Häusliche Gewalt innerhalb einer bestehenden oder beendeten Partnerschaft ist nicht nur eine Verletzung der Menschen- und Frauenrechte sondern auch mit ernsthaften Gesundheitsfolgen verknüpft.
Diese haben viele Formen: Neben körperlicher Gewalt fällt auch sexualisierte oder psychische Gewalt darunter. Weltweit gilt häusliche Gewalt als eine der am stärksten verbreitetsten Menschen- und Frauenrechtsverletzungen. Auch in Deutschland ist das Problem ein akutes; über 80 Prozent der Betroffenen hierzulande sind Frauen. Jede dritte Frau ist mindestens einmal in ihrem Leben von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen.
Diskussion zum Stand der Umsetzung der Istanbul-Konvention
Vorliegende Gewaltprävalenzen legen auf erschreckende Weise das Ausmaß geschlechtsspezifischer Gewalt offen zutage. Weltweit stehen die Länder und jeweiligen Regierungen in der Verantwortung, dagegen anzugehen und Betroffene besser zu schützen. Mit dem Ziel ihrer langfristig nachhaltigen Bekämpfung trat im Jahr 2014 das sog. „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ - auch bekannt als „Istanbul-Konvention“ - in Kraft. Der Vertrag gilt als wichtigstes völkerrechtliches Instrument im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und schafft verbindliche Rechtsnormen gegen geschlechtsspezifische Gewalt. So schreibt die Istanbul-Konvention den Ausbau von Hilfsangeboten vor. Ferner soll umfassender gegen psychische, körperliche und sexuelle Gewalt vorgegangen werden. Deutschland hat die Istanbul-Konvention im Jahr 2017 ratifiziert und sich damit zur effektiven Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt verpflichtet.
Vier Jahre sind seitdem vergangen. Es stellt sich die Frage, ob es seit der Ratifizierung zu nennenswerten Fortschritten gekommen ist. Welche Maßnahmen und Konzepte existieren und wie ist der Stand der Umsetzung der Istanbul-Konvention im Spätsommer 2021? An welchen Stellen besteht weiterhin Handlungsbedarf und wie können gegebenenfalls bestehende Versorgungsstrukturen für Frauen verbessert werden?
Fachtagung „GEWALT.MACHT.FRAUEN.SEELE.KRANK“
Diesen Fragen widmete sich der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF) mit seinen Mitgliedsorganisation dem Verein Frauenhauskoordinierung e.V., dem GESINE Netzwerk Gesundheit.EN, der Initiative für eine gerechte Geburtshilfe in Deutschland und S.I.G.N.A.L e.V. – Intervention im Gesundheitsbereich gegen häusliche und sexualisierte Gewalt mit der digitalen Fachtagung „GEWALT.MACHT.FRAUEN.SEELE.KRANK“ am 03.09.21. Im Rahmen der Tagung ging es um eine umfassende Bestandsaufnahme, um bestehende Lücken und konkrete Lösungsansätze zur psychischen Gesundheit von gewaltbetroffenen Frauen. Zur Veranstaltung waren neben Fachleuten aus der Gesundheitsversorgung und dem Gewaltschutzbereich, Entscheidungsträger*innen aus Politik und Gesellschaft sowie Frauen mit Gewalterfahrungen eingeladen.
Vielfältige Auswirkungen sexualisierter Gewalt für Betroffene
Während der Fachtagung wurde verstärkt auf die vielfältigen gesundheitlichen und psychischen Folgewirkungen des Erlebens sexualisierter Gewalt eingegangen. Das Erleben sexualisierter Gewalt bedeutet die unmittelbare Bedrohung sowie die körperliche und seelische Verletzung für Betroffene und umfasst verschiedene Dimensionen:
- Die Erfahrung, dass Regeln, die für respektvolles zwischenmenschliches Verhalten gelten, außer Kraft gesetzt werden,
- den Verlust der Kontrolle über die Situation,
- den Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper,
- den Verlust des Vertrauens in bisherige Beziehungserfahrungen,
- die Erkenntnis, dass der eigene Wille missachtet und gebrochen werden kann,
- dass der eigenen, möglichen Ambivalenz zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und dem Wunsch, Grenzen zu setzen, Gewalt entgegengesetzt wird.
Gewalt ist somit niemals folgenlos: Gewalterfahrungen stellen nicht nur in der jeweiligen Akutsituation eine unmittelbare Gefährdung für die betroffene Person dar. Monate, zuweilen Jahre später, leiden viele Betroffene noch oft unter immensen Folgewirkungen. Neben gesundheitlichen Beschwerden (Hämatome, Herz-Kreislauferkrankungen) treten mitunter Veränderungen im Verhalten und psychische Belastungen wie z.B. Depressionen, Angststörungen und posttraumatische Belastungsfolgen auf.
Hilfsangebote werden von Betroffenen häufig nicht genutzt
Im Rahmen der Tagung wurde ein weiteres Problem aufgeworfen: Nur wenige von Gewalt betroffene Frauen suchen sich aktiv Hilfe: Nur 10 Prozent wenden sich an die Polizei, und nur 2 Prozent suchen Unterstützung bei Opferschutzeinrichtungen oder Frauenhäusern. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Neben empfundener Scham, Schuldgefühlen und einem beschädigten Selbstwertgefühl kann auch Angst vor weiterer Eskalation ein Grund für die Nicht-Inanspruchnahme von Hilfeleistungen sein. Bei Migrantinnen können zudem Sprachbarrieren, die Tabuisierung von Gewalt sowie ohnehin schon traumatische Fluchterfahrungen hinzukommen.
Erschwerend kommt hinzu: Nehmen Betroffene Hilfe in Anspruch, stoßen sie nicht selten auf eine desolate gesundheitliche Versorgungsinfrastruktur. So mangelt es zuweilen an hinreichender therapeutischer Beratung wie Therapieplätzen oder an medizinischen Screenings.
Geschlechtsspezifische Gewalt effektiv bekämpfen
Um effektiv gegen Gewalt anzugehen, so der Konsens der Teilnehmenden, müssen eben diese Erkenntnisse zu möglichen Barrieren beim Rückgriff auf Hilfeleistungen aber auch zum gegenwärtigen Stand des Angebots zwingend Eingang in gesundheitspolitische Aktivitäten finden. Zudem braucht es präventive Maßnahmen unterschiedlichster Art, um geschlechtsspezifische Gewalt wirksam zu unterbinden: Benötigt werden konkrete Informationen und eine umfassende Aufklärung über gesundheitliche und psychische Folgen von Gewalterfahrungen, als auch über bestehende Möglichkeiten, sich Hilfe zu suchen. Ebenso ist es notwendig, ein ausreichendes Angebot zu schaffen, welches akut und längerfristige Angebote für von Gewalt betroffene Frauen bereithält. Ferner müssen Wege gefunden werden, Vorbehalte gegenüber Hilfsangeboten abzubauen und somit besser gegen Stigmatisierung vorzugehen. Hinterfragt werden müssen auch gesellschaftlich immer noch vorherrschende strikte Rollenzuschreibungen hinsichtlich eines patriarchalen Geschlechterverhältnisses.
Im Austausch zwischen Betroffenen, Fachleuten sowie Beratungsstellen wurde schnell klar, dass vor allem eine bessere Finanzierung und Ausstattung benötigt wird. Eine ausreichende Finanzierung ist Voraussetzung für notwendige Fort- und Weiterbildungen: sei es in der Justiz, für Staatsanwaltschaften, Polizei, Therapeut*innen genauso wie für Betroffene. Auch für einen flächendeckenden Ausbau barrierefreier Hilfsangebote braucht es mehr Ressourcen.
Politik und Organisationen stehen in der Verantwortung, Konzepte zu entwickeln und Maßnahmen zu ergreifen, die die Verbesserung der psychischen Gesundheit gewaltbetroffener Frauen bewirken. Es braucht den Ausbau niedrigschwelliger und bedarfsgerechter psychosozialer Therapieplätze ebenso wie geschlechtssensibler Beratungs- und Hilfsangebote. Um diese für einen möglichst großen Teil der Bevölkerung zugänglich zu machen, muss Mehrsprachigkeit garantiert werden. Und letztlich ist es wichtig, Organisationen, Frauenhäuser etc. besser miteinander zu vernetzen – beispielsweise auch mit Einrichtungen der Behindertenhilfe -, um einen zielorientierten Austausch zu ermöglichen.
Die SPD setzt sich aktiv für die Bekämpfung jeglicher Form von geschlechtsspezifischer Gewalt ein
Ein Leben ohne Gewalt ist ein Menschenrecht. Dafür stehen wir als SPD. Uns Sozialdemokrat*innen sind die Dringlichkeit und Vielfschichtigkeit der Aufgaben bewusst. Wir werden den besseren Schutz von Gewalt betroffener Frauen aktiv angehen. Das bekräftigen wir auch in unserem Zukunftsprogramm zur Bundestagswahl: Um Gewalt gegen Frauen wirksam zu bekämpfen, wollen wir u.a. bestehende rechtliche Grundlagen für eine effektive Strafverfolgung und die Zusammenarbeit aller Verantwortlichen in (nicht-) staatlichen Institutionen verbessern. Entsprechend unserer Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention werden wir das Hilfesystem aus Beratungsstellen, Frauenhäusern und anderen Schutzeinrichtungen weiterentwickeln. Zudem wollen wir für von Gewalt betroffene Frauen einen Rechtsanspruch auf Beratung und Schutz einführen und spezifische Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Femizide einrichten.