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Auf ein Wort, Frau Rawert: „ Leben lernen braucht eine gute Infrastruktur und finanzielle Unterstützung"

Leben Lernen - für jede und jeden von uns eine lebensbegleitende Herausforderung. Leben Lernen e.V. heißt aber auch der Verein, in dem ich am 11. Juni 2014 dankenswerterweise mein Sommerfrühstück in der Reihe „Auf ein Wort, Frau Rawert“ mit VertreterInnen der Jugendhilfe anbieten durfte. Einen ganz herzlichen Dank an Valerie Lenck für ihre Gastfreundschaft.

Wie immer bei diesen politikfeldbezogenen Diskussionsrunden wird darüber diskutiert, was die Fachfrauen und -männer im Kontext ihrer beruflichen Profession bewegt. Was sind die politischen Herausforderungen, die der Klärung und Lösung willen dringendst einer engen Kooperation von Fachlichkeit und Politik bedürfen?

Schon während der Vorstellungsrunde wurde deutlich, dass der Mangel an bezahlbarem Wohnraum alle drückt - sowohl hinsichtlich der Räumlichkeiten für die Projekte als auch hinsichtlich der Wohnungen für die jungen Erwachsenen im Prozesse ihres Selbständigwerdens. War bezahlbarer Wohnraum schon vor zwei Jahren ein Problem, ist es nun ein Riesenproblem.

Intensivbetreutes Mädchenwohnen bei Leben Lernen e.V.
Zielsetzung des seit 1979 existierenden Trägervereins Leben Lernen ist der grundlegende Verbesserung der Lebenssituation von Mädchen und jungen Frauen. Ihnen sollen Wege zur Selbstständigkeit aufgezeigt und eine positive Identifikation mit ihrer Rolle als Frau vermittelt werden. Hierzu ist eine intensive auf Bindungsfähigkeit orientierte Arbeit notwendig. Die jungen Mütter sollen eine verantwortungsvolle Bindung zu ihren Kindern entwickeln, dazu bedarf häufig auch das Erkennen, dass ein Baby eigene Bedürfnisse hat und dieses nicht die „Sehnsucht nach Liebe“ erfüllen kann.

Bei Leben lernen e.V. geht es um „das Wohnen“, hier werden Mädchen und junge Frauen sowie Mütter mit Kindern auf das selbstständige Leben vorbereitet und begleitet. Das Konzept des Vereins, der mehrere Projekte für Frauen und Mädchen betreibt, beruht weiterhin auf dem Grundprinzip der Sozialraumorientierung. Das bedeutet in diesem Fall, dass Leben und Arbeiten (und bei den Müttern auch die Betreuung der Kinder) im Nahraum erfolgen soll. Hierbei ist das „Wohnen“ von zentraler Bedeutung. Die Mädchen/jungen Frauen und auch die Müttern mit ihren Kindern leben in betreuten Wohnformen bis sie auf eigenen Füßen stehen und ihr Leben selbst organisieren können. Bei den Müttern steht dabei das Wohl des Kindes im Vordergrund. Die Mädchen und Frauen, die aufgenommen werden, haben vielschichtige Probleme und werden daher individuell betreut.

Der Schritt vom betreuten Wohnen in eine eigene Wohnung und das Meistern des Alltags wird durch den Wohnraummangel erschwert. Wenn eine persönliche und berufliche Perspektive aufgebaut, ein Betreuungsplatz für das Kind gefunden ist und das eigenständige Leben gelebt werden könnte, verzögert sich der Auszug, weil geeignete und bezahlbare Wohnungen kaum auf dem Markt zu finden sind.

Die Jugendhilfeeinrichtung wird immer häufiger von Jugendämtern zwecks Vermeidung von Obdachlosigkeit von jungen Frauen angefragt. Doch Wohnungslosigkeit allein ist kein Aufnahmekriterium. Mädchen und junge Frauen, die in ein betreutes Wohnen bei Leben Lernen e.V. kommen wollen, müssen zum Einen einen Hilfebedarf und zum Anderen die Bereitschaft zu Beratung und Betreuung haben.  

CHECK UP, Beratungszentrum für junge Menschen in Tempelhof-Schöneberg
Mit ganz anderen Problemlagen junger Menschen hat es CHECK UP, Beratungszentrum für junge Menschen in Tempelhof-Schöneberg, zu tun.  Hier steht die schulische und berufliche Perspektive beim Übergang von Schule - Beruf im Fokus. Hier werden SchülerInnen mit und ohne Schulabschluss bei der Ausbildungsplatzsuche, zum Erwerb von Schulabschlüssen, für Praktika beraten. CHECK UP wendet sich auch an arbeitslose junge Menschen beim Bewerbungscheck: beim Wiedereinstieg in Beschäftigung, bei der Qualifizierung, bei der Weiterbildung, beim Nachholen von Berufsabschlüssen. Hier werden auch Auszubildende beraten und unterstützt: mit ausbildungsbegleitenden Hilfen, bei drohendem Ausbildungsabbruch, beim Wiedereinstieg in eine Ausbildung.

Problemfeld Finanzierung
Das Thema Geld ist für beide Einrichtungen ein Dauerthema. Plastisch formulierte es Valerie Lenck so: "Man kann in der Hängematte stehend Gitarre spielen, es geht aber auch sehr viel einfacher."

Das Beratungszentrum Check up wurde bis zum Ende 2013 aus EU-Fördermitteln finanziert. Das Projekt mit seinem wichtigen Beratungsangebot kann weiterbestehen, weil der Bezirk Tempelhof-Schöneberg und das Jobcenter die Finanzierung sichern.
Die Jugendhilfeträger werden aus den „Hilfen zur Erziehung“  der Jugendämter finanziert. Bei ihnen ist die Hilfebedarfsermittlung der Dreh-und Angelpunkt des finanziellen Auskommens. Für jede potentielle Klientin, die in einem Leben Lernen-Projekt aufgenommen werden soll, ist eine Hilfebedarfsermittlung von Nöten. Voraussetzung dafür ist aber eine enge Kooperation mit dem Jugendamt. Bedauerlicherweise sei dieses chronisch unterbesetzt. Valerie Lenck fürchtet, dass ausgeschriebene Stellen nicht mit qualifiziertem und erfahrenen Personal besetzt werden: Qualifiziertes Personal mit langjähriger Berufserfahrung könne aufgrund der niedrigen Bezahlung nach TVöD nicht gefunden werden. Junge Kräfte ohne Berufserfahrung im Bereich der Jugendhilfe seien kaum in der Lage, angemessene Hilfebedarfe festzusetzen.

Ein weiteres Problem bei den Mutter und Kind-Projekten ist der Beratungsbedarf auch auf Seiten der Kindsväter. Diese wichtige Arbeit werden von den Kolleginnen auch geleistet - eine Finanzierung dafür fehlt aber.

Die „unbefriedigende Finanzierungssituation“ hat noch mehr Facetten: Betreute der Jugendhilfe haben keinen Anspruch auf Leistungen gemäß des Bildungs- und Teilhabegesetzes. Das wird als ungerecht empfunden. Die Mütter, die z.B. bei Leben Lernen e.V. betreut werden und ihre Kinder in einer Kita oder der Schule haben, bekommen kein Geld für „Sonderveranstaltungen“ der Kita oder Schule. Dies ist nicht nur für die betroffenen Kinder stigmatisierend sondern auch kontraproduktiv für die Verselbstständigung der Mütter. Die meisten der hier lebenden Mütter sind finanziell auf externe Hilfen z.B. seitens der Fördervereine der jeweiligen Einrichtungen angewiesen, wenn Kita oder Schule Sonderbeiträge verlangen. Alle Kinder sollten im Rahmen des doch gleich behandelt werden - unabhängig davon, ob die Mütter über § 19 KJHG, Gemeinsame Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder, finanziert werden oder nicht.

Ein weiteres Thema war, dass Mütter, die über die Jugendhilfe gefördert werden, keinen Anspruch auf eine Förderung durch das Jobcenter haben. Gerade Mütter, die keine Berufsausbildung haben, bräuchten aber eine Förderung zur Entwicklung ihrer beruflichen Perspektive. Zwar bieten die Jobcenter Teilzeitausbildungen gerade für alleinerziehende Frauen an. Voraussetzung sei aber, dass frau mindestens drei Monate Leistungen des Jobcenters empfangen haben müsste. Dies kann fast keine der hier lebenden Frauen nachweisen.

Jugendberufsagentur: Ausbildungsberatung für Jugendliche verbessern
Herr Thyen von CHECK UP lobte in diesem Zusammenhang die Jugendberufsagenturen. Hier würden Jugendliche „aus einer Hand“ von der Schule bis zum Einstieg in das Berufsleben begleitet. Die Zuständigkeit mehrerer Ämter entfalle – dies funktioniere in Hamburg wunderbar. Auch die Fragen des Datenschutzes hätten hier gelöst werden können.

Erfreulicherweise konnte ich darüber aufklären, dass auch in Berlin die Chancen für ausbildungssuchende Jugendliche durch eine Jugendberufsagentur verbessert werden. Ende April haben der Berliner Senat, VertreterInnen von Wirtschaft und Arbeitsagentur eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet. Mehr Hilfen brauchen die derzeit knapp 18 200 arbeitslosen jungen Menschen unter 25 Jahren, brauchen die rund 1500 Jugendlichen oder die im vergangenen Jahr keinen Ausbildungsplatz erhalten haben.

Künftig sollen die verschiedenen Akteure besser vernetzt werden und ihre Angebote bündeln. Die Ausbildungsquote in Berlin - also der Anteil der ausbildenden Unternehmen - ist in den vergangenen Jahren ständig gesunken: Von 5,9 Prozent im Jahr 2009 auf 4,08 Prozent im Jahr 2013.

Die Jugendberufsagentur soll den Jugendlichen eine Beratung und Betreuung aus einer Hand unter einem Dach bieten. Eng soll auch mit den Schulen und der Jugendhilfe kooperiert werden. Ziel ist es, in allen zwölf Bezirken jeweils eine regionale Anlaufstelle der Jugendberufsagentur einzurichten. Die ersten drei sollen 2015 starten.