Hauptmenü

VII. Deutsch-Türkischer Psychiatriekongress im Schöneberger Rathaus

Unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit fand am 21.September 2010 der VII. Deutsch-Türkische Psychiatriekongress „Kulturräume“ der binationalen Fachgesellschaft Deutsch-Türkische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und soziale Gesundheit im Rathaus Schöneberg statt. „Transkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie ist schon längst mehr als nur eine Kommunikation zwischen zwei Kulturräumen. Psychische Gesundheit muss individuell zwischen den Kulturräumen der jeweiligen Lebenswelten gelingen“, so die Gesundheitspolitikerin der SPD-Bundestagsfraktion Mechthild Rawert.

„Unsere Demokratie ermöglicht eine freiheitliche Ausübung fachlicher Diagnostik und Behandlung im Bereich der seelischen Gesundheit auf hohem Niveau. Wie überall im Gesundheitswesen stellt sich auch im Bereich der Psychiatrie und psychosozialer Versorgung die Frage nach der Unter-, Fehl- und Überversorgung der Bevölkerung. Um dem gesetzlichen Auftrag für eine gleichberechtigte und flächendeckende Versorgung nachkommen zu können, bedarf es einer verstärkten interkulturellen Öffnung des deutschen Gesundheitswesens. Im Vordergrund steht dabei der Abbau von Zugangsbarrieren für alle Gruppen mit unterschiedlicher kultureller und ethnischer Zugehörigkeit. Von dieser nachhaltigen Verbesserung des stationären als auch ambulanten Bereiches profitiert die gesamte Bevölkerung“, betonte Mechthild Rawert, zuständige Berichterstatterin im Gesundheitsausschuss, in ihrem Grußwort. Ein weiteres Grußwort der Dekanin der Charité, Universitätsklinikum Berlin, befasste sich unter anderem kritisch mit einer Stellungnahme zu den aktuell geäußerten Integrationsthesen.

Nationalitäten konstruieren sich nicht mehr entlang alter Nationalstaatlichkeiten

Welche Bedeutung haben Lebenswelten und Lebensräume in der heutigen Zeit für die Bildung und den Erhalt von Identität. Welche Rolle hat die moderne Form der Migration heute? Mit diesen Fragen beschäftigte sich Prof. Dr. Andreas Heinz (Charité, Berlin) in seinem Eröffnungsbeitrag: „Identitäten konstruieren sich nicht mehr entlang alter Nationalstaatlichkeiten“. Solche Denk- und Identitätsmodelle des vergangenen Jahrhunderts seien durch moderne Migrationsformen überholt. Neuere Forschungsergebnisse der Biologie und Genetik gingen hinsichtlich der Menschwerdung nicht mehr von der Vorstellung aus, dass „der Mensch“ an verschiedenen Stellen unserer Erde seinen Ursprung hätte, sondern dass alle Mitglieder des Menschengeschlechts dem gleichen genetischen Pool entstammen würden. Aktuellen Äußerungen einzelner Buchautoren sei darüber hinaus zu entgegen, dass die Gene des Menschen zu 98 Prozent mit denen der Mäuse und zu 99 Prozent mit denen der Schimpansen übereinstimmten. So sei der Intelligenzquotient nur zu 16 Prozent ein Indikator für Vorhersagen hinsichtlich der Erlangung eines Bachelorabschlusses und nur zu 9 Prozent entscheidend für den Erfolg im Beruf.

Milieus sind trennschärfer als Ethnien

Die Milieustudien des Bundesverbandes für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. (Vhw) hatten bewiesen, dass es "die Türken" nicht gibt. Eine Unterscheidung nach Herkunftsländern bzw. -kulturen sei dementsprechend nicht geeignet, der vielfältigen Lebenswirklichkeit und damit auch der Integrationsbereitschaft von Migranten gerecht zu werden. Entsprechend den Studien ist die Zugehörigkeit zu einer Lebenswelt viel entscheidender. Im Bereich der Psychiatrie, der sprechenden Medizin, der psychosozialen Betreuung sei die Kenntnis von „Sprachwelten“ unerlässlich. Hier liege eine große Herausforderung für das Gesundheitswesen. „Sprachwelten“ sind mehr als eine reine Übersetzung.

„Seelische Gesundheit ist für alle Menschen gleichermaßen von großer Bedeutung. Migrationstheorien und darauf beruhende politische Handlungskonzepte konzentrieren sich häufig auf Fragen der Akkulturation, d. h. der Anpassung an die Normen der Aufnahme-, der Einwanderungsgesellschaft“, stellte Mechthild Rawert heraus.

Transnationale Netzwerke

Im Mittelpunkt des VII. Deutsch-Türkischen Psychiatriekongresses, unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Heinz (Berlin) und Frau Prof. Dr. Güler Okman Fişek (İstanbul), stand weiterhin die bis dato wenig beachtete Existenz transnationaler Netzwerke. Diese schaffen eine Verbindung zwischen Migrantinnen und Migranten und ihren Angehörigen und helfen dabei den weiteren Kontakt mit dem Ursprungsort und einer Vielzahl anderer kultureller Räume zu sichern. Die Tagung war bestrebt Antworten darauf finden, welche Rolle solche sozialen Netze für die Erhaltung der seelischen Gesundheit haben und welche Bedeutung ihnen als therapeutische Ressource zukommt.

Die Deutsch-Türkische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosoziale Gesundheit e. V. veranstaltet seit fünfzehn Jahren regelmäßig Kongresse in Deutschland und in der Türkei. Diese Kongresse haben sich als ein wichtiges Forum für deutsch- und türkischsprachige Fachleute aus allen psychosozialen Berufen etabliert.