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„Politik lebt von Kompromissen.“ Wohnzimmer-Gespräch in Lichtenrade

Jede und jeder kennt Kompromisse. Das gilt in der Schule, im privaten Leben als auch in der Politik. Und das war auch ein Thema meines letzten Wohnzimmergespräches in Lichtenrade. Gemeinsam mit 10 SchülerInnen der Ulrich-von-Hutten-Oberschule habe ich mich am 17.11.2014 zu einem meiner Wohnzimmergespräche getroffen. Initiiert hatte dieses Gespräch Kristin Dortans, die im September in meinem Bundestagsbüro hospitierte. Wir diskutierten über einen bunten Strauß an Themen: Sterbehilfe, Flüchtlingspolitik, die Ukraine-Krise sowie Fraktionsdisziplin und empfundene Intransparenz der Politik zu dem Ergebnis „Politik lebt von Kompromissen.“  

Der Meinungsaustausch zur Sterbehilfe war sehr emotional geprägt. Es ist schwierig, all die Anmerkungen auf „einen Nenner zu bringen“. Viele der jungen Leute befürworten Sterbehilfe, befürchten aber zeitgleich Missbrauch, ähnlich wie bei den Leberspenden-Skandalen. Deutlich zum Vorschein trat der Wunsch, das eigene Leben im „Fall der Fälle“ einer tödlichen Krankheit und/oder schweren Leidens selbstbestimmt beenden zu können. Auf meine Nachfrage hin erfuhr ich, dass das Thema Sterbehilfe bisher noch nicht in den Familien der Jugendlichen diskutiert wurde.

Bei dem Thema Flüchtlingspolitik kritisierten die SchülerInnen am stärksten das Dublin II Abkommen und die damit verbundene Residenzpflicht. Diese wurde mit den jüngst im Bundestag verabschiedeten Gesetzen aber stark gelockert. Sie konnten nicht verstehen, warum nicht alle europäische Länder mehr Flüchtlinge aufnehmen und sich aktiv an einer europäischen Flüchtlingspolitik beteiligen. Ganz richtig stellten die Jugendlichen fest, dass die meisten Flüchtlinge nicht nach Europa kommen, sondern in Nachbarländer der Bürgerkriegsländer fliehen - aus Syrien beispielsweise nach Jordanien bzw. in den Libanon, beides Länder, die im Vergleich zu den europäischen Staaten relativ arm sind. In Deutschland leben im Vergleich zur EinwohnerInnenzahl sehr wenige Flüchtlinge.

„Warum gibt es keinen Königssteiner- Schlüssel für Europa?“

Gemäß dem Königsteiner-Schlüssel werden in Deutschland die Flüchtlinge auf die Bundesländer verteilt. Kriterien sind unter anderen die Bevölkerungsdichte und die Wirtschaftsleistung. Auf Europaebene scheitert ein solcher Schlüssel allein an der Tatsache, dass 18 EU-Staaten keine bzw. kaum Flüchtlinge aufnehmen. Mir war der Hinweis wichtig, dass jeder Flüchtling zwar ein Migrant ist, aber nicht jede MigrantIn ein Flüchtling ist. Die Beweggründe für das Verlassen des Heimatlandes können sehr unterschiedlich sein. Unsere Außenpolitik muss sich darum bemühen, Fluchtursachen zu bekämpfen, muss aber auch den Ländern, die sehr viele Flüchtlinge aufnehmen humanitäre und finanzielle Hilfe zukommen lassen. Hier darf die Staatlichkeit nicht verloren gehen.

Agieren im Europarat

Als ich mich zu Beginn allen TeilnehmerInnen vorstellte, habe ich auch meine Arbeit im Europarat beschrieben. Im Europarat sind ParlamentarierInnen aus 43 Staaten  vertreten, also weitaus mehr als nur aus den 28 Mitgliedern der Europäischen Union. Gerade deswegen ist der Europarat eine wichtige Dialog-Plattform in Zeiten der Ukraine- Krise. Als ich den SchülerInnen berichtete, dass der Europarat im Frühjahr 2014 den ParlamentarierInnen aus Russland als Reaktion auf die Annexion der Krim für dieses Jahr das Stimmrecht entzogen hat, bildeten die Jugendlichen sich schnell selbst ein Urteil. Einstimmig sprachen sie sich gegen den Einsatz von Militär aus. Gleichzeitig sieht die Jugend dringend weiteren Handlungsbedarf, auch um die Baltischen Staaten und beispielsweise Bulgarien nicht weiter zu verunsichern.

Gewissensfreiheit und Fraktionsdisziplin, Einhaltung von Wahlversprechen

Es stellte sich heraus, dass bei allem Interesse für Politik (alle SchülerInnen besuchen den Politik-Leistungskurs) großes Unwohlsein bei Themen wie „Fraktionsdisziplin“ und Wahlversprechen auftritt. In der Diskussion fragten mich die SchülerInnen, wie ich handele, wenn mir die Fraktionsdisziplin ein bestimmtes Abstimmungsverhalten „vorschreibt“ - meine persönliche Überzeugung mir aber ein anderes Abstimmungsverhalten empfiehlt.

Zur Beantwortung der Frage habe ich die Abstimmung über die Waffenlieferungen an die Kurden in den Irak herangezogen. Entgegen der Fraktionsdisziplin habe ich gegen die Waffenlieferungen gestimmt. Auch ich habe mich im Dilemma von „keine Waffenlieferungen in Krisengebiete“ und „nicht zusehen wie gemordet wird“ befunden. Mit meiner Stimme wollte und will ich eine präventive auf Diplomatie begründete Friedenspolitik durchsetzen.

Zu guter Letzt wurde die Meinung laut,  Wahlversprechen seien alles Lügen, da sie nie so umgesetzt werden. Außerdem sei Politik viel zu intransparent. Immer wieder würden Kompromisse gemacht. Klar seien Kompromisse sinnvoll und notwendig, aber sie führten dazu, dass niemand mehr so richtig durchblickt. Welche Partei steht nun für was ein? Welche Partei hatte zuerst die Idee?

Ob diese Unklarheit letztlich zu Politikverdrossenheit und zur Wahrnehmung, die Parteienlandschaft sei oftmals ein „Einheitsbrei“, konnten wir nicht ausdiskutieren. Jede und jeder kennt Kompromisse. Aber sind Kompromisse letztlich immer Teilerfolge oder beinhalten sie zu viele Zugeständnisse gegen die eigene Überzeugung und Programmatik? Ich kann nur sagen: Politik lebt von Kompromissen.

Abschließend möchte ich „Danke“ sagen: Für das spannende Gespräch und das Aufzeigen verschiedener Perspektiven. Mein besonderer Dank gilt Kristin Dortans, die das Wohnzimmergespräch zwei Monate nach ihrer Hospitation in meinem Bundestagsbüro organisiert hat.