Trotz der positiven Entwicklung und Stärkung der Demokratiebewegungen in vielen Ländern gibt es gleichzeitig eine besorgniserregende gegenteilige Tendenz zu verzeichnen. Zivilgesellschaften sind bedroht durch Maßnahmen von autoritären, aber auch von demokratischen Staaten. Von den Einschränkungen betroffen sind vor allem Frauenrechtsgruppen, Stiftungen, Menschenrechts- oder Umweltschutzorganisationen aber auch Künstler*innen, Akademiker*innen, Journalist*innen und Anwält*innen.
Um gemeinsame Gegenstrategien zu entwickeln lud die Hirschfeld-Eddy-Stiftung und das Auswärtige Amt zu einer internationalen Konferenz am 1. Juni 2017 im Auswärtigen Amt ein. Dabei sollte die besondere Rolle von LSBTI-Organisationen in diesem schwierigen Umfeld reflektiert werden. Weitere Fragestellungen waren, welche Bündnisse, welche guten Beispiele und Ideen es bereits gibt und welche Rolle die Außenpolitik und/oder Entwicklungszusammenarbeit spielen könnte.
"Vom „shrinking space“ betroffen sind seit langem auch Organisationen, die für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Inter* (LSBTI) arbeiten. Neu sind wie in Russland sogenannte Anti-Propagandagesetze, die jede positive Erwähnung von Homosexualität - auch zur gesundheitlichen Aufklärung - unter Strafe stellen und verbieten. International weniger bemerkt werden Anti-NRO-Gesetze, die zum Beispiel in Uganda erlassen wurden, angeblich, um die „nationale Würde“ zu schützen. Diese treffen LSBTI in besonderer Weise, denn sie sind häufig die ersten, gegen die vorgegangen wird“, sagte Sarah Kohrt von der Hirschfeld-Eddy-Stiftung.
Die 2012 gegründete Yogyakarta-Allianz hat ein LGBTI-Inklusionskonzept mit konkreten Forderungen und Konzepten für die auswärtigen Dienste und für die Entwicklungszusammenarbeit formuliert, um mit Hilfe deutscher Außenpolitik den einschränkenden Bedingungen im jeweiligen Land aktiv entgegentreten zu können.
„Wir fordern keine Minderheitenrechte, sondern einen wirksamen Schutz der Menschenrechte aller – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder eben sexueller Identität.“
Kaum ein Thema ist in den vergangenen Jahren in Menschenrechtskreisen so viel diskutiert worden, wie der „schwindende Raum“ der Zivilgesellschaft, betonte Europa-Staatsminister Michael Roth in seiner Eröffnungsrede. Dieser Betriff sei aber viel zu harmlos, denn es geht „um Unterdrückung und Verfolgung, um massive Menschenrechtsverletzungen gegen all jene, die sich für Rechtsstaatlichkeit und Toleranz, für eine lebendige Demokratie und eine vielfältige Gesellschaft einsetzen.“ Es gebe beides zeitgleich auf der ganzen Welt: Einerseits stärkere, selbstbewusstere und besser vernetzte Zivilgesellschaften als jemals zuvor und andererseits die Versuche, sie zum Schweigen zu bringen. Diese unterdrückerischen Entwicklungen sind in Autokratien aber auch in Demokratien, selbst in EU-Mitgliedstaaten der EU, zu sehen. Diese Tendenzen verstoßen immer wieder gegen unsere gemeinsamen Werte. Staatsminister Roth forderte uns alle auf „Hier dürfen wir nicht wegschauen! Wir müssen dagegenhalten! Diejenigen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, brauchen unseren Schutz, unsere Solidarität und unsere Unterstützung für ihre mutige, engagierte Arbeit.“
Michael Roth beantwortete die sich selbst gestellte Frage „Was tut die Bundesregierung ganz konkret, um die Zivilgesellschaft global zu stärken?“. Das Auswärtige Amt trete dem schwindenden Raum der Zivilgesellschaft weltweit entgegen und unterstützen bedrängte Menschenrechtsverteidiger*innen durch eine Vielzahl von Projekten. Beispielsweise:
- im Norden Russlands durch den Aufbau eines LGBTI-Netzwerks mit juristischen Schulungen, in der Ukraine durch die Stärkung einer LGBTI-Organisation, die mit kreativen Mitteln in der Öffentlichkeit für Toleranz und Respekt wirbt
- in Nigeria, der Elfenbeinküste, im Baltikum und in Südosteuropa werden Treffen mit LGBTI-Aktivist*innen in den Räumen der deutschen Auslandsvertretungen und lokale Netzwerke gefördert. Bei fragwürdigen Prozessen werden auch Beobachter*innen in den Gerichtssaal entsendet.
Der Staatsminister dankte den anwesenden Vertreter*innen einiger der wichtigsten zivilgesellschaftlichen Partner im In- und Ausland für die gute Zusammenarbeit. Sie sind es, die häufig am besten einschätzen können, welche Strategie im jeweiligen Land am erfolgversprechendsten ist. Daher ist ihr Rat sehr willkommen, es findet eine enge Abstimmung mit ihnen als Vertreter*innen der Zivilgesellschaft ab.
Wichtig ist, „dass wir immer wieder klarmachen: Wir fordern keine Minderheitenrechte, sondern einen wirksamen Schutz der Menschenrechte aller – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder eben sexueller Identität. Das ist kein Luxus, sondern die Verwirklichung eines Grundsatzes, auf den wir uns schon vor fast 70 Jahren geeinigt haben: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ So lautet Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Vielleicht ist das einer der wichtigsten Sätze, der jemals aufgeschrieben worden ist.“
Roth verwies darauf, dass auch für Deutschland zu fragen sei, wie es um die Umsetzung von Menschenrechten stehe. Seit 2001 dürfen gleichgeschlechtliche Paare eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen. Seitdem habe sich viel getan, aber der Politik musste von Gerichten Beine gemacht werden. Noch ist die Öffnung der Ehe für alle aufgrund des Widerstandes der CDU/CSU nicht möglich.
Michael Roth ist sich allerdings sicher, dass die völlige Gleichberechtigung durch die Öffnung der Ehe für alle auch hier bald kommen wird. Dafür gibt es eine stabile gesellschaftliche Mehrheit. Ob daraus eine politische Mehrheit wird, wird bei den kommenden Wahlen entschieden.
Grundmerkmale gerechter und funktionierender Staaten sind: Demokratie, Aufklärung, Achtung der Menschenrechte und eine starke Zivilgesellschaft“
Der Kampf für die Menschenrechte ist langwierig und oft schwierig, erklärte Axel Hochrein, Vorstand der Hirschfeld-Eddy-Stiftung. Nachhaltige Kooperation brauche vertrauensvolle Partnerschaften und kontinuierliche Zusammenarbeit. Auch er sprach den Aktivist*innen seinen Dank für ihren unermüdlichen Einsatz aus. Viele können heute von ihrer Aktivitäten erzählen, können beschreiben, wie es ist, im jeweiligen Heimatland Zielscheibe der Verfolgung und Unterdrückung zu sein.
„Wir müssen für eine demokratische und offene Gesellschaft werben“
Einige Staaten haben aus Furcht vor Terrorismus und zunehmenden Populismus Gesetze verabschiedet, die die Demokratie, die Versammlungs- und Meinungsfreiheit einschränken. LGBTTI*Organisationen standen schon immer unter Beobachtung bzw. wurden kriminalisiert. Ihnen werden Rechte abgesprochen. In der Studie „The Perfect Storm“ beschreibt Matthew Hart, Global Society Philanthropy Projekt, die sich für die LGBTTI*-Community immer schlechter werdende Situation in Kirgisistan, Indonesien, Ungarn und Kenia.
Weitere Impulsgeber*innen auf der Konferenz waren u.a.: Iva Dobichina, Open Society Foundations, Kasha Jacqueline Nabagesera, FARUG Uganda, Julia Ehrt, Transgender Europe (TGEU), Dr. Bärbel Kofler, Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung und Dr. Heike Kuhn, Leitung Menschenrechtsreferat, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
Wir müssen uns für eine demokratische und offene Gesellschaft einsetzen und für diese immerzu werben. Zu einer solchen Gesellschaft gehören selbstverständlich auch Lesben, Schwule und Transgender. Wir müssen deutlich machen, dass alle von einer Gesellschaft profitieren, in der mensch anders sein kann und darf. Es ist normal, verschieden zu sein.