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Rede zum Thema Recht auf Kenntnis der Abstammung

 Rede von Mechthild Rawert, MdB, zu TOP 35, 1. Lesung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen am 9. März 2017 (Rede zu Protokoll)

Die reproduktive Medizin, ihre technischen Möglichkeiten und damit verbundene ethische Fragen und gesellschaftliche Auswirkungen sind zentrale gesellschaftspolitische Themen. Es geht um die Freiheit, unterschiedliche Familienformen selbstbestimmt zu gestalten und zu verantworten, es geht um die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und geht um die Erfüllung im Leben. Es geht schlicht darum, dass Kinder entstehen und geborgen aufwachsen können. Es geht also um etwas sehr Lebensnahes, was die allermeisten Menschen zutiefst berührt.

Damit hole ich weit aus - der Regelungsinhalt des vorliegenden Gesetzentwurfs „zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen“ ist im Vergleich dazu viel spezifischer und abgegrenzter, greift aber Regelungen auf, die der rechtlichen Klarstellung dienen.

Jeder Mensch hat das aus dem Persönlichkeitsrecht folgende Recht auf Kenntnis seiner Abstammung. Wir regeln nun, dass dieses Recht auch für Menschen gilt, die durch Samenspende gezeugt wurden. Wir schaffen zum einen die rechtlichen Voraussetzungen für die Errichtung und Führung eines bundesweiten Samenspenderregisters beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI). In dieser zentralen Datenbank werden die Daten sehr lange – 110 Jahre – aufbewahrt. Endlich werden auch Verfahren vereinheitlicht und vereinfacht.

Wir regeln aber auch, dass der Samenspender weder durch das Kind noch durch dessen Eltern als rechtlicher Vater in Anspruch genommen werden kann. Zwischen Samenspendern und den durch die Samenspende gezeugten Personen entstehen also keine Erbschafts- bzw. Unterhaltsansprüche. Die biologischen Spender werden entlastet, bei Wunsch des Kindes auf Kenntnis der Abstammung Verantwortung übernehmen zu müssen. Diese Rechtssicherheit führt voraussichtlich auch zu einer größeren Spendebereitschaft. Ich bin davon überzeugt: Die mit dem Gesetz hergestellte Rechtssicherheit hilft allen, den Frauen, den biologischen Spendern, den durch Samenspende gezeugten Kindern. Dank der nun hergestellten Rechtssicherheit wird die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme, eines Kennenlernens erleichtert.

Die Notwendigkeit dieser gesetzlichen Regelungen ergeben sich aus mehreren Gerichtsurteilen: Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Januar 1998, des Oberlandesgerichts Hamm vom 6. Februar 2013 und zuletzt des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2015. Dieses Urteil stellt klar, dass durch Samenspende gezeugte Personen unabhängig von ihrem Alter ein Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung haben.

Wie gesagt: Dieses Gesetz ist klar umrissen, es verfolgt nicht den Anspruch einer umfassenden Regelung der vielen Fragen zum Abstammungsrecht. Dennoch stellen sich mir auch bei diesem abgegrenztem Sachverhalt Fragen und Forderungen, die Gegenstand einer Anhörung sein sollten:

Der Gesetzentwurf nimmt ausschließlich Bezug auf die ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung, auf die „offizielle“ Samenspende. Gerade damit haben aber lesbische oder alleinstehende Frauen ein Problem, denn ihnen wird derzeit von vielen Ärztinnen und Ärzten, von Ärztekammern genau diese Form der Samenspende verwehrt. Ich plädiere dafür, dass für lesbische Frauen bzw. Paare oder alleinstehende Frauen die gleichen Rechte gelten wie für heterosexuelle Menschen, wenn es um die künstliche Befruchtung geht. Ich bin der Meinung, dass eine heterologe Insemination allen offen stehen sollte.

In unserer bunten Lebenswirklichkeit finden derzeit zahlreiche „private“ heterologische Inseminationen statt. Sollen diese gesondert geregelt werden? Oder ist es sinnvoller, die Anreize für eine private Insemination zu reduzieren, zum Beispiel, indem wir gesetzlicherseits den Kreis derer ausweiten, die berechtigt sind, eine künstliche Befruchtung vorzunehmen, indem Ärztinnen oder Ärzte zum Beispiel lesbische Paare nicht mehr abweisen dürfen?

Wir leben in einer bunten Lebenswirklichkeit mit einer Vielfalt von Familienkonstellationen. Wir leben auch mit einem enormen wissenschaftlichen Fortschritt im Bereich der Reproduktionsmedizin – und daraus folgenden zahlreichen Fragestellungen, die vielfach noch rechtlicher Regelungen bedürfen. In der politischen und gesellschaftlichen Debatte wird dabei auch das jeweilige Familienbild berührt. Wir wissen längst, dass die sexuelle Identität der Eltern nicht entscheidend für das Kindeswohl ist. Die Vielfalt der sexuellen Identitäten der Eltern muss aber auch beim Abstammungsrecht immer mitbedacht werden, damit keine Person, die eine Familie gründen möchte, diskriminiert wird.

Ich stelle mir auch die Frage, welche Regelungen wir hinsichtlich des Rechts auf Kenntnis der Abstammung finden, wenn der biologische Spender in einer ausländischen Samenbank aufgeführt ist. Darf es, kann es eine Ungleichbehandlung der Rechtsfolgen für die Beteiligten zu dem beim DIMDI existierenden Samenspenderregister geben? Vielleicht ist diese Frage aber auch noch nicht im Zusammenhang dieses Gesetzes zu klären.

Es besteht grundlegender Reformbedarf im Abstammungsrecht. Um diesen Reformbedarf zu prüfen und um Lösungen vorzuschlagen hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz im Februar 2015 den interdisziplinären „Arbeitskreis Abstammung“ eingerichtet. Hier sitzen Sachverständige für die Bereiche Familienrecht, Verfassungsrecht, Ethik und Medizin bzw. Psychologie zusammen mit Vertreter*innen verschiedener Bundes- und Landesministerien. Im Sommer 2017 wird es den Abschlussbericht dieser Gruppe geben. Ich bin mir sicher: Zu den Ergebnissen des sehr breiten Themen- und Regelungsbereichs Abstammungsrecht wird es eine intensive gesellschaftliche und politische Debatte geben - und das ist auch gut so. Schließlich erleben wir den medizinisch-technischen und gesellschaftlichen Wandel mit seinen zahlreichen Fragestellungen und Herausforderungen. Wir wollen aber auch sicherstellen, dass eine Geburt ein Freudenereignis ist, wollen, dass Familie mit Sicherheit und Geborgenheit verbunden wird und nicht mit drohenden Rechtsstreitigkeiten oder unklarer Zugehörigkeit.

Mein Fazit: Ich begrüße den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung mit seinen spezifischen Regelungen als einen guten Aufschlag. Wir werden wie bei allen Gesetzen dazu intensive parlamentarischen Beratungen führen. Ich bin aber schon jetzt sehr gespannt auf die große gesellschaftliche und politische Debatte, die wir nach Veröffentlichung des Abschlussberichtes des „AK Abstammung“ zu führen haben. Ich lade Sie ein: Diskutieren Sie mit uns Parlamentarier*innen dazu. Es geht um unser aller Zusammenhalt in Vielfalt.

Herzlichen Dank für ihre Aufmerksamkeit.