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Vielfältige Menschen brauchen vielfältige Pflege - Wohnzimmergespräch in Charlottenburg

„Wie oft kommen Sie zu Bürgerinnen und Bürger ins Wohnzimmer?“ lautete eine der ersten Fragen. Immer dann, wenn BürgerInnen mich einladen. Als Politikerin kann ich keine gute Politik machen, wenn ich nicht weiß, wo der Schuh drückt. Mir ist es daher wichtig, so oft wie möglich persönlich mit BürgerInnen ins direkte Gespräch zu kommen.

Auch wenn die Gruppe dieses Mal klein war, kam eine ungeahnte Vielfalt an Themen zu Tage. Frau Schank, die Gastgeberin des Wohnzimmergespräches am 19. Januar 2015, arbeitet in einer Gerontopsychiatrischen Tagespflege der Diakonie in meinem Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg. Sie hatte mich in ihr Wohnzimmer in ihre Charlottenburger Wohnung eingeladen. Bei meiner Ankunft half ein weiterer Teilnehmer, Herr Odeh, seiner Tochter noch beim Lernen. Er kam vor 40 Jahren aus Syrien nach Deutschland. Frau Harpe lebt mit ihrer Frau in einer eingetragenen Partnerschaft und hat mit einem befreundeten schwulen Paar zwei Kinder. Als Sozialwissenschaftler forscht der Sohn von Frau Schank an der Goethe Universität Frankfurt am Main im Rahmen des Projekts „Medienpraxis politischer Diskurse“ und war deswegen besonders am Format der „Wohnzimmergespräche“ interessiert.

Pflege betrifft nicht nur die Alten oder Menschen im Rollstuhl

Große Sorgen macht sich Barbara Schank um ihr Renteneintrittsalter. Dabei betont sie, dass „andere es sicher noch schwerer hatten“. Gemeint sind: Schichtdienst, Unterbesetzung, Fachkräftemangel. Trotzdem weiß sie, dass sie nicht bis zum Renteneintritt vollzeitig tätig sein will. Sie ist auch schon bei der Rentenberatungsstelle gewesen, um entsprechend ihrer persönlichen Situation den besten Ausstieg zu planen. Meine Meinung dazu: Wenn es schon so sein soll, dann ist ein frühzeitiger Beratungstermin auf jeden Fall eine gute Sache, schließlich gibt es viel zu planen und zu entscheiden.

In der Tagespflegestätte, in der Frau Schank tätig ist, übernehmen die Pflegefachkräfte viele Aufgaben, die nicht ihrem Anforderungsprofil entsprechen: „Wir füllen Handtücher und Seife auf, decken die Tische und wischen sie anschließend wieder ab.“ Frau Schank betont, dass sie sich keinesfalls zu schade ist, diese Aufgaben vorzunehmen. „Entscheidend aber ist doch, dass die Zeit dann für die direkte Pflege fehlt“, bedauert sie. Sie plädiert für einen größeren Berufemix.

Im Hinblick auf die Situation pflegender Angehöriger spricht Barbara Schank ein Lob für das Familienpflegezeitgesetz der Großen Koalition, das seit dem 1. Januar 2015 gilt, aus. Zwei Drittel aller Pflegebedürftigen werden von Angehörigen gepflegt - Unterstützung für sie ist dringend notwendig. Ein wichtiger Ansatzpunkt sind mehr Informationen und Beratung für pflegende Angehörige. Viele leiden selbst unter Gesundheitsbeschwerden, wissen aber viel zu wenig über Entlastungsangebote für sich selbst.

Einmal mehr wurde deutlich: Soziale Dienstleistungsarbeit in der Erziehung, in der Pflege, etc. gehört aufgewertet. Eine alleinige Beschönigung der „Pflege mit Herz“ reicht nicht aus. Die Aufwertung muss sich auch in der Entlohnung widerspiegeln.

„Pflege betrifft nicht nur die Alten oder Menschen im Rollstuhl.“ Pflege ist vielfältig und dementsprechend müssen auch die passenden Angebote geschaffen werden. Zum Beispiel gibt es in Berlin keine einzige Kurzzeitpflegeeinrichtung für Kinder. Frau Schank wünscht sich außerdem, dass bei Planungen zu Bauvorhaben in Kommunen mehr auf Barrierefreiheit geachtet wird: „Flache Bordsteinkanten sind nicht nur für RollstuhlfahrerInnen gut, sondern auch für Kinderwagen.“

Gleiche Pflichten aber keine gleichen Rechte

Ein weiteres komplexes Thema des Wohnzimmergespräches war das Sorgerecht für Kinder mit mehr als zwei Eltern. Frau Harpe hat mit ihrer Frau und einem befreundetem schwulen Paar zwei Kinder bekommen. Jede Partnerin verfügt für eines der Kinder nur über das „kleine Sorgerecht“. Leider verunmöglicht der Gesetzgeber die Adoption für gleichgeschlechtliche Paare. Für verpartnerte Paare ist nur die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Sukzessivadoption möglich. Zu meinem Bedauern musste ich ehrlicherweise mitteilen, dass aufgrund des anhaltenden Widerstandes unseres Koalitionspartners mit weiteren Schritten Richtung Öffnung der Ehe in dieser Legislaturperiode nicht zu rechnen ist. Und ja - hier findet häufig Diskriminierung im Alltag und im Recht statt. Die SPD tritt schon lange für die gleichen Rechte und Pflichten gleichgeschlechtlicher Paare ein. Bereits im Dezember 2011 forderte die SPD auf ihrem Bundesparteitag im Leitantrag: „Gleichgeschlechtliche Paare brauchen dieselben Adoptions- und Sorgerechte wie heterosexuelle Väter und Mütter.“ Dafür setze ich mich nach wie vor ein. Ein guter Ort zum Austausch ist das einzige Regenbogenfamilienzentrum Deutschlands in Berlin-Schöneberg.

Parlamentarische Arbeit im Bundestag und im Europarat

Während des Gesprächs kamen weitere Themenfelder auf. So berichtete ich über meine Arbeit im Europarat. Im europäischen Kontext besprachen wir auch die Entlassung der „Pille danach“ in die Rezeptfreiheit und den Umgang im Jahr 2015 mit der russischen Delegation im Europarat. Der Europarat hatte 2014 der russischen Delegation das Stimmrecht als Antwort auf die Ukraine-Krise entzogen. Die Anwesenden waren auch sehr an den politischen Prozessen und Arbeitsstrukturen der ParlamentarierInnenversammlungen interessiert.

Ich bedanke mich bei der Gastgeberin für ein anschließend auch noch sehr leckeres Abendessen und bei allen Anwesenden für eine intensive Gesprächsrunde mit einem anregenden Austausch!