Seit über einem Jahrhundert existiert zwischen Afghanistan und Deutschland eine tiefe und stets freundliche und hilfsbereite Beziehung, erläuterte der Ex-Vizepräsident Afghanistans und Stellvertreter des Hohen Friedensrates des Landes Abdul Karim Khalili in einem Gespräch am 28. Februar 2017 im Deutschen Bundestag. Ich habe mich über diese deutsch-afghanische Begegnung sehr gefreut.
Afghanistan sei ein Land, welches durch eine lange Geschichte von Kriegen gezeichnet sei und auch heute noch durch das Vorgehen der Taliban und des IS gebeutelt ist. Deutschland stehe bei der Bewältigung ihrer Vergangenheit, ihrer Gegenwart und der Gestaltung ihrer Zukunft an der Seite Afghanistans- Dafür danke er aus tiefstem Herzen. Khalili würdigte die humanitäre Hilfe und die militärische Unterstützung Deutschlands, den großen Einsatz der in Afghanistan ehemals stationierten Soldat*innen. Er ehrte insbesondere die 56 deutschen Soldat*innen, die in Afghanistan ums Leben gekommen sind und sprach deren Familien sein Beileid aus.
Khalili weilte zusammen mit einer Delegation auf Einladung der sich in Gründung befindlichen Deutsch-Afghanischen Stiftung, in dessen Stiftungsbeirat ich bin, für mehrere Tage in Berlin. Es wurde zahlreiche Gespräche geführt mit Vertreter*innen des Bundes und des Landes Berlin zum Thema, weitere Unterstützung des afghanischen Friedensprozesses und aktuelle Herausforderungen im Kontext von Flucht, Migration und Integration.
„Gute Freunde stehen einem in schlechten Zeiten bei“ und diese Freundschaft würden sie niemals vergessen, äußerte Khalili unter starkem Zuspruch aller Anwesenden.
„Gute Freunde stehen einem in schlechten Zeiten bei“
Die Beziehungen zwischen Deutschland und Afghanistan begannen bereits 1915 mit einer ersten Kontaktaufnahme zwischen den Regierungen des Deutschen Reiches und des Emirats Afghanistan. Offiziell wurden diplomatische Beziehungen zwischen beiden Ländern jedoch erst im Jahr 1922 aufgenommen.
Trotz einer sehr guten und fortschrittlichen Verfassung Afghanistans gibt es dort noch keine Demokratie wie wir sie in Deutschland kennen. Zum einen liegt das an veralteten Gesetzen zum anderen, aber auch an den noch andauernden (kriegerischen) Auseinandersetzungen vor allem aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit und Religionsausrichtungen. Zwischen 1996 und 2001 beherrschten die Taliban große Teile des Landes und behinderten so die Entwicklung einer Demokratie.
Während und auch nach der Herrschaft der Taliban unterstützt Deutschland Afghanistan auf seinem Weg zur Demokratie und zu einem Staat, in dem ein unbeschwertes, sicheres Leben möglich ist, besonders im Bereich der Sicherheit. Die ISAF (International Security Assistance Force) hatte seit Dezember 2001 das Mandat der Vereinten Nationen, die Staatsorgane Afghanistans bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit zu unterstützen. Am 22. Dezember 2001 stimmte der Deutsche Bundestag erstmals der Entsendung deutscher Streitkräfte zur Umsetzung der Resolution 1386 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen mit großer Mehrheit zu. Am 31. Dezember 2014 endete das ISAF-Mandat. Unmittelbar im Anschluss an ISAF begann die Nachfolgemission Resolute Support (RS), zur Ausbildung, Beratung und Unterstützung der Afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräfte. Deutschland hat in diesem Rahmen mit Hilfe von 19 Partnernationen die Verantwortung für den Standort Masar-e Scharif im Norden übernommen. Der Bundestag stimmte am 18. Dezember 2014 und erneut am 17. Dezember 2015 dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu.
Als Zeichen der Verbundenheit zwischen den Staaten und der Bevölkerung wurde auch gewertet, dass der deutsche Botschafter als erster ausländischer Missionschef bereits im Januar 2002 der neuen Übergangsregierung sein Beglaubigungsschreiben überreicht hatte. Im Juni 2013 nahm außerdem das Generalkonsulat in Masar-e Sharif seine Arbeit auf. Die deutsche Botschaft und das Generalkonsulat unterhalten enge Kontakte zu den Vertreter*innen des politischen Lebens in Afghanistan und betreuen Projekte der deutschen humanitären Hilfe, der Entwicklungszusammenarbeit und des Wiederaufbaus
Wiederaufbau und humanitäre Hilfe
Der zivile Wiederaufbau steht im Mittelpunkt des deutschen Engagements in Afghanistan. Vor dem Hintergrund der Strategie einer „Übergabe in Verantwortung“ und Zusagen der afghanischen Regierung in den Bereichen Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung auf den Afghanistan-Konferenzen in London, Kabul und Tokio hat die Bundesregierung ihre zivilen Hilfszusagen seit 2010 auf 430 Mio. Euro jährlich bis einschließlich 2016 erhöht. Diese Unterstützung hat die Bundesregierung auf der Brüsseler Afghanistan-Konferenz am 05. Oktober 2016 bekräftigt und für den Zeitraum 2017 bis 2020 bis zu 1,7 Mrd. EUR für den zivilen Wiederaufbau und die Stabilisierung in Afghanistan in Aussicht gestellt.
Der regionale Fokus der deutschen Wiederaufbauarbeit liegt im Norden Afghanistans. Darüber hinaus werden gezielt auch landesweite nationale Programme der afghanischen Regierung sowie Projekte in anderen Regionen Afghanistans und insbesondere in Kabul unterstützt. Außerdem können afghanische Kinder mit Herzfehler, organisiert von verschiedenen Kinderhilfsorganisationen, in Krankenhäusern in Deutschland behandelt werden.
Ein Leben in Frieden und Sicherheit
Trotz der Unterstützung Deutschlands, der NATO und der Vereinten Nationen ist die Situation in Afghanistan weiterhin schwierig und auf keinen Fall sicher. Steigende Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und die andauernde Bedrohung durch die Taliban und den IS machen den Menschen das Leben dort schwer.
Gerade in den letzten drei Jahren, so Khalili, habe sich die Situation wegen des IS in Afghanistan wieder verschlechtert. Menschen, die in Zentralafghanistan leben, könnten ihre Regionen häufig nicht verlassen, da die Wege von Kämpfern der Taliban oder des IS besetzt seien. Selbstmordattentäter*innen verübten Anschläge, Moscheen stünden in Flammen.
Aus diesen Gründen fliehen viele, vor allem junge Menschen aus Afghanistan, z.B. nach Deutschland. „Das Heimatland ist wie eine Mutter“, sagte der Ex-Vizepräsident. Es sei schwer die Geborgenheit, die es einem biete, aufzugeben. Dennoch begeben sich viele auf einen langen, beschwerlichen und gefährlichen Weg, in der Hoffnung auf ein Leben mit Perspektive in Frieden und Sicherheit.
Khalili betonte, dass im Augenblick keine Region in Afghanistan sicher genug sei, um Geflüchtete dorthin zurückzuschicken. Ihm sei es unbegreiflich, dass die afghanische Regierung sage, es könnten Afghanen könnten sicher in ihr Land zurückkehren. Ihm sei auch unverständlich, dass die deutsche Regierung diesen Aussagen nichts entgegensetze.
Schwere Zeiten können überwunden werden
Am 16. Mai 2012 unterzeichneten Bundeskanzlerin Merkel und der damalige afghanische Präsident Karsai ein bilaterales Abkommen zur Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Afghanistan. Dieses Partnerschaftsabkommen regelt die Beziehungen zu Afghanistan langfristig und erfasst thematisch alle wichtigen Bereiche der bilateralen Beziehungen Deutschlands mit Afghanistan.
Die Vereinbarung legt fest, dass eingegangene Verpflichtungen, insbesondere zur Verwirklichung der gemeinsamen Werte der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit, zur Einhaltung der Prinzipien guter Regierungsführung, zur Reform der öffentlichen Verwaltung und zur Korruptionsbekämpfung durch die afghanische Seite umzusetzen sind. Beide Länder haben das Partnerschaftsabkommen ratifiziert.
Die Menschen in Afghanistan seien ein friedfertiges Volk. Die Menschen wünschten sich nichts sehnlicher als friedlich und sicher zusammen leben zu können, so Khalili. Er glaube fest daran, dass schwere Zeiten überwunden werden können, besonders mit der Hilfe Deutschlands und anderer Staaten.
Fraktion vor Ort-Veranstaltungen zu Afghanistan
Afghanistan ist ein Land, welches schon seit Jahren im Mittelpunkt des Interesses nicht nur von mir sondern auch vieler Bürger*innen steht. Das hatte bereits meine Fraktion vor Ort-Veranstaltung „Afghanistan - wie weiter?“ 2013 deutlich gezeigt. Die nächste Veranstaltung wird in den kommenden Monaten im Deutsch-Afghanischen Begegnungszentrum in Reinickendorf stattfinden.