Organspenden ist eine Entscheidung für das Leben. Jede und jeder kann und soll sie treffen. So lautete die Hauptbotschaft der Fraktion vor Ort-Veranstaltung „Organspende rettet Leben“ im St. Joseph Krankenhaus, Tempelhof, am 14. Juni. Zusammen mit Dr. Carola Reimann, der Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses, habe ich mit Prof. Dr. Christiane Erley, Chefärztin der Nephrologie im St. Joseph Krankenhaus und Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie, sowie Isabelle Jordans von der Selbsthilfevereinigung Dialyse-Kinder Berlin e.V. über die neuen Regelungen des Transplantationsgesetzes diskutiert. Diese hatte der Deutsche Bundestag am 25. Mai fraktionsübergreifend beschlossen.
In meinen einführenden Worten habe ich mich bei den Anwesenden bedankt. Haben sie doch alleine durch ihr Dasein im St. Josef Krankenhaus bewiesen, dass sie bereit sind, sich mit dem Thema Organspende auseinandersetzen zu wollen. Damit bringen sie den Mut auf, sich mit dem eigenen Sterben, dem eigenen Tod auseinanderzusetzen. Mir imponiert sehr, dass Menschen so deutlich machen, dass der Tod zum Leben gehört. Mir imponiert, dass Menschen ihr Selbstbestimmungsrecht auch über den eigenen Tod hinaus wahrnehmen wollen und ihren Angehörigen in einer Phase des größten Schmerzes und der Trauer keine weitere schwere Bürde auferlegen wollen. Mein Dank ging auch an das St. Joseph Krankenhaus, welches für diese Veranstaltung seine Pforten geöffnet hatte.
In Umfragen erklären zwar rund 75 Prozent der Bevölkerung ihre Bereitschaft zur Organspende, aber nicht einmal jeder Fünfte lässt den Worten Taten folgen und dokumentiert diesen Willen auf einem Organspendeausweis. Die Folgen: Nur sieben Prozent der Bürgerinnen und Bürger spenden nach ihrem Tode Gewebe und Organe. Jeden Tag sterben drei Menschen, weil sie kein Organ erhalten.
Jeden Tag sterben in Deutschland Menschen, weil sie nicht rechtzeitig ein Spenderorgan bekommen. Rund 12.000 Patientinnen und Patienten - knapp 500 von ihnen in Berlin - warten jährlich auf eine Leber, ein Herz oder ein anderes Organ. 8000 warten auf eine lebensrettende Niere. Bundesweit leben derzeit etwa 90.000 Dialyse-PatientInnen. Jährlich werden jedoch nur etwa 2.800 Nierentransplantationen durchgeführt. Das bedeutet für die PatientInnen Wartezeiten von durchschnittlich 7-9 Jahren. Eine Nierentransplantation erhöht die Überlebensrate von Kleinkindern um 30 % im Vergleich zur Dialyse. Die mittlere Lebenserwartung ist mehr als doppelt so hoch.
Vertrauen in das ärztliche Können, Vertrauen in die Entscheidung ein anderes Leben zu retten
Die Chefärztin Prof. Dr. Christiane Erley berichtete anschaulich aus ihren jahrzehntelangen Erfahrungen sowohl aus der Intensivmedizin, als Transplantationsbeauftragte und als Chefärztin der Nephrologie des St. Joseph Krankenhauses. Uns Anwesenden wurde sehr deutlich: Die Medizin kann heutzutage sehr klar diagnostizieren, ob ein Mensch noch zu retten ist oder nicht. Zwei unabhängig von einander agierende MedizinerInnen hätten den Hirntod zu diagnostizieren. Der Hirntod bedeute in Deutschland gemäß der Richtlinien der Bundesärztekammer, dass alle Funktionen des Großhirns, Kleinhirns und Hirnstamms irreversibel erloschen seien. Die Herz- und Kreislauffunktionen des Menschen würden nur noch durch eine kontrollierte Beatmung künstlich aufrechterhalten. Es sei vollkommen sichergestellt, dass Menschen aufgrund des irreversiblen Ausfalls des ganzen Gehirns nie mehr mit ihrer Umwelt in Kontakt treten und auch nie wieder etwas für sich empfinden können. Dies gilt auch, wenn die SpenderIn noch eine kurze Zeit künstlich beatmet wird, um die Entnahme der Organe zu organisieren.
Patientinnen und Patienten können darauf vertrauen, dass es zuerst immer darum geht, das Leben der betroffenen Person zu retten. Wenn dieses aber nicht mehr rettbar ist, entsteht eine Situation, die insbesondere die Angehörigen häufig völlig überfordert. In neun von zehn Fällen, bei denen Verstorbene als OrganspenderInnen in Frage kommen, müssen Angehörige entscheiden, ob dem hirntoten Menschen Spenderorgane entnommen werden dürfen. Diese Situation ist für die Angehörigen als auch für die Ärzte aufgrund der starken emotionalen Situation sehr belastend. Aus Unsicherheit und Angst die falsche Entscheidung im Sinne des Verwandten zu treffen, lehnen Angehörige eine Organspende häufig ab. Die Folge ist, dass nur in vier von 10 Fällen einem anderen Menschen die Chance auf ein längeres und mit mehr Lebensqualität versehenes Leben gegeben wird.
„Wir sind glücklich über Carl“
Sehr berührende Ausführungen machte Isabelle Jordans vom Verein Berliner Dialyse-Kinder e.V.. Sie schilderte, wie eine Nierentransplantation ihrem Sohn Carl eine Lebensperspektive eröffnete. Carl war mit einer Nierenfehlfunktion geboren worden. Im Alter von einem Jahr erhielt er eine Nierenspende von einem 18 Monate alten Kind. Frau Jordans berichtete, mit welchen Komplikationen Carl und sie als Eltern zu kämpfen hatten, zum Teil auch heute noch haben. Alle Anwesenden im Saal waren tief bewegt - zugleich aber auch erfreut, denn Carl war anwesend, ein aufgeweckter fünfjähriger Junge.
Frau Jordans forderte aus der Sicht der Angehörigen eine kontinuierlichere Beratung und Betreuung der PatientInnen und Angehörigen. Es sei nicht so, dass nach der gelungenen Transplantation alles komplikationslos sei. Es fehlten ÄrztInnen gerade in der Kinder-Nephrologie, die sich mit den speziellen Folgen auskennen würden. Sie machte sich stark für mehr Programme wie „youth to youth“: Kinder und Jugendliche sollten auch junge Nieren erhalten. Desweiteren hätte sie sich seitens der Politik eine Entscheidung für die Widerspruchslösung gewünscht, wie sie in Österreich und Spanien gelte. Auch viele Anwesende im Publikum machten sich dafür stark, unter anderem auch eine Mitfünfzigerin auf der Warteliste für eine Niere oder ein vor vier Jahren im Rahmen eines „old to old-Programmes“ transplantierter 70-jähriger, der sein Leben mit der neuen Niere beschrieb. Die Entscheidung im Parlament für die Entscheidungslösung ist aber für die nächsten Jahre gefallen.
Es gibt kein Recht auf Gleichgültigkeit
Die Nierenspende von Frank-Walter Steinmeier für seine Frau vor zwei Jahren hatte der Debatte um eine Reform des Transplantationsgesetz einen wichtigen Auftrieb gegeben, betonte die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses Dr. Carola Reimann. Nach langer intensiver Diskussion und zwei ExpertInnen-Anhörungen haben sich die Abgeordneten aller fünf Bundestagsfraktionen auf die Entscheidungslösung geeinigt und damit dem Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen Respekt erwiesen. Die Neuregelung bewahrt ein auch von ihr sehr unterstütztes elementares Gut: Jede Bürgerin, jeder Bürger behält die Freiheit, sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden.
Ziel der vom Deutschen Bundestag beschlossenen neuen Regelungen ist es mit der nun vereinbarten Entscheidungslösung mehr Menschen dazu zu bewegen einen Organspendeausweis auszufüllen und den eigenen Willen auf diesem auch zu dokumentieren.
Weiterhin werden u.a. die rund 1400 Kliniken mit Intensivstationen dazu verpflichtet, einen Transplantationsbeauftragten zu berufen, der bzw. die unter anderem Angehörige potentieller SpenderInnen in dieser schweren Zeit beraten und betreuen sowie den Prozess der Organspende im Krankenhaus koordinieren soll.
Mit den Neuregelungen wurde auch die Situation der LebendspenderInnen sehr verbessert. Diese haben nun einen Anspruch (Krankenbehandlung, Vor- und Nachbetreuung, Rehabilitation) gegenüber der Krankenversicherung der organempfangenden Person.
Viele Fragen wurden gestellt und mit hoher Empathie beantwortet. Die ausgelegten einhundert Organspendeausweise der BzgA waren sofort vergriffen. Auch dafür allen Beteiligten mein herzlicher Dank.
Nachtrag
Die Reform der Organspende hat am 15. Juni die letzte Hürde passiert: Am Freitagmorgen hat der Bundesrat über die Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz und die Änderung des Transplantationsgesetzes abgestimmt. Das Ziel: Die Organspende-Bereitschaft soll gefördert werden. Alle Bürgerinnen und Bürger ab 16 Jahre werden künftig regelmäßig per Brief aufgefordert, ihre Bereitschaft zur Organspende zu dokumentieren - die Erklärung bleibt aber freiwillig.
v.l.n.r. Prof. Dr. Christiane Erley, Dr. Carola Reimann, Mechthild Rawert, Isabelle Jordans