Kolumne von Mechthild Rawert im Tempelhofer Journal, Ausgabe Mai/Juni 2012
Der Deutsche Ethikrat hat festgestellt, dass Kinder, die in Babyklappen abgelegt werden, in ihrem Recht über Kenntnis ihrer Abstammung verletzt werden. Ich stimme der deshalb erhobenen Forderung nach Abschaffung von Babyklappen und anonymen Geburten aber nicht zu.
Kenntnis familiärer Wurzeln versus Recht auf Unversehrtheit
Kinder haben das Recht zu erfahren, wie ihre familiären Wurzeln aussehen. Aber Neugeborene haben unbenommen auch das Recht auf Unversehrtheit, auf Leben. Wenn ich in den Zeitungsschlagzeilen lese, eine Mutter hat ihr Neugeborenes ausgesetzt oder gar getötet, frage ich mich, wie verzweifelt sie war, in welcher extremen Ausnahmesituation sie lebte? Warum musste sie ihre Schwangerschaft und Geburt verheimlichen anstatt sich Hilfe zu holen? Wo haben wir als Gesellschaft und Staat versagt? Warum hat das vorhandene Angebot für Schwangere in Krisensituationen sie nicht erreicht?
Es geht um Kinderschutz
In Deutschland sind ca. 1000 „Fälle“ von Abgaben in Babyklappen oder anonymen Geburten bekannt. Ich kann nicht beurteilten, was ansonsten passiert wäre, wenn es diese Angebote nicht geben würde. Durch anonyme Geburten oder die Abgabe in Babyklappen erhalten diese Kinder die Chance auf ein gedeihliches Aufwachsen in einer Pflege- oder Adoptionsfamilie. Sicher wird es spätestens in der Pubertät, wenn der Abnabelungsprozess beginnt, für sie schwierig zu verstehen, warum ihre leibliche Mutter sie nicht bei sich halten konnte. Die damit verbundenen Fragen sind schmerzlich wie ich von Adoptivkindern weiß, deren leibliche Mütter bekannt sind.
Prävention bieten und auf Extremsituation reagieren
Vor 11 Jahren hat das St. Josef Krankenhaus in Tempelhof auch eine der Berliner Babyklappen eingerichtet. Die Mutter, die ihr Kind hier abgibt, zeigt trotz der schwierigen Situation Verantwortung für Gesundheit und Leben ihres Kindes. In der Babyklappe findet die Mutter ein Schreiben in mehreren Sprachen vor. Es erklärt der Mutter wie sie Kontakt mit dem Krankenhaus aufnehmen kann und was mit dem Kind geschieht. So hat die Mutter noch einige Wochen Zeit, ihre Entscheidung zu revidieren. Bei Abgabe eines Kindes in die Babyklappe wird umgehend das Jugendamt informiert. Zusätzlich gibt es auch ein Notruftelefon für Schwangere und Mütter im Krisenfall, damit die Abgabe in die Babyklappe die Ausnahme bleiben kann. Mit der Babyklappe reagiert das St. Josef genau auf Extremsituation, wenn es für alle präventiven Maßnahmen zu spät ist. Leitbild hier ist das Ausschöpfen aller Möglichkeiten, Leben zu retten und Chancen anzubieten, dass Menschen beieinander bleiben oder wieder zueinander finden können.
Ich begrüße diesen Umgang mit der Krisensituation der Mütter als auch mit dem Schicksal der Kinder. Ich plädiere für Regelungen der Dokumentationspflicht zum Verbleib der Kinder, plädiere dafür, das Recht auf Unversehrt und Leben vor das Recht auf Kenntnis der Abstammung zu stellen. Babyklappen sollen erhalten bleiben.