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Cannabis als Medizin: Mehr Lebensqualität für Schmerzpatient*innen

Seit Januar 2017 können Schmerzpatient*innen Cannabis auf Rezept verschrieben bekommen. Die Kosten sollen von den Krankenkassen übernommen werden. So hatte es der Deutsche Bundestag einstimmig beschlossen. Bei der Umsetzung durch Ärzt*innen, Krankenkassen und Apotheken gibt es jedoch noch zahlreiche Probleme. Das wurde auf der Fraktion vor Ort-Veranstaltung deutlich, die ich gemeinsam mit Burkhard Blienert, MdB und Drogenpolitischer Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion, durchgeführt habe. Ich hatte interessierte Bürger*innen und Betroffene am 17. Mai 2017 in den Veranstaltungsraum der Rheuma Liga in Mariendorf geladen, um über die neuen Regelungen zu Cannabis als Medizin zu informieren und zu diskutieren. Als Podiumsgäste waren mit dabei Prof. Dr. med. Michael Schäfer, ehem. Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. und Sasa Raber, selbst Schmerzpatientin.

Ich habe mich über das große Interesse an der Veranstaltung gefreut. Es haben viele Vertreter*innen und Expert*innen von der Deutsche Rheuma-Liga, der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft, vom MDK Berlin-Brandenburg, vom Forum Organtransplantation Berlin e.V., vom Freundeskreis Integrative Dienste, aber auch von Sozialverbänden wie der Arbeiterwohlfahrt, Paritätischen oder von Pflegediensten teilgenommen. 



Cannabis auf Rezept

Die Debatte um Cannabis ist in Deutschland sehr stark von Vorurteilen geprägt. Deswegen ist es bemerkenswert, dass der Deutsche Bundestag einstimmig beschloss, dass Arzneimittel auf der Basis von Cannabis sowie getrocknete Cannabisblüten (sogenannter Medizinalhanf) für schwer und chronisch Erkrankten auf Rezept verschrieben werden können. Die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen. Über diese neuen Regelungen informierte mein SPD-Kollege Burkhard Blienert.

Blienert führte aus, dass es leider sehr lange gedauert hatte, bis das CDU-Bundesgesundheitsministerium und die Drogenbeauftragte Marlene Mortler von der CSU bereit waren, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Deswegen wurde das Gesetz erst in diesem Jahr beschlossen. Er hätte sich eine frühere Verabschiedung gewünscht, um die Möglichkeit zu haben, noch in der laufenden Wahlperiode auf Umsetzungsprobleme in der Praxis reagieren zu können.

Seit Jahren haben viele Patient*innen darauf gewartet, Cannabis verschrieben und die Kosten erstattet zu bekommen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat dafür gesorgt, dass die Therapiehoheit der behandelnden Ärzt*innen in Sachen Cannabis gestärkt und die Versorgungssicherheit der Patient*innen mit qualitativ einwandfreiem Medizinalhanf sichergestellt ist. Wir stellen damit die Bedürfnisse der Patient*innen in den Mittelpunkt unserer Gesundheitspolitik. Denn die Anwendungsmöglichkeiten von Cannabis sind vielfältig: gegen Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Spastik, chronische Schmerzen, Juckreiz, Epilepsie, Schluckauf, Augeninnendruck.

Im Gesetzgebungsprozess konnte die SPD zwei wichtige Punkte durchsetzen, betonte Blienert.

  1. Die Therapiehoheit der Ärzt*innen wurde ins Gesetz geschrieben. Ursprünglich sollte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein Vetorecht erhalten. Nur Ärzt*innen können beurteilen, ob es medizinisch notwendig ist, Cannabis zu verordnen. Alles andere hätte die Leidenszeit vieler Patient*innen unnötig verlängert.
  2. Des Weiteren müssen die Krankenkassen zügig entscheiden. Das ist eine Regelung im Interesse der Patient*innen, denn gerade in einer Palliativsituation kann die Zeit sehr knapp werden. In diesen Fällen soll innerhalb von drei Tagen entschieden werden.

Allerdings zeigt sich in der Praxis, dass die Krankenkassen viel Entscheidungsmacht haben und ausüben und diese Regelung sehr unterschiedlich handhaben.



Cannabis-Agentur

Mit der Cannabis-Agentur wird eine Einrichtung geschaffen, die die Versorgung mit einer einwandfreien Arznei gewährleisten soll. Produzent*innen im In- und Ausland werden nach genauen Vorgaben Cannabis produzieren. Zur Zeit werden die Cannabisprodukte aus den Niederlanden und Kanada importiert, erklärte Schäfer In den nächsten Jahren ist aber der Anbau und die Produktion in Deutschland geplant. 

Da die Wirkung von Cannabis bei verschiedenen Erkrankungen noch nicht hinreichend erforscht ist, sind auch Mittel zur Erforschung der Wirkungsweisen vorgesehen. Durch eine Begleiterhebung sollen neue Forschungsergebnisse gewonnen werden, die für eine Novellierung des Gesetzes in der nächsten Legislatur genutzt werden können.

Praxis vor dem Inkrafttreten des Gesetzes

Die Verschreibungsmöglichkeiten haben sich verbessert, erklärte Prof. med. Michael Schäfer. Prof. Schäfer war bis vor kurzem Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. Das ist Europas größte wissenschaftlich-medizinische Schmerzfachgesellschaft. Er arbeitet als leitender Oberarzt und Schmerzforscher an der Charité. Als Anwendungsbeispiel aus seiner Erfahrung nannte Schäfer ein Spray, das gegen Muskelkrämpfe bei MS-Erkrankungen angewandt werden kann. Oder auch ein synthetisch hergestelltes Cannabis-Medikament, das gegen Übelkeit bei Tumorpatient*innen verabreicht werden kann.

Schäfer informierte auch die Praxis vor dem Gesetz. So war eine Reihe von Cannabis-Medikamenten bereits erhältlich, aber nicht auf Rezept. Zugelassen waren auch Cannabisblüten. Doch der Zugang war nur über einen sehr komplizierten Weg möglich, nämlich über die Beantragung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und Erteilung einer Ausnahmegenehmigung bei der Bundesopiumstelle. In den letzten Jahren war hier eine signifikante Steigerung der Anträge von 50-100 auf über 1.000 Anträge von Patient*innen zu verzeichnen, führte Schäfer aus.

Praxis nach Inkrafttreten des Gesetzes

Durch das neue Gesetz hat sich die Situation deutlich verbessert, meinte Prof. Schäfer.

Das Gesetz setzt drei Kriterien:

  • Eine schwere Krankheit
  • Durch die Standardtherapie gibt es keine Symptomverbesserung oder die Nebenwirkungen sind sehr stark
  • Aussicht auf Erfolg der Behandlung

In einer Palliativsituation müssen die Krankenkassen innerhalb von drei Tagen entscheiden. Das ist sehr zu begrüßen.

Doch noch wird Cannabis nur ungern von Ärzt*innen verschrieben. Es ist kein Medikament für alle, sondern hilft nur bestimmten Patient*innen. Hier muss noch mehr Evidenz geschaffen werden, erklärte Schäfer. Er stellte zudem fest, dass zurzeit die Preise für Cannabis-Medikamente stark ansteigen. Zugleich gibt es eine vermehrte Nachfrage seitens der Patient*innen.

Das bestätigte auch Sasa Raber. Ich habe mich gefreut, dass sie den Mut hatte auf der Veranstaltung als Expertin in eigener Sache aufzutreten. Raber ist Schmerzpatientin und hat regelmäßig Schmerzschübe, die sie fast in die Erwerbsunfähigkeit gebracht hätten. In Spitzenzeiten musste sie bis zu 18 Tabletten mit unterschiedlichen Schmerzmitteln am Tag nehmen, davon allein 4 nur gegen die Nebenwirkungen. Sie stellte fest, dass sie beim Konsum von Cannabis weniger Symptome hatte und dadurch weniger Medikamente nehmen musste. Raber hatte sich auf das neue Gesetz gefreut, weil sie sich erhoffte, dass die Krankenkasse die Kosten für die Cannabis-Medikamente übernehmen würde. Ihr behandelnder Arzt verschrieb ihr das entsprechende Rezept. Ihre Krankenkasse verlangte jedoch anschließend eine ausführliche Begründung durch den Arzt. Trotz dieser Begründung wurde die Verschreibung letztlich durch den MDK abgelehnt. Stattdessen wurde ihr die Standardmedikation verschrieben, die nicht nur teurer ist, sondern auch starke Nebenwirkungen verursacht. Auch andere Schmerzpatient*innen berichten von ähnlichen Erfahrungen, was die Ablehnungspraxis durch den MDK anbetrifft. Raber beklagte zudem, dass der Preis zum Beispiel für Cannabis-Blüten in den Apotheken in den letzten Monaten verdoppelt hätte.

In der Diskussion wurde auch die Rolle der Apotheker*innen thematisiert. Manche Apotheken nehmen erhebliche Zuschläge für Cannabis-Medikamente, sodass Schmerzpatient*innen sie sich nicht mehr leisten können. Wenn die Kosten in diesen Fällen nicht durch die Krankenkasse übernommen werden, hat das zur Folge, dass die Patient*innen wieder auf Standardmedikation angewiesen sind, die für die Kassen aber letztlich teurer sind. Das sorgte für viel Unverständnis im Publikum.

Fortbildungen und Handreichungen für Ärzt*innen und Apotheker*innen sind daher nötig, denn viele Ärzt*innen haben bisher wenige Erfahrungen und sind daher sehr zurückhaltend bei der Verschreibung von Cannabis-Medikamenten.

Die Intention des Gesetzes war die Lebensqualität der Patient*innen zu stärken, betonte Blienert. Wir beide haben durch die Diskussion zahlreiche Anregungen aus der Umsetzungspraxis mitgenommen, was an Novellierungsbedarf an dem Gesetz besteht.