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Fraktion vor Ort: Regelsätze und Bildungsteilhabe - Schaffen die Neubewertungen Chancengleichheit?

Trotz des Termins inmitten der Weihnachtsvorbereitungen war die Veranstaltung von Mechthild Rawert über die Neubewertung der Regelsätze gut besucht. Ein interessiertes Publikum diskutierte angeregt und kritisch mit den ExpertInnen. Gabriele Hiller-Ohm MdB, die Expertin der SPD-Bundestagsfraktion für das Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II und XII, gab einen kritischen Rückblick auf die Entwicklungen seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor 2 Jahren, nach dem die Regelsätze als willkürlich und intransparent kritisiert wurden und das Recht auf Bildungsteilhabe insbesondere von Kindern eingefordert wurde. Insgesamt 9,6 Mio. Erwachsene und 1,7 Mio. Kinder in Deutschland erhalten Leistungen der Jobcenter oder Sozialhilfe. Dazu kommen noch AsylbewerberInnen und ihre Angehörigen.

Hiller-Ohm stellte deutlich heraus, dass den Mehrausgaben im sogenannten Bildungspaket in Höhe von 950 Mio. Euro mehr als 2,5 Mrd. Euro Einsparungen bei Familien und Arbeitslosen gegenüber stehen. Besonders bitter waren ihr dabei beispielsweise die Kürzungen für Erwachsene ohne eigenen Haushalt, wozu insbesondere Behinderte zählen, oder die fehlende Regelung für Sonderbedarfe, zu denen nicht nur Kühlschrank und Waschmaschine gehören, sondern auch das Fahrrad für den Schulweg der Kinder. Diese Sonderausgaben werden von Jobcentern auf Darlehensbasis gewährt – bundesweit verwalten die Jobcenter zurzeit rund 1,1 Mio. Euro aus Kleinst-Darlehen!

Der größte Kritikpunkt, die Rechengrundlagen für die Neufestsetzung der Regelsätze für Kinder und Erwachsene, wurde aber nicht nur von SPD-Seite genannt, sondern auch von den anderen Experten der AWO, Johannes Wörn, des Zukunftsforums Familie, Barbara König, und des Deutschen Kinderschutzbundes, Andreas Kalbitz. Diese orientieren sich an der Bevölkerungsgruppe, die zu den unteren 15 % (bei Kinderregelsätzen 20%) der Einkommensskala in Deutschland zählen. Damit wird eine Referenzgruppe gebildet, die schon jetzt von Bildungsteilhabe weitgehend ausgeschlossen bleibt, weil sie zusätzliche Angebote nicht bezahlen kann.

Die Ursprungsfrage, ob die Neubewertung der Regelsätze durch die Gesetzesänderung der Regierungsparteien mehr Chancengleichheit schafft, wurde von allen DiskussionsteilnehmerInnen mit einem deutlichen Nein beantwortet. Dazu bedürfte es einer wirklichen Neubewertung oder sogar eines Systemwechsels, wie vom Bündnis „Kinderarmut-hat-Folgen“ mit der Einführung einer Kindergrundsicherung gefordert wird.

Hinter der Erhöhung der Erwachsenenregelsätze von 5 Euro pro Monat verbirgt sich im Gegenteil ein riesiges Sparpaket, das unzählige bestehende Einzelleistungen streicht und wesentliche Forderungen aus der Expertenanhörung des Bundestags zu diesem Thema unberücksichtigt lässt.

Mechthild Rawert fasst diese minimale Erhöhung bei maximalen Einsparungen als Richtungsentscheidung der schwarz-gelben Politik zusammen: immer mehr Individualisierung von Leistungen nach SGB II und XII, die mühsam beantragt werden müssen, statt des Ausbaus staatlicher Strukturen, die allen Familien gleichermaßen Bildungs- und Aufstiegschancen für ihre Kinder bieten.

Die Ablehnung des Gesetzes im Bundesrat eröffnet die Chance für Nachverhandlungen. Diese können vielleicht das Schlimmste abwenden – zur Umkehr des Richtungsentscheides braucht es aber zuerst eine neue Bundesregierung.