Lernen und Lehren während der Covid-19-Pandemie auf der Tagesordnung des Parlamentarischen Begleitgremiums
Thema der 20. öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Begleitgremiums zur Covid-19-Pandemie am 1. Juli 2021 war das „Lernen und Lehren während der Pandemie (Kita, Schule und Uni)“. Das Thema erwies sich als so facettenreich, dass es für drei Sitzungen gereicht hätte.
Es ging nicht nur um Vergangenheitsbewältigung bzw. der Frage, was in den vergangenen 17 Monaten passiert und wie mit den Folgen umzugehen ist, sondern vor allem darum, welche Maßnahmen jetzt entwickelt und welche Vorkehrungen für die Zukunft getroffen werden müssen. Angesichts der rasanten Ausbreitung der Delta-Variante müssen für die Bildungseinrichtungen zwingend bis zum Ende der Sommerferien geeignete Schutzkonzepte vorliegen.
Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Für Kitakinder, Schüler:innen, Student:innen, Azubis und Erzieher:innen, pädagogische Fachkräfte und die Lehrer:innen bedeutete die Corona-Krise eine neue Lebenserfahrung, Schüler:innen und Lehrpersonal waren und sind darüber hinaus mit neuen digitalen Lern- und Lehrmethoden konfrontiert. Die Umstellung und der Einsatz in die „digitale Schulwelt“ erfolgte offensichtlich nicht überall problemlos.
Für die Bildungseinrichtung Schule müssen verstärkt die Folgen des zwischenzeitlichen Schulausfalls und vor allem die vielfältigen Konsequenzen für Familien aufgrund des Homeschoolings und vieles mehr in den Blick genommen werden. In unserem föderalen Gefüge ist Bildung Ländersache. Dennoch steht auch die Bundesebene in der Verantwortung, handelt es sich bei der Bewältigung der Folgen der Covid-19-Pandemie doch um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Präsenzunterricht ermöglichen – auf welcher Grundlage?
Einig waren sich die Expert:innen darin, dass die niedrigen Inzidenzzahlen nicht übermütig machen sollten. Auch im Bildungsbereich sollte nicht nur über Öffnungen, sondern vor allem über die Integration erfolgreicher Schutzmaßnahmen, Testkonzepte etc. nachgedacht werden. Damit Entscheidungsträger:innen vor Ort nicht alleine gelassen werden, hat eine repräsentative Gruppe von Gesundheitsexpert:innen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften - hier federführend die Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie, die Deutsche Gesellschaft für Public Health, die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin sowie die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie – sowie am Schulgeschehen Beteiligte und Entscheidungsträger:innen eine strukturierte Vorgehensweise erarbeitet.
Hierbei handelt es sich um die "S3-Leitlinie, Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der SARS-CoV-2-Übertragung in Schulen - Lebende Leitlinie". Weitere Hinweise sind auf der Webseite des BMBF zu finden. Eine S3-Leitlinie ist die jeweils höchste wissenschaftlich erstellte und evidenzbasierte Antwort zu einer Fragestellung. An dieser S3-Leitlinie haben rund 40 medizinische Fachgesellschaften zusammengearbeitet.
Das Plädoyer der Sachverständigen ist klar: Nach den Sommerferien muss wieder ein flächendeckender Präsenzunterricht ermöglicht werden. Schulschließungen dürften nur das letzte Mittel sein. Nach derzeitigem Erkenntnisstand könne es keine andere Empfehlung geben: Schließlich seien die Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen eher selten und weniger schwer, in der Summe gebe es keine hohe Krankheitslast und auch deutlich weniger Todesfälle in dieser Altersgruppe, und nicht zuletzt spielten Kinder und Jugendlichen nachweislich nur eine begrenzte Rolle bei der Ausbreitung des Corona-Virus.
Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche
Auf einem gänzlich anderen Blatt steht, welche schulischen Rückstände und psychologischen Folgen bei Kindern und Jugendlichen während der Covid-19-Pandemie entstanden sind. Dazu zählt z.B. auch der durch die Einschränkungen verursachte Bewegungsmangel, der mittel- und langfristige gesundheitliche Auswirkungen nach sich ziehen kann, dazu zählt beispielsweise auch die fehlende Fähigkeit des Schwimmens bei vielen Kindern. Und auch in diesem Kontext ist es von großer Bedeutung, die soziökonomischen Hintergründe der Familien in den Blick zu nehmen.
Gerade im emotional-sozialen Bereich zeigt sich, dass die Defizite bei denjenigen Kindern und Jugendlichen größer geworden sind, die ohnehin wenig Unterstützung von Zuhause haben. Neben der Aufgabe, möglichst bei allen Kindern und Jugendlichen psychische Stabilität wiederherzustellen und nötigenfalls professionelle Betreuung zu gewährleisten, gilt es insbesondere einkommensschwache, bildungsferne Familien in den Blick nehmen und gezielt zu unterstützen. Diese dürfen infolge der Pandemie nicht noch mehr ins Hintertreffen geraten.
Altersspezifische Probleme
Hervorzuheben sind außerdem noch die jeweiligen entwicklungsbedingten Unterschiede je nach Altersgruppe. Besondere Versäumnisse und Einschränkungen hatten während der Corona-Krise die Heranwachsenden im Alter von 13 bis 16 Jahren, da sie spezifische Erfahrungen nicht machen konnten, die auch nicht nachzuholen sind – ein Punkt, auf den ich gleich zu Beginn der Arbeit des Parlamentarischen Begleitgremiums zur Covid-19-Pandemie hingewiesen habe.
Aber auch in anderen Altersgruppen zeigt sich, dass bestimmte Entwicklungen oder Entscheidungen eben nur in bestimmten Altersstufen stattfinden. Die Folge des Ausfalls von Schuleingangsuntersuchungen beispielweise ist, dass eventuelle Rückstände erst spät(er) erkannt werden können. Dennoch herrscht breite Ablehnung eines ausschließlichen Nachhilfe-Unterrichts in den Ferien. Bedeutsamer seien noch die Auswirkungen der Einschränkungen auf das Freizeitverhalten der Kinder und Jugendlichen. Hier sei Klarheit erforderlich, welche Regelungen gerade gelten. Kinder und Jugendliche wollen sich sehr wohl an Regeln halten - und nicht nur „Party machen“, wie oftmals reißerisch kolportiert wird.
Maßnahmen zur Kompensation
Um all dieses kompensieren zu können, solle im Bildungsbereich die sozial-emotionale Entwicklung verstärkt in den Fokus gebracht werden. Dringendst müsse die Schulsozialarbeit ausgebaut werden und auch im direkten schulischen Kontext müssten die Lebenslagen und -situationen der vergangenen eineinhalb Jahren aufgearbeitet werden. Es gebe erheblichen Redebedarf. Das sogenannte „Aufholpaket“, das „Aktionsprogramm Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche für die Jahre 2021 und 2022“ dürfe nicht nur projektbezogen umzusetzen sein. Es bedürfe einer institutionellen Verstetigung.
Für die (nahe) Zukunft braucht es also die Bereitstellung ausreichender Ressourcen und die Einstellung von mehr Fachkräften, um mögliche bleibende Schäden bei Kindern und Jugendlichen zu verhindern. Der erhebliche Bedarf an qualifiziertem Personal hat sich bereits während der Covid-19-Pandemie verschärft gezeigt. Langfristig müsste die Lehrer:innen-Ausbildung gestärkt und ausgebaut werden, mittelfristig sind Programme für Quereinsteiger:innen zu entwickeln, und kurzfristig Zugänge für Praktika, Fort- und Weiterbildungen etc. zu ermöglichen.
Ausstattung der Schulen
Ein weiterer kritischer Punkt betrifft die Schutzvorkehrungen an Schulen, also vor allem die Luftfilter, die auch nach eineinhalb Jahren seit Ausbruch der Corona-Pandemie noch nicht in ausreichender Form vorliegen. Zwar stehen die erforderlichen Fördermittel bereit, aber die unterschiedlichen Zuständigkeiten für die Schaffung von infrastrukturellen Voraussetzungen an Schulen verlangsamt und erschwert den Prozess erheblich.
Allerdings ist zum gegenwärtigen Zeitraum noch nicht ausreichend erforscht, wie effektiv Luftreinigungsgeräte tatsächlich sind. Diese sorgen zwar für eine Reinigung der Luft, nicht aber für einen wirklichen Luftaustausch wie beispielweise das regelmäßige Lüften mittels Durchzugs. Durchzug bei Minusgraden kann aber für den nächsten Winter nicht die einzige Möglichkeit sein.
Tests und Impfungen für Schüler:innen
Flächendeckend werden die Tests an den Schulen nicht als unproblematisch eingeschätzt. Tests sind durchaus geeignet, um frühzeitig Infektionen zu identifizieren und die Ausbreitung einzudämmen, es gibt jedoch erhebliche Unterschiede hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit, Güte und Zuverlässigkeit der Tests. Hier hier gilt: Was kann und muss in der Sommerpause an Logistik aufgebaut bzw. an Ausstattung angeschafft werden, um eine bessere Eindämmung des Pandemiegeschehens bei gleichzeitiger Öffnung der Schulen zu gewährleisten. Die Schüler*innen können und wollen mit regelmäßigen Testungen umgehen, wenn dadurch Präsenzunterricht ermöglicht wird.
Bleibt die Frage nach der Impfung von Kindern und Jugendlichen. Bislang sind in Schulen vergleichsweise wenig lange Infektionsketten aufgetreten. Noch ist auf eine altersübergreifende Empfehlung der Stiko zu warten. Impfungen bei Kindern und Jugendlichen haben in erster Linie nicht eine medizinische Funktion, da ihr Risiko für einen (schweren) Erkrankungsverlauf nicht sehr groß ist. Impfungen bei Kindern und Jugendlichen tragen aber mit zur Eindämmung der Pandemie und zum Schutz der Bevölkerung bei. Erwachsene können Vorbilder sein – eine Vollimpfung einer hohen Anzahl Erwachsener senkt auch das Risiko für die Kinder und Jugendlichen. Um das Ziel der vollen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten, sollten diese – in Abwägung der Stiko-Empfehlungen – aber geimpft werden können und die notwendigen Vorarbeiten dafür geleistet werden.
Digitalisierung tut not!
Die Expert:innen verwiesen zu Recht darauf, dass eine „digitale Schule“ sehr viel mehr ist als das Vorhandensein mobiler Endgeräte in hoffentlich ausreichender Anzahl. Es brauche pro Schule eine Strategie bzw. ein Gesamtkonzept, wie digitale Bildung aussehen soll und kann. Hierzu gehören die Fort- und Weiterbildungen aller in der Schule Tätigen, gehöre ein Systemadministrator, etc.. Neben jenen Konzepten, die an den Schulen während der Pandemie ad hoc entwickelt wurden, braucht es auch solche, die fundiert ausgearbeitet sind. Denn die Digitalisierung ist ein langfristiger Prozess, der zukünftig – auch unabhängig von der Notsituation einer Pandemie und dem akuten Bedarf an „Homeschooling“ – stetig weiterentwickelt und evaluiert werden muss.
Die Situation der Studierenden – Hilfen des Bundes
Ein kurzer Blick noch auf die Universitäten und Hochschulen: Auch das studentische Leben ist durch die Pandemie schwer getroffen worden, die meisten Universitäten waren geschlossen. Es sind aber auch viele Jobmöglichkeiten entfallen. Gegen den Widerstand der SPD-Bundestagsfraktion hat sich die CDU/CSU mit dem Konzept des zinslosem KfW-Darlehen durchgesetzt. Die SPD-Fraktion hatte sich für nicht rückzahlbare Zuschüsse und – im Gegensatz zur Union, die dieses kategorisch ablehnt – für eine Ausweitung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) ausgesprochen. Hierzu wurde lediglich beschlossen, dass Studierende, die ihr Studium verlängern müssen, auch länger Bafög erhalten sollen.
Die Expert:innen sind der Meinung, dass die Vergabe von Krediten das falsche Mittel sei, es bedürfe in der nächsten Legislatur dringendst einer BAföG-Reform. Die angekündigten Unterstützungsleistungen des Bundes wie auch die Überbrückungshilfen für Studierende seien in vielen Fällen nicht angekommen, da ihre Notlage als nicht durch die Corona-Pandemie verursacht anerkannt wurde! Angesichts der prekären Lage, in der sich viele Studierende beispielsweise infolge des Verlustes ihres Nebenjobs befinden, empfinde ich dieses geradezu als zynisch.
Die Betroffenen einbeziehen
Ein mir wichtiger Punkt wurde durch den Generalsekretär der Bundesschüler:innenkonferenz Dario Schramm gegen Ende noch einmal betont: Er beklagte, dass sie zwar vielfach eingeladen würden, um ihre Erlebnisse während der Covid-19-Pandemie zu schildern, dass sie allerdings in Beteiligungs- und Entscheidungsprozesse viel zu wenig einbezogen werden.
Daran müssen wir arbeiten! Gerade wenn es um Entscheidungen zu den anstehenden gesellschaftlichen Herausforderungen zur Bewältigung der Pandemie geht, müssen wir die Betroffenen stärker einbeziehen und ihre Selbstwirksamkeit stärken, Beteiligung und Mitbestimmung ermöglichen, sowie ein Mitwirkungs- und nötigenfalls Beschwerdemanagement auf kommunaler Ebene einrichten.
Wir müssen dabei sowohl die jeweilige individuelle Situation als auch die systemischen Bedingungen in den Blick nehmen. Und wir müssen – auch und gerade in einer gesellschaftlichen Ausnahmesituation, wie es eine Pandemie nun mal ist – Zugänge schaffen für die gesellschaftliche Teilhabe aller, auch der vulnerablen Bevölkerungsgruppen!
Die nächste Sitzung
Die nächste öffentliche Anhörung des Parlamentarischen Begleitgremiums zur Covid-19-Pandemie findet am Donnerstag, dem 8. Juli 2021 statt. Thema sind diesmal die langfristigen Konsequenzen für das Gesundheitssystem. Wie immer wird die Sitzung in diesem Unterausschuss im Parlamentsfernsehen übertragen, Sie können sie also live mitverfolgen.
(Grafik: Mechthild Rawert, MdB)
Lernen und Lehren während der Covid-19-Pandemie auf der Tagesordnung des Parlamentarischen Begleitgremiums
Thema der 20. öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Begleitgremiums zur Covid-19-Pandemie am 1. Juli 2021 war das „Lernen und Lehren während der Pandemie (Kita, Schule und Uni)“
https://www.bundestag.de/ausschuesse/a14/pandemie/anhoerungen#url=L2F1c3NjaHVlc3NlL2ExNC9wYW5kZW1pZS9hbmhvZXJ1bmdlbi84NDk1MDAtODQ5NTAw&mod=mod837786
. Das Thema erwies sich als so facettenreich, dass es für drei Sitzungen gereicht hätte. Es ging nicht nur um Vergangenheitsbewältigung bzw. der Frage, was in den vergangenen 17 Monaten passiert und wie mit den Folgen umzugehen ist, sondern vor allem darum, welche Maßnahmen jetzt entwickelt und welche Vorkehrungen für die Zukunft getroffen werden müssen. Angesichts der rasanten Ausbreitung der Delta-Variante müssen für die Bildungseinrichtungen allerspätestens bis zum Ende der Sommerferien geeignete Schutzkonzepte vorliegen.
Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Für Kita-Kinder, Schüler*innen, Student*innen, Azubis und Erzieher*innen, pädagogische Fachkräfte und die Lehrer*innen bedeutete die Corona-Krise eine neue Lebenserfahrung, Schüler*innen und Lehrpersonal waren und sind darüber hinaus mit neuen digitalen Lern- und Lehrmethoden konfrontiert. Die Umstellung und der Einsatz in die „digitale Schulwelt“ erfolgte offensichtlich nicht überall problemlos.
Für die Bildungseinrichtung Schule müssen verstärkt die Folgen des zwischenzeitlichen Schulausfalls und vor allem die vielfältigen Konsequenzen für Familien aufgrund des Home-Schoolings und vieles mehr in den Blick genommen werden. In unserem föderalen Gefüge ist Bildung Ländersache. Dennoch steht auch die Bundesebene in der Verantwortung, handelt es sich bei der Bewältigung der Folgen der Covid-19-Pandemie doch um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Präsenzunterricht ermöglichen – auf welcher Grundlage?
Einig waren sich die Expert*innen darin, dass die niedrigen Inzidenzzahlen nicht übermütig machen sollten. Auch im Bildungsbereich sollte nicht nur über Öffnungen, sondern vor allem über die Integration erfolgreicher Schutzmaßnahmen, Testkonzepte etc. nachgedacht werden. Damit Entscheidungsträger*innen vor Ort nicht alleine gelassen werden, hat eine repräsentative Gruppe von Gesundheits-Expert:innen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften - hier federführend die Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie, die Deutsche Gesellschaft für Public Health, die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin sowie die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie – sowie am Schulgeschehen Beteiligte und Entscheidungsträger:innen eine strukturierte Vorgehensweise erarbeitet.
Hierbei handelt es sich um die S3-Leitlinie Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der SARS-CoV-2-Übertragung in Schulen | Lebende Leitlinie
https://www.bmbf.de/files/027-076k_Praevention_und_Kontrolle_SARS-CoV-2-Uebertragung_in_Schulen_2021-02.pdf
. Weitere Hinweise sind auf der Webseite
https://www.bmbf.de/de/die-s3-leitlinie-als-handlungsempfehlung-fuer-schulen-13722.html
des BMBF zu finden. Eine S3-Leilinie ist die jeweils höchste wissenschaftlich erstellte und evidenzbasierte Antwort zu einer Fragestellung. An dieser S3-Leitlinie haben rund 40 medizinische Fachgesellschaften zusammengearbeitet.
Das Plädoyer der Sachverständigen ist klar: Nach den Sommerferien muss wieder ein flächendeckender Präsenzunterricht ermöglicht werden. Schulschließungen dürften nur das letzte Mittel sein. Nach derzeitigem Erkenntnisstand könne es keine andere Empfehlung geben: Schließlich seien die Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen eher selten und weniger schwer, in der Summe gebe es keine hohe Krankheitslast und auch deutlich weniger Todesfälle in dieser Altersgruppe, und nicht zuletzt spielten Kinder und Jugendlichen nachweislich nur eine begrenzte Rolle bei der Ausbreitung des Corona-Virus.
Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche
Auf einem gänzlich anderen Blatt steht, welche schulischen Rückstände und psychologischen Folgen bei Kindern und Jugendlichen während der Covid-19-Pandemie entstanden sind. Dazu zählt z.B. auch der durch die Einschränkungen verursachte Bewegungsmangel, der mittel- und langfristige gesundheitliche Auswirkungen nach sich ziehen kann, dazu zählt beispielsweise auch die fehlende Fähigkeit des Schwimmens bei vielen Kindern. Und auch in diesem Kontext ist es von großer Bedeutung, die soziökonomischen Hintergründe der Familien in den Blick zu nehmen.
Gerade im emotional-sozialen Bereich zeigt sich, dass die Defizite bei denjenigen Kindern und Jugendlichen größer geworden sind, die ohnehin wenig Unterstützung von Zuhause haben. Neben der Aufgabe, möglichst bei allen Kindern und Jugendlichen psychische Stabilität wiederherzustellen und nötigenfalls professionelle Betreuung zu gewährleisten, gilt es insbesondere einkommensschwache, bildungsferne Familien in den Blick nehmen und gezielt zu unterstützen. Diese dürfen infolge der Pandemie nicht noch mehr ins Hintertreffen geraten.
Altersspezifische Probleme
Hervorzuheben sind außerdem noch die jeweiligen entwicklungsbedingten Unterschiede je nach Altersgruppe. Besondere Versäumnisse und Einschränkungen hatten während der Corona-Krise die Heranwachsenden im Alter von 13 bis 16 Jahren, da sie spezifische Erfahrungen nicht machen konnten, die auch nicht nachzuholen sind – ein Punkt, auf den ich gleich zu Beginn der Arbeit des Parlamentarischen Begleitgremiums zur Covid-19-Pandemie hingewiesen habe.
Aber auch in anderen Altersgruppen zeigt sich, dass bestimmte Entwicklungen oder Entscheidungen eben nur in bestimmten Altersstufen stattfinden. Die Folge des Ausfalls von Schuleingangsuntersuchungen beispielweise ist, dass eventuelle Rückstände erst spät(er) erkannt werden können. Dennoch herrscht breite Ablehnung eines ausschließlichen Nachhilfe-Unterrichts in den Ferien. Bedeutsamer seien noch die Auswirkungen der Einschränkungen auf das Freizeitverhalten der Kinder und Jugendlichen. Hier sei Klarheit erforderlich, welche Regelungen gerade gelten. Kinder und Jugendliche wollen sich sehr wohl an Regeln halten - und nicht nur „Party machen“, wie oftmals reißerisch kolportiert wird.
Maßnahmen zur Kompensation
Um all dieses kompensieren zu können, solle im Bildungsbereich die sozial-emotionale Entwicklung verstärkt in den Fokus gebracht werden. Dringendst müsse die Schulsozialarbeit ausgebaut werden und auch im direkten schulischen Kontext müssten die Lebenslagen und -situationen der vergangenen eineinhalb Jahren aufgearbeitet werden. Es gebe erheblichen Redebedarf. Das sogenannte „Aufholpaket“, das „Aktionsprogramm Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche für die Jahre 2021 und 2022“
https://www.bmbf.de/files/BMFSFJ_Corona_Aufholpaket_Kurzinfo.pdf
dürfe nicht nur projektbezogen umzusetzen sein. Es bedürfe einer institutionellen Verstetigung.
Für die (nahe) Zukunft braucht es also die Bereitstellung ausreichender Ressourcen und die Einstellung von mehr Fachkräften, um mögliche bleibende Schäden bei Kindern und Jugendlichen zu verhindern. Der erhebliche Bedarf an qualifiziertem Personal hat sich bereits während der Covid-19-Pandemie verschärft gezeigt. Langfristig müsste die Lehrer*innen-Ausbildung gestärkt und ausgebaut werden, mittelfristig sind Programme für Quereinsteiger*innen zu entwickeln, und kurzfristig Zugänge für Praktika, Fort- und Weiterbildungen etc. zu ermöglichen.
Ausstattung der Schulen
Ein weiterer kritischer Punkt betrifft die Schutzvorkehrungen an Schulen, also vor allem die Luftfilter, die auch nach eineinhalb Jahren seit Ausbruch der Corona-Pandemie noch nicht in ausreichender Form vorliegen. Zwar stehen die erforderlichen Fördermittel bereit, aber die unterschiedlichen Zuständigkeiten für die Schaffung von infrastrukturellen Voraussetzungen an Schulen verlangsamt und erschwert den Prozess erheblich.
Allerdings ist zum gegenwärtigen Zeitraum noch nicht ausreichend erforscht, wie effektiv Luftreinigungsgeräte tatsächlich sind. Diese sorgen zwar für eine Reinigung der Luft, nicht aber für einen wirklichen Luftaustausch wie beispielweise das regelmäßige Lüften mittels Durchzugs. Durchzug bei Minusgraden kann aber für den nächsten Winter nicht die einzige Möglichkeit sein.
Tests und Impfungen für Schüler*innen
Flächendeckend werden die Tests an den Schulen nicht als unproblematisch eingeschätzt. Tests sind durchaus geeignet, um frühzeitig Infektionen zu identifizieren und die Ausbreitung einzudämmen, es gibt jedoch erhebliche Unterschiede hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit, Güte und Zuverlässigkeit der Tests. Hier hier gilt: Was kann und muss in der Sommerpause an Logistik aufgebaut bzw. an Ausstattung angeschafft werden, um eine bessere Eindämmung des Pandemiegeschehens bei gleichzeitiger Öffnung der Schulen zu gewährleisten. Die Schüler*innen können und wollen mit regelmäßigen Testungen umgehen, wenn dadurch Präsenzunterricht ermöglicht wird.
Bleibt die Frage nach der Impfung von Kindern und Jugendlichen. Bislang sind in Schulen vergleichsweise wenig lange Infektionsketten aufgetreten. Noch ist auf eine altersübergreifende Empfehlung der Stiko zu warten. Impfungen bei Kindern und Jugendlichen haben in erster Linie nicht eine medizinische Funktion, da ihr Risiko für einen (schweren) Erkrankungsverlauf nicht sehr groß ist. Impfungen bei Kindern und Jugendlichen tragen aber mit zur Eindämmung der Pandemie und zum Schutz der Bevölkerung bei. Erwachsene können Vorbilder sein – eine Vollimpfung einer hohen Anzahl Erwachsener senkt auch das Risiko für die Kinder und Jugendlichen. Um das Ziel der vollen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten, sollten diese – in Abwägung der Stiko-Empfehlungen – aber geimpft werden können und die notwendigen Vorarbeiten dafür geleistet werden.
Digitalisierung tut not!
Die Expert:innen verwiesen zu Recht darauf, dass eine „digitale Schule“ sehr viel mehr ist als das Vorhandensein mobiler Endgeräte in hoffentlich ausreichender Anzahl. Es brauche pro Schule eine Strategie bzw. ein Gesamtkonzept, wie digitale Bildung aussehen soll und kann. Hierzu gehören die Fort- und Weiterbildungen aller in der Schule Tätigen, gehöre ein Systemadministrator, etc.. Neben jenen Konzepten, die an den Schulen während der Pandemie ad hoc entwickelt wurden, braucht es auch solche, die fundiert ausgearbeitet sind. Denn die Digitalisierung ist ein langfristiger Prozess, der zukünftig – auch unabhängig von der Notsituation einer Pandemie und dem akuten Bedarf an „Home-Schooling“ – stetig weiterentwickelt und evaluiert werden muss.
Die Situation der Studierenden – Hilfen des Bundes
Ein kurzer Blick noch auf die Universitäten und Hochschulen: Auch das studentische Leben ist durch die Pandemie schwer getroffen worden, die meisten Universitäten waren geschlossen. Es sind aber auch viele Jobmöglichkeiten entfallen. Gegen den Widerstand der SPD-Bundestagsfraktion hat sich die CDU/CSU mit dem Konzept des zinslosem KfW-Darlehen durchgesetzt. Die SPD-Fraktion hatte sich für nicht rückzahlbare Zuschüsse und – im Gegensatz zur Union, die dieses kategorisch ablehnt – für eine Ausweitung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) ausgesprochen. Hierzu wurde lediglich beschlossen, dass Studierende, die ihr Studium verlängern müssen, auch länger Bafög erhalten sollen.
Die Expert:innen sind der Meinung, dass die Vergabe von Krediten das falsche Mittel sei, es bedürfe in der nächsten Legislatur dringendst einer BAföG-Reform. Die angekündigten Unterstützungsleistungen des Bundes wie auch die Überbrückungshilfen für Studierende seien in vielen Fällen nicht angekommen, da ihre Notlage als nicht durch die Corona-Pandemie verursacht anerkannt wurde! Angesichts der prekären Lage, in der sich viele Studierende beispielsweise infolge des Verlustes ihres Nebenjobs befinden, empfinde ich dieses geradezu als zynisch.
Die Betroffenen einbeziehen
Ein mir wichtiger Punkt wurde durch den Generalsekretär der Bundesschüler:innenkonferenz Dario Schramm gegen Ende noch einmal betont: Er beklagte, dass sie zwar vielfach eingeladen würden, um ihre Erlebnisse während der Covid-19-Pandemie zu schildern, dass sie allerdings in Beteiligungs- und Entscheidungsprozesse viel zu wenig einbezogen werden.
Daran müssen wir arbeiten! Gerade wenn es um Entscheidungen zu den anstehenden gesellschaftlichen Herausforderungen zur Bewältigung der Pandemie geht, müssen wir die Betroffenen stärker einbeziehen und ihre Selbstwirksamkeit stärken, Beteiligung und Mitbestimmung ermöglichen, sowie ein Mitwirkungs- und nötigenfalls Beschwerdemanagement auf kommunaler Ebene einrichten.
Wir müssen dabei sowohl die jeweilige individuelle Situation als auch die systemischen Bedingungen in den Blick nehmen. Und wir müssen – auch und gerade in einer gesellschaftlichen Ausnahmesituation, wie es eine Pandemie nun mal ist – Zugänge schaffen für die gesellschaftliche Teilhabe aller, auch der vulnerablen Bevölkerungsgruppen!
Die nächste Sitzung
Die nächste öffentliche Anhörung des Parlamentarischen Begleitgremiums zur Covid-19-Pandemie findet am Donnerstag, dem 8. Juli 2021 statt. Thema sind diesmal die langfristigen Konsequenzen für das Gesundheitssystem. Wie immer wird die Sitzung in diesem Unterausschuss im Parlamentsfernsehen übertragen, Sie können sie also live mitverfolgen.