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Barrierefreies Bauen ist eine Investition in die Zukunft

„Wohnen für Alle“ war das beherrschende Thema der Impulsbeiträge, Foren und Diskussionen auf der Fachtagung „Wohnen für alle - Teilhabe für Menschen mit Behinderungen“. Deutlich wurde: Es ist noch ein weiter Weg bis zum barrierefreien Wohnen für alle.

Unter der Schirmfrauschaft der Bundestags-Vizepräsidentin Ulla Schmidt wurde die Fachtagung veranstaltet von der Spastikerhilfe Berlin eG, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin und der Bank für Sozialwirtschaft  Berlin gemeinsam mit den SPD-Bundestagsabgeordneten Klaus Mindrup und Michael Groß, beide Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und  Reaktorsicherheit im Deutschen Bundestag. Als Mitglied des Berliner Landesvorstandes der Arbeitsgemeinschaft Selbst Aktiv - Menschen mit Behinderungen in der SPD war auch ich in die Vorbereitung und Durchführung der Tagung involviert. Der Journalist Alfred Eichhorn moderierte die Veranstaltung eloquent und kompetent.

Bereits im Oktober letzten Jahres waren auf einer Auftaktveranstaltung u.a. genossenschaftliche Wohnmodelle als mögliche Wohnformen für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen vorgestellt worden. Schon damals wurde deutlich, dass das Zusammenwirken von Verwaltung, Wohnungswirtschaft, Sozialwirtschaft und den betroffenen Menschen eine Grundvoraussetzung für eine bezahlbare Wohnraumversorgung für Menschen mit Behinderungen ist. Die Realität sähe so aus, dass es für die Betroffenen schwierig ist, an geeigneten Wohnraum zu gelangen, bzw. auch im hohen Alter im gewohnten Umfeld zu verbleiben.

Auf der Fachtagung am 14. April 2015 wurde das Thema barrierefreies Wohnen aus den verschiedensten Blickwinkeln und Ebenen debattiert. Denn eingeladen waren Bundes- und LandespolitikerInnen, Inklusions-ExpertInnen und VertreterInnen von Verbänden, Vereinen, Wirtschaft, Verwaltung und Politik.

„Wohnen für alle bedeutet barrierefreies Bauen im Blick zu haben“ http://www.lebensraum-inklusiv.de/ betonte Klaus Uwe Benneter, Aufsichtsratsvorsitzender der Spastikerhilfe Berlin eG. Aus seiner Sicht sind Genossenschaften die beste Form um gutes Wohnen zu organisieren. Auch, weil sie gut durch die Finanzkrise durchgekommen sind. Matthias Ninke, Direktor der Bank für Sozialwirtschaft, hielt einen Mix aus Angebotsstrukturen und Vorgaben für barrierefreies Bauen für sinnvoll.

Berlin ist eine wachsende Stadt und zugleich wächst der Anteil der älteren Menschen, erklärte Stadtentwicklungssenator Geisel. Entsprechend steigt der Bedarf an barrierefreien Wohnungen. Wohnungstausch ist innerhalb der kommunalen Wohnungsgesellschaften bereits möglich. Auch beim Wohnberechtigungsschein (WBS) gibt es bereits den WBS für dringenden Bedarf - also z.B. für Menschen mit Behinderung. Des Weiteren sei bereits beim Berliner Mietspiegel das Kennzeichen Barrierefreiheit eingeführt.

Der Pankower Bundestagsabgeordnete Klaus Mindrup betonte, dass er froh sei, dass es in Berlin endlich eine neue Liegenschaftspolitik gibt. Zudem seien niedrige Zinsen ein gutes Umfeld für die Bauwirtschaft, gerade auch für barrierefreies Bauen.

Selbstbestimmtes Wohnen ist ein Gebot der UN-BRK

„Selbstbestimmtes Wohnen ist auch ein Gebot der UN-Behindertenrechtskonvention“, betonte Verena Bentele. Für die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung ist klar, dass barrierefreies Bauen eine Investition in die Zukunft ist. Öffentliche Gebäude können hier eine Vorbildrolle spielen. In Deutschland leben ca. 7,5 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung - aufgrund des demografischen Wandels werden immer mehr Menschen betroffen sein. Für sie alle bedeutet eine gute Wohnraumversorgung Lebensqualität! Zurzeit gibt es in Deutschland 600.000 barrierefreie Wohnungen. Das sind viel zu wenige. ArchitektInnen und BauherrInnen müssen für barrierefreies Bauen von Anfang an sensibilisiert werden, forderte Verena Bentele. So könnten spätere und teure Umrüstungsmaßnahmen vermieden werden. Auch Florian Pronold (SPD) bemängelte, dass Barrierefreiheit noch immer nicht Bestandteil des Architekturstudiengangs ist. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesbauministerium forderte ein Programm „Aufzug statt Auszug“. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau fördert den altersgerechten Umbau von Wohnungen bereits.

Wege zum effektiveren Zusammenwirken von Verwaltung, Wohnungswirtschaft, Sozialwirtschaft und Menschen mit Behinderung

Im Anschluss an die Impulsreferate wurde in zwei Arbeitsgruppen diskutiert. Die Arbeitsgruppe „Wie gelingt ein effektiveres Zusammenwirken von Verwaltung, Wohnungswirtschaft, Sozialwirtschaft und den betroffenen Menschen?“ wurde von mir moderiert.

„Wie gelingt ein effektives Zusammenwirken von Verwaltung, Wohnungswirtschaft, Sozialwirtschaft und Menschen mit Behinderung“ lautete meine Eingangsfrage. Dargestellt wurden existierende Problemlagen, anschließend wurde eine Reihe von Lösungsvorschlägen erarbeitet: So weist der Mietspiegel barrierefreie Wohnungen nicht aus. Außerdem gibt es zu wenig Transparenz, es fehlen belastbare Daten zu Bedarfen und Angeboten. Es gibt einfach zu wenige barrierefreie Wohnungen und rollstuhlgerechte Wohnungen. Darüber hinaus sind viele Wohnungen aus der alten Sozialbauförderung nach Weitervermietung nicht mehr bezahlbar, hier sollten Mietobergrenzen eingeführt werden. In den Bauverwaltungen auf bezirklicher Ebene und Landesebene braucht es mehr Kompetenz in Sachen Barrierefreiheit. Die neuen Fördermöglichkeiten aus dem Pflegestärkungsgesetz 1 sind zu wenig bekannt. Als Probleme wurden weiter benannt, dass in Berlin die Entwicklung zu beobachten sei, dass Wohnungen, die von sozialen Trägern genutzt werden, oft in Gewerberäume mit entsprechenden Mietpreissteigerungen umgewandelt werden. Ältere Menschen haben Schwierigkeiten beim Zugang zur Kreditfinanzierung für barrierefreien Umbau ihrer Wohnungen.

Erarbeite Lösungsvorschläge

In einer konstruktiven Diskussion kristallisierten sich folgende konkrete Lösungsvorschlägen heraus:

  • Transparenz herstellen durch Wohndatenbank für barrierefreie Wohnungen

Internetplattformen wie Mobidat.net oder die Webseite des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) könnten genutzt werden, um hier die barrierefreie Wohnungen und rollstuhlgerechte Wohnungen aufzuführen. Im Berliner Mietspiegel sollte das Merkmal barrierefrei eingeführt werden. Außerdem sollte der Wohnungstausch erleichtert werden. Ein gutes Beispiel ist dafür ist die Absprache zwischen den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften.

  • Einrichtung eines Runden Tisches zur besseren Kooperation und Vernetzung

Zu den Themen Förderprogrammen, Mietobergrenzen soll ein Runder Tisch unter Beteiligung von Selbsthilfeorganisationen, Sozialwirtschaft, Wohnungswirtschaft, Verwaltung und Politik eingerichtet werden.

  • Es braucht Leuchtturmprojekte

Staatssekretär Florian Pronold meinte, dass es Leuchtturmprojekte für inklusives Bauen bedarf. Entsprechend sollten Positivbeispiele bekannter gemacht werden. Zum Beispiel gibt es die barrierefreie Musterwohnung Meeraner Straße 7 / 6. OG 12681 Berlin-Marzahn. Diese AAL-Musterwohnung ist für das “Ambient Assisted Living” (AAL) konzipiert und gestaltet worden. „Ambient Assisted Living“ umfasst Methoden, Konzepte, (elektronische) Systeme, Produkte sowie Dienstleistungen, welche das alltägliche Leben älterer und auch benachteiligter Menschen situationsabhängig und unaufdringlich unterstützen.

  • Inklusionskompetenz in der Verwaltung erhöhen

Es braucht mehr Kompetenz in Sachen Barrierefreiheit in den Bauverwaltungen auf bezirklicher Ebene und Landesebene. Das Prinzip der Inklusion ist als Querschnittsaufgabe in der Verwaltung zu verankern. Hier sind entsprechende Fortbildungen und Schulungen zum Thema Inklusion durchzuführen. Auch in der Bauaufsicht gehört das Thema Barrierefreiheit verankert.

  • Debatte um die Novellierung der Landesbauordnung führen

Die Debatte um die Novellierung der Berliner Bauordnung zog sich wie ein roter Faden durch die gesamte Fachveranstaltung. Bereits 1985 wurde der Paragraf 51 mit dem Titel: „Bauliche Maßnahmen für besondere Personengruppen“ eingeführt. Dieser wurde im Jahr 2005 noch verschärft und sieht seitdem die barrierefreie Zugänglichkeit für Gebäude ab vier Wohnungen vor. Doch in der Realität werden zu häufig Ausnahmen von dieser Regelung genehmigt, sodass auch heute zu wenig barrierefreie Wohnungen gebaut werden. Folge ist, dass in Berlin 41.000 barrierearme und barrierefreie Wohnungen fehlen. Heute sind 2.500 NutzerInnen des Sonderfahrdienstes auf Treppenhilfe beim Verlassen der Wohnungen angewiesen.

In der Diskussion wurde geltend gemacht, dass durch fehlende barrierefreie Wohnungen dem Sozialstaat jährlich immense Kosten entstehen. So müssten z.B. SeniorInnen früher ins Seniorenheim, weil ihre Wohnung nicht für eine ambulante Pflege geeignet ist. Was die Bauwirtschaft an einer Stelle einspart, zahlen Sozialsysteme und Gesellschaft an anderer Stelle ein Vielfaches drauf, erklärte Dominik Peter vom Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Er fordert, dass die Definition für barrierefreies Bauen eingehalten und das Votum der Monitoringsstelle und die Empfehlungen des Landesbehindertenbeirats und des Landesbehindertenbeauftragten einzuhalten sind. Ausnahmetatbestände seien zu beseitigen und für neue Bauvorhaben ist Barrierefreiheit verbindlich vorzuschreiben.

  • Soziale Träger brauchen bezahlbaren Wohnraum

Viele soziale Träger stehen vor dem Problem, dass die Wohnungen, die sie für betreutes Wohnen nutzen, in Gewerberäume mit entsprechenden Mietpreissteigerungen umgewandelt werden. Der Wegfall von vertrautem Wohnraum und dem vertrauten Kiezumfeld ist insbesondere für KlientInnen in der ambulanten Psychiatrie ein großes Problem. Trotz des engen Wohnungsmarkts dürfe mensch sich nicht entmutigen lassen. Hier müssen neue innovative  Ideen entwickelt werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Netzwerk „IRRE gut wohnen für ALLE - Netzwerk für soziales Wohnen in Tempelhof-Schöneberg“. Es werden Kontakte zu Wohnungsbaugesellschaften geknüpft. Es sollen Ideen von Win-win-Situationen umgesetzt werden und Überlegungen zum gemeinsamen Bauen und eine Vereins- bzw. Gesellschaftsgründung stehen an.

Neue Wohnformen sind „bunt“ und vielfältig, ambulantes Wohnen braucht vielfältige Unterstützung.

  • Pflegestärkungsgesetz I umsetzen und bekannter machen

Ich habe darauf hingewiesen, dass durch das Pflegestärkungsgesetz I barrierefreie Umbaumaßnahmen in Wohnungen mit 4.000 Euro bezuschusst werden können. Die neuen Regelungen aus dem Pflegestärkungsgesetz 1 müssen bekannter gemacht und besser genutzt werden. In diesem Zusammenhang wurde die Rückbaupflicht der MieterInnen problematisiert. Diese sollte entfallen, weil ein barrierefreier Umbau der Wohnung auch NachmieterInnen nutzt.

  • Inklusion als Quartiersansatz und Querschnittsaufgabe

Die Quartiers- und Sozialraumentwicklung muss barrierefreies Wohnen, muss Begegnung und Teilhabe einbeziehen. So bedarf es auch barrierefreier Begegnungsstätten/Stadtteilzentren und Angebote zur gesellschaftlichen Teilhabe. Barrierefreiheit im öffentlichen Raum bedeutet auch Sitzgelegenheiten, bedeutet barrierefreie öffentliche Toiletten.

Ich hoffe, dass die vielen Impulse, Anregungen und konkreten Lösungsvorschläge weiter diskutiert werden und freue mich schon auf die nächste Fachtagung.