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"Wir sitzen im Süden". Diskussion zum Film von Martina Priessner

"Ich habe in meinen Adern türkisches Blut, aber in meiner Seele habe ich Deutschland" - dieser Satz berührt mich, so Mechthild Rawert (SPD) während der Podiumsdiskussion zum Film "Wir sitzen im Süden" im Moviemento-Kino am 15. Januar. "Ich will diesen Film auch meinen KollegInnen im Deutschen Bundestag zeigen, um die politische Debatte über die Visumsfreiheit voranzubringen." An der Diskussion nach der Filmvorführung nahmen neben Mechthild Rawert die Regisseurin Martina Priessner und Tülin Duman von GLADT e.V. teil. Das August-Bebel-Institut startete mit dieser Veranstaltung sein vielfältiges Jahresprogramm 2011.

Irritierend und aufwühlend: Wir lernen im Film TürkInnen kennen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und sich als Deutsche fühlen. Obwohl sie sich in der deutschen Kultur zu Hause fühlen, dürfen sie hier aber nicht leben. Eine Ausnahme im Film ist die 33jährige Çig: sie hat einen deutschen Pass, entscheidet sich aber wie rund 40.000 andere Menschen türkischer Herkunft für einen Neuanfang in der Türkei. Viele Deutsch-Türken aber leben unfreiwillig in der Türkei. So auch die Protagonisten Bülent, Fatos, und Murat, deren Geschichte zeigt, dass die für uns selbstverständliche Bewegungsfreiheit für Menschen mit türkischem Pass keinesfalls normal ist. Für Fatos und Murat haben die Eltern vor mehr als 20 Jahren über ihren Kopf hinweg schon ihre Rückkehr in die Türkei entschieden; Bülent wurde vor fünf Jahren abgeschoben. Sie alle arbeiten in deutschen Call-Centern in Istanbul unter deutschem Synonym. Sie sprechen deutschen Dialekt und konservieren sich daheim ihre "40 Quadratmeter Deutschland". Die einstige Heimat Deutschland wird zum unerreichbaren Sehnsuchts- und Fluchtpunkt. Die Film-Biografien auf der Basis wahrer Geschichten zeigen eine Realität, die unsere gängigen Vorstellungen von "der" Türkei und "den" Türken konterkarrieren.

Die Aufhebung der Visumspflicht für türkische Staatsbürger und damit die Gewährung von Reisefreiheit nach Deutschland war die nachdrücklichste Forderung der Kulturschaffenden während der Diskussion. Für viele ist es nicht hinnehmbar, dass Deutsche problemlos in die Türkei reisen können, umgekehrt ist dies den Türken aber keineswegs möglich. Darunter leiden auch zahlreiche Aktivitäten von Organisationen und Vereinen und Kulturinstitutionen, auch die der Berliner Städtepartnerschaften zwischen Berlin und Istanbul und weiteren Städten. Viele Kulturschaffende forderten deshalb die sofortige Visa-Freiheit in beide Reiserichtungen, nicht erst nach Aufnahme der Türkei in die EU.