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In Straßburg wird Europa erlebbar

Von Manuela Harling, Mitarbeiterin im Wahlkreisbüro Mechthild Rawert

Mitglieder der Deutschen Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) können Bürger*innen ihres Wahlkreises zu einer politischen Informationsfahrt nach Straßburg einladen. Von dieser Möglichkeit hat Mechthild Rawert Gebrauch gemacht.

30 Tempelhof-Schöneberger*innen freuten sich, während der zweiten Session - so heißen die Sitzungswochen der PACE -  vom 25. bis 28. April 2017 in Straßburg, Europa zu schnuppern. Bereits während der mehrstündigen Zugfahrt Berlin - Straßburg am Dienstag wurde viel diskutiert und der Abend zum Altstadtbummel genutzt.

Besuch in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates

Mit der Tram ging es Mittwochmorgen zum Europarat. Nach der Anmeldung der Gruppe und dem Sicherheitscheck wurde die Gruppe vom Besucherdienst des Europarates begrüßt und bekam eine kleine Einführung. Der Europarat ist die älteste zwischenstaatliche Organisation Europas. Er wurde 1949 gegründet und hat seinen Sitz in Straßburg. Mittlerweile gehören dem Europarat 47 Mitgliedstaaten an. Ziele sind der Schutz der Menschenrechte, der pluralistischen Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Die PACE war das erste parlamentarische Gremium auf europäischer Ebene nach dem Zweiten Weltkrieg und stellt heute das größte politische Forum Europas dar. Ihr gehören 318 Parlamentarier*innen aus den Mitgliedsstaaten und ebenso viele Stellvertreter*innen an. Der Deutsche Bundestag ist mit 18 ordentlichen Mitgliedern und entsprechend vielen Stellvertreter*innen vertreten.


Von der Besuchertribüne aus konnte die Gruppe die Debatte über den Bericht „Protecting refugee women from gender-based violence“ von Gisela Wurm, Mitglied der österreichischen Delegation, verfolgen. Erfreulicherseits gab es Einigkeit über Länder- und Fraktionsgrenzen hinweg für die Notwendigkeit eines verbesserten Schutzes für geflüchtete Frauen. Die konnten das Ausmaß der (sexuellen) Gewalt, die geflüchtete Frauen in Notunterkünften und Auffanglagern oft ausgesetzt sind, gar nicht fassen. So berichteten PACE-Mitglieder während der Debatte von Übergriffen in UN-Flüchtlingslagern, aber auch von fehlenden Schutzkonzepten in Not- und Gemeinschaftsunterkünften in den europäischen Ländern. Um - nebenbei erwähnt - der vielsprachigen Debatte folgen zu können, nutzen Besucher*innen ebenso wie Parlamentarier*innen per Kopfhörer den Simultanübersetzungsdienst.


Dankenswerterweis stand Gabriela Heinrich, ebenfalls Mitglied der deutschen Delegation und SPD-Fraktionskollegin, für ein Gespräch zur Verfügung.  Mechthild Rawert konnte wegen kurzfristig angesetzter Berichter*innentermine zur Pflegeberufereform leider nicht teilnehmen. Leider finden die Sitzungen der PACE häufig parallel zu  den Sitzungswochen des Deutschen Bundestages statt, so dass es sehr schwer sei, ist alles „unter einen Hut zu bekommen“.

Gabriela Heinrich informierte zunächst über die Agenda dieser Session. So hat die PACE am 25. April einen Beschluss getroffenen, die Türkei wieder unter ein Monitoringverfahren zu stellen.  Dies gilt solange, bis „ernste Bedenken“ über die Einhaltung der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit „auf zufriedenstellende Weise ausgeräumt werden“. Die verabschiedete Entschließung ruft die türkischen Behörden zu dringenden Maßnahmen auf, etwa den Ausnahmezustand „so bald wie möglich“ aufzuheben, „außer bei zwingender Notwendigkeit“ keine Notstandsdekrete mehr zu erlassen, die das parlamentarische Verfahren umgehen, sowie alle inhaftierten Abgeordneten und Journalist*innen bis zu ihrem Prozess freizulassen. Zudem sollen die Behörden laut Entschließung eine Kommission zur Untersuchung von Notstandsmaßnahmen einrichten, faire Verfahren und die Einhaltung der nötigen Verfahrensgarantien gewährleisten sowie dringende Maßnahmen treffen, um die Freiheit der Meinungsäußerung und die Pressefreiheit wiederherzustellen.

Eine klassische PACE-Woche beginnt für die Deutsche Delegation mit einem Treffen am Sonntagabend beim Deutschen Botschafter. Dort werden die TOP´s der Sitzungswoche „aus Sicht Deutschlands“ durchdiskutiert. Zur Sitzungswoche gehören neben den Plenarsitzungen - wie im Deutschen Bundestag auch - Fraktionssitzungen und Ausschüsse. Gabriela Heinrich und Mechthild Rawert gehören dem Ausschuss für Gleichstellung und Nichtdiskriminierung an, Mechthild Rawert zudem dem „Sub-Committee on Disability and Inclusion“.

Das Mittagessen wurde im Restaurant Jardin eingenommen bevor es zum Besuch ins EU-Parlament ging.

Zu Besuch im Europäischen Parlament

Viele verbinden das EU-Parlament mit der Stadt Brüssel, aber der Hauptsitz des EU-Parlaments ist in Straßburg. Da PACE und EU-Parlament nicht zeitgleich in Straßburg tagen, konnte die Gruppe im Rahmen einer Führung das eindrucksvolle Louise-Weiss-Haus, so der Name des EU-Parlamentsgebäudes, besichtigen und auch auf der Besuchertribüne des großen kuppelartigen Plenarsaals Platz nehmen.




Anschließend fand ein Gespräch mit einer Referentin der Öffentlichkeitsarbeit des EU-Parlaments statt. Anhand eines kurzen Films erklärte diese die Geschichte des EU-Parlaments und seine Arbeitsweisen. Sie veranschaulichte auch die große Anzahl der unterschiedlichen Themen und die Herausforderungen, hier jeweils politische Kompromisse zu finden. Die Frage nach den Konsequenzen des Brexits, die aus der Gruppe kam, konnte sie nicht so einfach beantworten. Schließlich haben die Brexit-Verhandlungen noch nicht wirklich begonnen. Zur Zeit des Besuchs wurden gerade die Verhandlungsstrategien und ein „Fahrplan“ für die Verhandlungen von den EU-Ländern entwickelt.

Aus der Gruppe heraus kam die Aufforderung die positiven Dinge, die jede*r EU-Bürger*in zu Gute kommen zu benennen. Die Referentin benannte unter anderem die Wertschöpfung durch den EU-Binnenmarkt. Für die Teilnehmenden fassbarer sind die Vorteile wie Reise- und Niederlassungsfreiheit, Bildungsprogramme wie ERASMUS und vor allem der Frieden in Europa.

Der anschließende Stadtrundgang begann am Platz der Republik. Dort steht das Totendenkmal oder Monument aux Morts. Es stammt aus dem Jahr 1936 vom Künstler Leon Drivier. Zu sehen sind eine Mutter, die Straßburg symbolisieren soll, und ihre beiden Söhne, um die sie trauert. Der eine starb als französischer Soldat, der andere in der deutschen Armee - im Tod jedoch reichen sie sich zur Versöhnung die Hände. Dieses Monument wurde zum Andenken an die Gefallenen im Ersten Weltkrieg erschaffen. Es zeigt, wahrscheinlich wie kein anderes Denkmal, die wechselhafte Geschichte des Elsass -  mal französisches, mal deutsches Gebiet. An diesem Monument können wir begreifen welch ein großes Geschenk der Frieden in der Europäischen Union ist. Nach den Besuchen in den europäischen Institutionen und den Diskussionen dort, auch im Hinblick auf den sich ausbreitenden Rechtpopulismus, den Brexit und dem Abbau von Rechtsstaatlichkeit in Ländern wie der Türkei, macht einen der Anblick des Totendenkmals nachdenklich über die Zukunft und die Herausforderungen in Europa.



Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Der Donnerstag begann mit dem Besuch des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Auch hier gab es wieder einen Sicherheitscheck. Die Gruppe hatte mittlerweile Erfahrung mit der Prozedur und war schnell im Absolvieren, so dass vor dem Informationsgespräch das ausliegende Infomaterial, das es in allen Sprachen des Europarats gibt, gesichtet werden konnte.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist ein Organ des Europarates und wurde 1959 in Straßburg von den Mitgliedstaaten des Europarats errichtet, um die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 sicherzustellen.

Uns und Mitgliedern einer Gruppe Studierender der Rechtswissenschaften stand ein Jurist der deutschen Abteilung für einen Vortrag und Fragen zur Verfügung. Er erklärte anschaulich die Organisation des EGMR.

Die Berufung der Richter*innen erfolgt durch die PACE. Jedes Mitgliedsland stellt für eine Amtszeit von 9 Jahren eine Richter*in. Eine Wiederwahl erfolgt nicht. Das Wahlverfahren sieht vor, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten der PACE eine dreiköpfige Vorschlagsliste vorstellen, aus der diese dann eine Richter*in wählt. Die Richter*innen gehören dem Gerichtshof in ihrer persönlichen Eigenschaft an und sind keine Vertreter*innen ihrer Staaten. Sie dürfen keine Tätigkeit ausüben, die mit ihrer Unabhängigkeit, ihrer Unparteilichkeit oder mit den Erfordernissen der Vollzeitbeschäftigung unvereinbar ist. Ihre Amtszeit endet spätestens mit Vollendung des 70. Lebensjahrs.

47 Richter*innen sind am EGMR beschäftigt, die entweder als Einzelrichter oder in kleinen oder großen Kammern arbeiten. Gemäß seiner Verfahrensordnung ist der Gerichtshof in - derzeit fünf - Sektionen eingeteilt. Deren für drei Jahre bestehende Zusammensetzung ist geographisch und hinsichtlich der Repräsentation der Geschlechter ausgewogen.

Wichtig zu wissen: Jede Person, die geltend macht, selbst Opfer einer Konventionsverletzung zu sein, kann direkt eine Beschwerde beim Gerichtshof in Straßburg einlegen mit der Behauptung, eines ihrer durch die Konvention garantierten Rechte sei durch einen Mitgliedstaat verletzt worden. Beschwerden können sich gegen einen oder mehrere der Staaten richten, die die Konvention ratifiziert haben. Damit sich der Gerichtshof mit einer Beschwerde befassen kann, müssen aber insbesondere folgende Voraussetzungen erfüllt sein: alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe müssen erschöpft sein und die endgültige innerstaatliche Entscheidung in dem Verfahren darf nicht länger als sechs Monate zurückliegen.

Mit vielen Informationen reicher verließ die Gruppe den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte „in Richtung Mittagessen“, um für die nächsten Tagesordnungspunkte gestärkt zu sein.


Besuch der Kathedrale, Schifffahrt auf der Ill und Besuch im Rathaus der Stadt Straßburg

Der Donnerstagnachmittag „gehörte“ der sehenswerten Stadt Straßburg. Der erste Weg führte zur bekannten Kathedrale. Michel Schirck, der Stadtführer, erläuterte die astronomische Uhr im Straßburger Münster. Diese ist ein Meisterwerk aus der Renaissance und Ergebnis einer engen Zusammenarbeit zwischen Künstlern, Mathematikern und Technikern. Uhrmacher aus der Schweiz, Bildhauer, Maler und Automatenhersteller arbeiteten hier Hand in Hand. Aber auch die bunten Bleiglasfenster sind nicht nur einfach schön, sondern hatten zum Zeitpunkt des Baus eine Aufgabe: Sie erklärten das Alte Testament, denn zu der Zeit konnte der Großteil der Bevölkerung nicht lesen, eine allgemeine Schulpflicht existierte noch nicht. Michel verwies darauf, dass ein Großteil der Fenstergläser noch die Originale seien. Da sie bei kriegerischen Auseinandersetzungen jedes Mal ausgebaut und sicher verwahrt wurden, haben sie alle Kriege bis jetzt unbeschadet überstanden.

Noch mehr Input über die Stadtgeschichte gab es bei der Schifffahrt auf der Ill. Mit dem frisch erworbenen Wissen über die Stadtgeschichte machte sich die Gruppe auf dem Weg zum Straßburger Rathaus. Dort wurde die Gruppe durch Herrn Stadtrat Michael Schmidt herzlich empfangen. Dieser wünscht sich noch viel mehr Gruppen, die nicht nur die Institutionen, sondern auch das Rathaus besuchen. Die Stadt Straßburg sei durch die wechselhafte Geschichte der Stadt so wie keine andere Stadt Europas für den Sitz der europäischen Institutionen, die Frieden und Menschenrechte wahren sollen, geeignet. Er ermunterte uns mit ihm gemeinsam für ein weltoffenes und friedliches Europa einzutreten und den Rechtspopulist*innen keineswegs das Feld zu überlassen. Immer wieder müssten wir -  insbesondere für die junge Generation - auf die Errungenschaften der Europäischen Union und besonders auf den dadurch geschaffenen Frieden in Europa hinweisen.  Straßburg auf der französischen Seite des Rheins und Kehl auf der deutschen Seite lebten ein Europa ohne Grenzen.

Mit diesen eindrücklichen Worten verließen wir das Rathaus. Den Abend genossen wir mit einem Abendessen, mit DER elsässischen Spezialität Flammkuchen.

Die Tage in Straßburg mit den vielen Besuchen, Informationsgesprächen, Diskussionsrunden und Gesprächen verging wie im Fluge. Leider hieß es am Freitag: Au revoir, Strasbourg!