität und Morbidität ‐ verkürzt werden sollen.

Methodisch handelt es sich um eine interventionelle Versorgungsforschungsstudie mit einem "Vorher‐Nachher Vergleich", bei der eingangs die Daten des BHIR und der Rettungsdienste in Berlin, Oberhavel und Havelland analysiert werden. Dazu erfolgt eine Verknüpfung der Daten der Rettungsdienste und des BHIR auf der Basis eines entsprechend abzustimmenden Datenschutzkonzepts. Die notärztlichen EKG‐Befunde werden verblindet validiert. Im Anschluss an die Basiserhebung sind Interventionen geplant, die darauf abzielen, die Versorgungszeiten für Herzinfarktpatient*innen vom ersten medizinischen Kontakt bis zur Wiedereröffnung des verschlossenen Gefäßes zu verkürzen. Dann folgt eine erneute Datenauswertung mit Verknüpfung der Daten der Rettungsdienste und des BHIR.

Verwertungspotenzial: Unseres Wissens ist es das erste Projekt in Berlin und Brandenburg, das zur Qualitätssicherung in der Erstversorgung von Infarktpatient*innen Daten der Rettungsdienste mit stationären Daten verknüpft, aus den Ergebnissen der Analysen und in Diskussionen mit allen Beteiligten Interventionen ableitet und umsetzt, und über ein regelmäßiges Linkage der Rettungsdienst‐ und Klinikdaten wiederum den Erfolg der Interventionen messen will.

2) Patientenbezogener Nutzen neuer Arzneimittel in der Onkologie (ReVOn)

Antragsteller ist Prof. Dr. Bernhard Wörmann der Deutschen Stiftung für Versorgungsforschung in der Onkologie. Die Konsortialpartner*innen sind Universitätsmedizin Göttingen, Universitätsklinikum Düsseldorf, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Universität Lübeck, Arzneimittelinformationsdienst e.V. Berlin, Universität Bonn, Universitätsklinikum Nürnberg, Universitätsklinikum München, Universitätsklinikum Hamburg‐Eppendorf, Hochschule Neubrandenburg und WINHO GmbH Köln.

Das Projekt gehört in das Themenfeld 1: Qualitätssicherung und Patientensicherheit.

Die medikamentöse Krebstherapie erlebt zurzeit einen enormen Aufschwung mit 10‐15 neuen Onkologika pro Jahr. Die Entwicklung entspricht dem hohen medizinischen Bedarf. Allerdings sind die für Zulassung und Nutzenbewertung vorgelegten Daten oft nicht ausreichend für eine umfassende Bewertung der neuen Arzneimittel. Es fehlt ein standardisiertes und validiertes Verfahren zur Erfassung von Sicherheit und patient*innenbezogenem Nutzen neuer Arzneimittel im Versorgungsalltag. Wir planen die Einrichtung und Auswertung eines unabhängigen, indikationsbezogenen, bundesweiten, qualitätsgesicherten Registers für drei repräsentative onkologische Indikationen: ‐metastasiertes Mammakarzinom ‐ metastasiertes, kastrationsresistentes Prostatakarzinom ‐Multiples Myelom unter direkter Beteiligung der Patient*innen. Vorwiegend in einem elektronischen Portal wird der Therapie­verlauf parallel durch die behandelnden Ärzt*innen und durch die Patient*innen dokumentiert. Das Projekt liefert unmittelbar versorgungsrelevante Daten zum Einsatz neuer Arzneimittel, zu ihrer Wirksamkeit und Sicherheit, sowie zum Patient‐Reported‐Outcome.

Ziel ist der Aufbau eines Modells zur Erfassung des Nutzens neuer Arzneimittel. Begleitprojekte untersuchen Patient*innenpräferenz, Gesundheits­ökonomie, Pharmakologie, Relevanz von Biomarkern und methodische Fragen. Das Projekt wird von Selbsthilfegruppen, wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften, Berufsverbänden, Studiengruppen und universitären Einrichtungen unterstützt.

3) Regionale Versorgung von Frauen über 49 Jahren durch Fachärzt*innen für Gynäkologie und für Allgemeinmedizin (Frauen 5.0)

Antragstellerin ist Dr. med. Lorena Dini der Charité - Universitätsmedizin Berlin. Konsortialpartner ist das Robert Koch‐Institut.

Das Projekt gehört in das Themenfeld 4: Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit. Im Rahmen des demographischen Wandels und des reduzierten Zuganges zu Fachärzt*innen für Gynäkologie und Geburtshilfe (Gyn) werden insbesondere Frauen mittleren Alters und ältere Frauen in ländlichen Gebieten vom Mangel an frauenärztlicher Versorgung betroffen sein.

Primäres Projektziel ist die Erforschung ihrer veränderten Betreuungssituation anhand einer Beschreibung der aktuellen Versorgungslage durch Gynäkolog*innen (Gyn) und Hausärzt*innen (HÄ) und die Identifizierung von Innovationspotentialen in einer fachübergreifenden Versorgung, bspw. durch die Schaffung einer angepassten Arbeitsteilung und die Identifizierung weiterer Lösungsansätze, um der drohenden Unterversorgung zu begegnen.

Es werden Sekundärdaten aus dem Bestand des Robert Koch‐Instituts (bundesweite repräsentative Stichprobe von ca. 2300 über 49‐jährigen Frauen) analysiert und ca. 1000 HÄ und 500 Gyn aus Brandenburg und Mecklenburg und Berlin befragt. Zusätzlich erfolgt eine qualitative Patient*innenbefragung durch leitfadengestützte Interviews. Auf der Grundlage eines Leistungskatalogs werden Vorschläge zur Entwicklung eines fachüber­greifenden Versorgungsmodells erarbeitet. Mit der Evaluation der bisher nicht erforschten Schnittstelle Allgemeinmedizin‐Gynäkologie werden relevante Indikatoren der Versorgung von über 49‐jährigen Frauen analysiert, um erforderliche Innovationen zu formulieren und einen gerechten Zugang der älter werdenden weiblichen Bevölkerung zur adäquaten Versorgung zu gewährleisten.

4) Notfallversorgung von Migranten und Geflüchteten
(NoMiG)

Antragsteller ist Prof. Dr.-Ing Thomas P. Zahn der bbw Hochschule. Konsortialpartner sind Charité - Universitätsmedizin Berlin und Universität Bielefeld.

Das Projekt gehört zu Themenfeld 4: Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit.

Ziel des Projektes ist die Erforschung der Ursachen für die unangemessene Nutzung der Notfallversorgung durch Migrant*innen und Geflüchtete und Identifikation wirksamer Gegenmaßnahmen. Dazu sollen Beweggründe von 2.000 Patient*innen mit vs. ohne Migrationshintergrund für die Nutzung von Notfallambulanzen erfasst und analysiert werden und Informationsbedürfnisse, optimierte Strukturen und Einflussmöglichkeiten auf das Inanspruchnahme‐Verhalten identifiziert werden. Zur systematischen Erfassung der Kenntnisse, Beweggründe und Erwartungen von Geflüchteten aus Bürgerkriegsregionen sollen zusätzlich ca. 500 Teilnehmer*innen von Integrationskursen in Form strukturierter muttersprachlicher Interviews befragt werden. Die Determinanten für die unangemessene (vs. angemessene) Nutzung der Notfallaufnahme sollen durch ein geeignetes Regressionsmodell mit Adjustierung für Störgrößen ermittelt werden, wobei durch die gewählte Stichprobe und Studienmethode auch eine Analyse nach Kulturkreisen, Gesundheitswissen und Lebenssituation möglich wird. Mit diesem Projekt soll ein wesentlicher Beitrag geleistet werden, eine statistisch relevante und aktuelle Datengrundlage zu erstellen, auf deren Basis es möglich wird, wirksame interkulturelle Konzepte zur bedarfsgerechten und wirtschaftlichen Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in die deutsche Regelversorgung zu entwickeln.

5) Inanspruchnahme und sektorenübergreifende Versorgungsmuster von Patienten in Notfallversorgungsstrukturen in Deutschland (INDEeD)

Antragsteller ist Prof. Dr. med. Martin Möckel der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Die Konsortialpartner sind Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland, Wissenschaft­liches Institut der AOK (WIdO), Universitätsklinikum Magdeburg, Technische Universität Berlin, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Technologie‐und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V. und OFFIS e.V.

Das Projekt gehört zum Themenfeld 6: Einsatz und Verknüpfung von Routinedaten.

Ziel des Projektes ist es, die Inanspruchnahme des Gesundheitssystems vor und nach einer Behandlung in der Notaufnahme zu untersuchen. Im Vordergrund soll die Schätzung von Häufigkeiten und die Identifikation von Einflussfaktoren für die adäquate, inadäquate und vermeidbare Nutzung von Versorgungsstrukturen, insbesondere von Notaufnahmen, stehen. Weiterhin sollen Einflussfaktoren für einen ungünstigen Krankheitsverlauf, identifiziert werden.

Methodisches Vorgehen: Routinedaten der kassenärztlichen Vereinigungen zur ambulanten Versorgung in Arztpraxen oder durch kassenärztliche Notdienste werden mit Behandlungsdaten aus 15‐20 Notaufnahmen und Krankenhäusern verknüpft.

Verwertungspotenzial: Die Ergebnisse des Projektes werden aus verschiedenen Perspektiven analysiert, um Ansatzpunkte zur Verbesserung bzw. Vermeidung der Notfall‐und Akutversorgung zu identifizieren. Anschließend werden Modelle zur Anpassung der ambulanten und notfallmedizinischen Versorgungsstrukturen entwickelt um die Qualität der medizinischen Behandlung zu verbessern. Diese Modelle sollen sich insbesondere am Bedarf der Patient*innen orientieren und die Angemessenheit der Versorgungsstrukturen unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Patient*innen sicherstellen.

6) Gestuftes Versorgungsmodell zur Förderung der mentalen Gesundheit von Flüchtlingen (Mental Health in Refugees and Asylum Senkers) (MEHIRA)

Antragsteller ist Prof. Dr. Malek Bajbouj der Charité - Universitätsmedizin Berlin. Konsortialpartner sind Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, Universitätsklinikum Aachen und Universitätsklinikum München.

Dieses Projekt gehört zum Themenfeld: Themenoffen.

Ziel von MEHIRA ist die Überprüfung eines Modells zur effektiveren Gesundheitsversorgung von in Deutschland lebenden, jugendlichen und erwachsenen Flüchtlingen mit Depressionen.

Methodisch werden hierzu in sieben deutschen Städten in einer prospektiven, clusterrandomisierten Interventionsstudie Effektivität und Effizienz eines gestuften Versorgungsmodells („Stepped and Collaborative Care Modell“) gegen eine Standardbehandlung („Treatment as Usual“) bei insgesamt 476 Patient*innen verglichen. Grundprinzip des untersuchten Versorgungsmodells ist es, dass Patient*innen mit leichten bis mittelschweren Depressionen mit einfach zugänglichen und kostengünstigen Behandlungen versorgt werden, die außerhalb der klassischen psychiatrisch‐psychotherapeutischen Institutionen lokalisiert sind (z.B. Peer‐to‐Peer‐Ansätze oder Smartphone‐basierte Anwendungen).

Verwertungspotenzial: Die gewonnenen Erkenntnisse zum gestuften Versorgungsmodell und zu den einzelnen niedrigschwelligen Behandlungen bei Jugendlichen und Erwachsenen können unmittelbar für die Versorgung von Flüchtlingen, aber auch zur Verbesserung der Versorgung von weiteren Bevölkerungsgruppen mit erschwerten Zugang zum Gesundheitssystem verwendet werden. Die im bundesweiten Screeningprozess gewonnenen Krankheitsdaten können unmittelbar einer Steuerung der Angebote für die Verbesserung der mentalen Gesundheit der Flüchtlinge durch staatliche Institutionen sowie gesetzlichen Krankenversicherungen Verwendung finden.

7) Bestandsaufnahme und Weiterentwicklung der Notfall‐ und Akutversorgung im Land Brandenburg (Notfall‐ und Akutversorgung Brandenburg)

Antragsteller ist  Dr. Marc Kurepkat der CSG Clinische Studien Gesellschaft GmbH. Konsortialpartner gibt es keine.  

Dieses Projekt gehört zum Themenfeld: Themenoffen.

Eine systematische sektorenübergreifende Bestandsaufnahme und Bewertung der Notfall‐und Akutversorgung (vertragsärztlicher Bereitschaftsdienst, Krankenhaus‐Notfallaufnahme, Rettungsdienst) im Land Brandenburg wird auf empirischer Basis (quantitative Bevölkerungs‐/Patient*innenbefragung, qualitative Anbieter*innenbefragung; Sekundärdaten) durchgeführt. Im Fokus stehen Fragen der Organisation der Notfallversorgung (u.a. rechtliche Rahmenbedingungen, Finanzierung, Zuständigkeiten, Strukturen und Prozesse), dem Versorgungsgeschehen (u.a. Wie viele Patient*innen nehmen pro Jahr eine Notfallversorgung in Anspruch? Wann, wo, durch wen und wie wurden die Patient*innen behandelt?), den regionalen Unterschieden sowie dem Wissensstand der Bevölkerung in Bezug auf die Notfall‐und Akutversorgung. Durch die Beteiligung des Gemeinsamen Landesgremiums (§ 90a SGB V) stehen dem Projekt zu allen Belangen der Notfallversorgung die erforderlichen Expertisen sowie Datengrundlagen zur Verfügung.

Außerdem ist eine Evaluation regionaler Modellansätze der Notfallversorgung vorgesehen, v.a. im Hinblick auf Patient*innenorientierung, Triagierung und Outcomes.

Auf Basis dieser empirisch fundierten Analysen werden in einem dialogischen Prozess konkrete Maßnahmen für den Praxistransfer und für eine möglichst nachhaltige Umsetzung zur strukturellen und organisatorischen Verbesserung der Notfallversorgung entwickelt, um die Qualität, Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit der Versorgung von GKV‐Notfallpatienten zu erhöhen.