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5. Mai 2021: Europäischer Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen

Wie jedes Jahr findet am 5. Mai 2021 der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen statt.
Viele Selbstvertretungsorganisationen sowie Behinderten- und Sozialverbände fordern aus diesem Anlass deutliche Nachbesserungen beim Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Sie bezweifeln, dass die sich im Gesetzgebungsverfahren des Deutschen Bundestages befindliche Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen für eine barrierefreie Lebensgestaltung ausreicht. 

Wir alle erkennen – gerade in diesen Pandemie-Zeiten – die Notwendigkeit von Barrierefreiheitsanforderungen in der digitalen Welt. Wir nehmen den rasanten Digitalisierungsschub, die Veränderungen und Erweiterungen auf dem Markt für digitale Produkte und Dienstleitungen wahr.  

Digitales Einkaufen, digitale Terminbuchungen und Antragstellungen, digitaler Schulunterricht, Homeoffice, digitale Fortbildungsangebote, digitale ärztliche und therapeutische Angebote u.v.a.m..
Ziel des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ist die Schaffung einer inklusiveren Gesellschaft, in der alle Personen den gleichen diskriminierungsfreien Zugang zu Produkten und Dienstleistungen haben. 

 Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) übernimmt keine Verantwortung für Inklusion

Die Umsetzung des European Accessibility Acts (EAA) in nationales Recht gehört eigentlich federführend zum Ministerium für Wirtschaft. Schließlich sollen mit dem BFSG vorrangig private Anbieter*innen verpflichtet werden, barrierefreie Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Das Wirtschaftsministerium ist der Aufgabe der Förderung von Barrierefreiheit, von gleichberechtigter Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen, von Inklusion als gesamtgesellschaftlicher Aufgabe nicht nachgekommen. Damit Deutschland der europäischen Verpflichtung zur EAA-Umsetzung nachkommt, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales – dankenswerterweise – die Federführung übernommen und einen Gesetzentwurf erstellt. 

Die künftige Bundesregierung muss die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen stärker als Querschnittsaufgabe, als Disability Mainstreaming für alle Ressorts begreifen. Es geht nicht an, dass alle Menschen mit Behinderungen betreffenden Angelegenheiten, egal ob wirtschaftlicher, sportlicher oder kultureller Art, beim BMAS landen. Ein solches Zuständigkeitsdenken entspricht nicht dem partizipationsorientiertem Teilhabeansatz einer Politik für alle in jedem Politikfeld auf der Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK).  

Von Barrierefreiheit profitieren viele Menschen 

Mit dem BFSG gibt es erstmals in Deutschland Anforderungen an die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen. Zu den künftig barrierefrei zu gestaltenden Produkten gehören u.a. alle Computer, Tablets, Notebooks, Geldautomaten, Ticketautomaten, Mobiltelefone, Router, Fernseher und auch E-Book-Lesegeräte. Barrierefrei zu gestaltende Dienstleistungen sind beispielsweise alle Internetzugangsdienste, Online-Handel, Sprach- und Internettelefondienste, Bankdienstleistungen, E-Books, E-Mail-Dienste, Personenbeförderungsdienste. 

Ein verbindlicher und adressat*innengerechter Rechtsrahmen bietet allen Menschen die Chance auf deutlich mehr digitale Teilhabe. Es ist bedauerlich, dass der Zweck des Gesetzes nur die Gruppe der Menschen mit Behinderung adressiert, schließlich profitieren auch andere beeinträchtigte Menschen, wie z. B. ältere Menschen, erkrankte und verletzte oder auch schwangere Menschen von barrierefreien Produkten und Dienstleistungen. Die Einengung des Gesetzeszweckes erschwert bei vielen Wirtschaftsakteur:innen - Herstellern, Einführern, Händlern sowie Dienstleistungserbringern - die Sensibilisierung und das Erkennen großer Kund:innenkreise mit einem Bedarf an barrierefreien Produkten und Dienstleistungen. Barrierefreiheit ist für alle ein Bedienkomfort.

Einige der Kritikpunkte am BFSG

 1) Das BFSG wird erst zum 28.06.2025 zur Anwendung kommen. Private Anbieter haben somit vier Jahre Zeit für Neuentwicklungen und/oder Umstellungen. Gefordert wird eine Verkürzung der im Gesetzentwurf enthaltenden hinzukommenden beschämend langen Übergangsfristen

  • für Dienstleistungen 5 Jahre, also bis zum 27. 6. 2030
  • für Selbstbedienungsterminals 15 Jahre, also bis 27.6.2040.

2) Mit dem BFSG sollen auch Personenbeförderungsdienste im Luft-, Bus-, Schienen- und Schiffsverkehr barrierefreier werden. Unverständlicherweise sind von diesen Regelungen die Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdienste ausgenommen. Gefordert wird eine bundesweite Sicherstellung eines barrierefreien Ticketings und Bezahlmodus auch für den gesamten Nahverkehr.

3) Im BFSG wird der Eindruck erweckt, als sei die bauliche Umwelt, die baulichen Zugänge für eine barrierefreie Lebensraumgestaltung unwesentlich. Dem ist nicht so: Für eine den Rollstuhl nutzende Person wirkt es zynisch, wenn der runterfahrbare Geldautomat barrierefrei ist, der Schalterraum, in dem dieser steht, aber aufgrund der davor befindlichen Stufen nicht zugänglich ist. Gefordert wird, dass die föderale Gemengelage von Gesetzgebungskompetenzen im Baurecht nicht dazu führen darf, dass die notwendige bauliche Barrierefreiheit im BFSG negiert wird. Der Bund ist schließlich für gleichwertige Lebensverhältnisse für alle Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zuständig. Zusammen mit den Ländern ist hier eine Lösung zu erarbeiten.

4) Auch für das BFSG hier muss “Nichts über uns ohne uns“ gelten. Vielen ist nicht einsichtig, warum klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) von den Verpflichtungen des BFSG ausgenommen werden. Bei der Erarbeitung entsprechender Leitlinien für Kleinstunternehmen sind Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderung ebenso einzubeziehen wie Fachexpert:innen im Bereich der Barrierefreiheit. Diese können maßgeblich dazu beitragen, dass KMUs die komplexe barrierefreie Gestaltung ihrer Produkte und Dienstleistungen als Chance für Wettbewerb und Vielfalt wahrnehmen und nicht als Bürde. Partizipation ist ein Erfolgsfaktor. 

Es darf keinen Flickenteppich geben

Laut BFSG soll die Marktüberwachung nahezu ausschließlich seitens der Länder erfolgen. Dass Fehlen bundesweiter Standards birgt die Gefahr eines Flickenteppichs. Es ist unverständlich, dass Institutionen auf Bundesebene, die bereits heute für Branchenbereiche die Marktüberwachung und den Verbraucherschutz übernehmen, die Sicherstellung der Barrierefreiheits-Anforderungen von Produkten und Dienstleistungen nicht in ihre Arbeit inkludieren wollen. Eine Ablehnung widerspricht dem notwendigen Disability-Mainstreaming-Ansatz.

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz kann nur ein erster Schritt sein, um private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen zu mehr Barrierefreiheit zu verpflichten.

 

(Foto: Mechthild Rawert, MdB)


Wie jedes Jahr findet am 5. Mai 2021 der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen statt. Viele Selbstvertretungsorganisationen sowie Behinderten- und Sozialverbände fordern aus diesem Anlass deutliche Nachbesserungen beim Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Sie bezweifeln, dass die sich im Gesetzgebungsverfahren des Deutschen Bundestages befindliche Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheits-Anforderungen für Produkte und Dienstleistungen für eine barrierefreie Lebensgestaltung ausreicht. 

Wir alle erkennen – gerade in diesen Pandemie-Zeiten – die Notwendigkeit von Barrierefreiheits-Anforderungen gerade in der digitalen Welt sind. Wir nehmen den rasanten Digitalisierungsschub und die Veränderungen und Erweiterungen auf dem Markt für digitale Produkte und Dienstleitungen wahr: digitales Einkaufen, digitale Terminbuchungen und Antragstellungen, digitaler Schulunterricht, Homeoffice, digitale Fortbildungsangebote, digitale ärztliche und therapeutische Angebote u.v.a.m..  

Ziel des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ist die Schaffung einer inklusiveren Gesellschaft, in der alle Personen den gleichen diskriminierungsfreien Zugang zu Produkten und Dienstleistungen haben. 

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) übernimmt keine Verantwortung für Inklusion

Die Umsetzung des European Accessibility Acts (EAA) in nationales Recht gehört eigentlich federführend zum Ministerium für Wirtschaft. Schließlich sollen mit dem BFSG vorrangig private Anbieter:innen verpflichtet werden, barrierefreie Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Das Wirtschaftsministerium ist der Aufgabe der Förderung von Barrierefreiheit, von gleichberechtigter Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen, von Inklusion als gesamtgesellschaftlicher Aufgabe nicht nachgekommen. Damit Deutschland der europäischen Verpflichtung zur EAA-Umsetzung nachkommt, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales – dankenswerterweise – die Federführung übernommen und einen Gesetzentwurf erstellt. 

Die künftige Bundesregierung muss die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen stärker als Querschnittsaufgabe, als Disability Mainstreaming für alle Ressorts begreifen. Es geht nicht an, dass alle Menschen mit Behinderungen betreffenden Angelegenheiten, egal ob wirtschaftlicher, sportlicher oder kultureller Art, beim BMAS landen. Ein solches Zuständigkeitsdenken entspricht nicht dem partizipationsorientiertem Teilhabeansatz einer Politik für alle in jedem Politikfeld auf der Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK).  

Von Barrierefreiheit profitieren viele Menschen 

Mit dem BFSG gibt es erstmals in Deutschland Anforderungen an die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen. Zu den künftig barrierefrei zu gestaltenden Produkten gehören u.a. alle Computer, Tablets, Notebooks, Geldautomaten, Ticketautomaten, Mobiltelefone, Router, Fernseher und auch E-Book-Lesegeräte. Barrierefrei zu gestaltende Dienstleistungen sind beispielsweise alle Internetzugangsdienste, Online-Handel, Sprach- und Internettelefondienste, Bankdienstleistungen, E-Books, E-Mail-Dienste, Personenbeförderungsdienste. 

Ein verbindlicher und adressat:innengerechter Rechtsrahmen bietet allen Menschen die Chance auf deutlich mehr digitale Teilhabe. Es ist bedauerlich, dass der Zweck des Gesetzes nur die Gruppe der Menschen mit Behinderung adressiert, schließlich profitieren auch andere beeinträchtigte Menschen, wie z. B. ältere Menschen, erkrankte und verletzte oder auch schwangere Menschen von barrierefreien Produkten und Dienstleistungen. Die Einengung des Gesetzeszweckes erschwert bei vielen Wirtschaftsakteur:innen - Herstellern, Einführern, Händlern sowie Dienstleistungserbringern - die Sensibilisierung und das Erkennen großer Kund:innenkreise mit einem Bedarf an barrierefreien Produkten und Dienstleistungen. Barrierefreiheit ist für alle ein Bedienkomfort.

Einige der Kritikpunkte am BFSG

1. Das BFSG wird erst zum 28.6.2025 zur Anwendung kommen. Private Anbieter haben somit vier Jahre Zeit für Neuentwicklungen und/oder Umstellungen. Gefordert wird eine Verkürzung der im Gesetzentwurf enthaltenden hinzukommenden beschämend langen Übergangsfristen
- für Dienstleistungen 5 Jahre, also bis zum 27. 6. 2030,
- für Selbstbedienungsterminals 15 Jahre, also bis 27.6.2040.

2. Mit dem BFSG sollen auch Personenbeförderungsdienste im Luft-, Bus-, Schienen- und Schiffsverkehr barrierefreier werden. Unverständlicherweise sind von diesen Regelungen die Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdienste ausgenommen. Gefordert wird eine bundesweite Sicherstellung eines barrierefreien Ticketings und Bezahlmodus auch für den gesamten Nahverkehr.

3. Im BFSG wird der Eindruck erweckt, als sei die bauliche Umwelt, die baulichen Zugänge für eine barrierefreie Lebensraumgestaltung unwesentlich. Dem ist nicht so: Für eine den Rollstuhl nutzende Person wirkt es zynisch, wenn der runterfahrbare Geldautomat barrierefrei ist, der Schalterraum, in dem dieser steht, aber aufgrund der davor befindlichen Stufen nicht zugänglich ist. Gefordert wird, dass die föderale Gemengelage von Gesetzgebungskompetenzen im Baurecht nicht dazu führen darf, dass die notwendige bauliche Barrierefreiheit im BFSG negiert wird. Der Bund ist schließlich für gleichwertige Lebensverhältnisse für alle Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zuständig. Zusammen mit den Ländern ist hier eine Lösung zu erarbeiten.

4. Auch für das BFSG hier muss “Nichts über uns ohne uns“ gelten. Vielen ist nicht einsichtig, warum klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) von den Verpflichtungen des BFSG ausgenommen werden. Bei der Erarbeitung entsprechender Leitlinien für Kleinstunternehmen sind Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderung ebenso einzubeziehen wie Fachexpert:innen im Bereich der Barrierefreiheit. Diese können maßgeblich dazu beitragen, dass KMUs die komplexe barrierefreie Gestaltung ihrer Produkte und Dienstleistungen als Chance für Wettbewerb und Vielfalt wahrnehmen und nicht als Bürde. Partizipation ist ein Erfolgsfaktor. 

Es darf keinen Flickenteppich geben

Laut BFSG soll die Marktüberwachung nahezu ausschließlich seitens der Länder erfolgen. Dass Fehlen bundesweiter Standards birgt die Gefahr eines Flickenteppichs. Es ist unverständlich, dass Institutionen auf Bundesebene, die bereits heute für Branchenbereiche die Marktüberwachung und den Verbraucherschutz übernehmen, die Sicherstellung der Barrierefreiheits-Anforderungen von Produkten und Dienstleistungen nicht in ihre Arbeit inkludieren wollen. Eine Ablehnung widerspricht dem notwendigen Disability Mainstreaming-Ansatz.

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz kann nur ein erster Schritt sein, um private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen zu mehr Barrierefreiheit zu verpflichten.