Was für ein politisches Vorwärts: Der Berliner Christopher-Street-Day wurde vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller eröffnet. Am Vortag des Berliner CSD entschied das höchste amerikanische Gericht, dass Schwule und Lesben im Ehe-Recht nicht diskriminiert werden dürfen, hunderttausende auf dem Motzstraßenfest halten Homophobie für eine Bildungslücke - nur die CDU kann sich mit der Nicht-Diskriminierung noch nicht anfreunden. Ich bin aber sicher: Es ist nur noch eine Frage der hoffentlich nicht allzu langen Zeit – denn der Druck wird zu groß!
Rot, Orange, Gelb, Grün, Königsblau, Violett
Die Regenbogenfahne, dieses vom amerikanischen Künstler Gilbert Baker 1978 entworfene Symbol der LGBTTIQ-Community, ist seit einigen Wochen überall zu sehen. Ihr Rot für Liebe und Leben, Orange für Gesundheit, Gelb für das Sonnenlicht, Grün für die Natur, Königsblau für Harmonie und Violett für den Geist weht vor allen Berliner Rathäusern, dem Berliner Abgeordnetenhaus, vor den Landes- und Bundesparteitagszentralen der SPD und vor Kultureinrichtungen, Universitäten wie vor der AOK. Am BVG-Haus am Nollendorfplatz wurde sie vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller gehisst, der zusammen mit BVG-Chefin Sigrid Nikutta auch eine "Haltestelle der Toleranz" einweihte. Auch alle sozialdemokratischen BundesministerInnen zeigen Flagge gegen Homophobie und für Gleichstellung und positionierten sich damit für einen schönen Christopher Street Day! #CSD #Ehefueralle.
CSD Berlin: „Wir sind alle anders. Wir sind alle gleich.“
Die politischste Parade aller Zeiten startete mit 50 Festwagen am Kurfürstendamm. Die Route führte über den Nollendorfplatz zur Siegessäule und von dort über die Straße des 17. Juni zum Brandenburger Tor. Entlang der Route sammelten sich am Straßenrand gut 500.000 Schaulustige. Sie alle feuerten die Demonstration am Christopher Street Day unter dem Motto "Wir sind alle anders. Wir sind alle gleich" an und brachten so ihre Unterstützung für Homosexuelle und Transgender zum Ausdruck. Am häufigsten war die Forderung nach Öffnung der „Ehe für alle“ und auch die nach dem Schutz von queeren Flüchtlingen in den Unterkünften.
Dank dem Vorstand des Berliner Christopher Street Day e.V.
Dem Vorstand des Berliner Christopher Street Day e.V. gebührt unser Dank für eine erfolgreiche Organisation des wieder versöhnten Christopher Street Day am 27. Juni 2015. So wurden die politischen Inhalte wieder stärker in den Mittelpunkt der Demonstration gerückt. Daher waren im vorderen Teil auch eher die leiseren Gruppen - "Leute mit Fahrrädern, Kinderwagen und Rikschas", wie die CSD-Pressesprecherin vorab sagte - und die Wagen mit lauter Musik folgten dahinter. Und auch diese mussten ihre Bannerfläche zu mindestens 70 Prozent für politische Botschaften nutzen.
Regierender Bürgermeister und BotschafterInnen eröffnen den CSD
Zusammen mit zahlreichen Botschafterinnen und Botschaftern eröffnete der Regierende Bürgermeister Michael Müller den Berliner CSD. „Die Berliner CSD-Parade ist das große, bunte und fröhliche Fest, in dem Community und Stadtgesellschaft die Offenheit und Toleranz unserer Metropole feiern. Dem trägt das Motto 2015 ‚Wir sind alle anders. Wir sind alle gleich‘ überzeugend Rechnung.“ Die „Ehe für alle“ stand auch in Mittelpunkt seiner Rede. Unter Hinweis auf den von der CDU angedrohten Koalitionsbruch sagte der Regierende, er erhoffe sich vom CSD in der Hauptstadt „Rückenwind“ für dieses Anliegen. „Ein bisschen Gleichstellung geht nicht“, betonte er. „Die Richtung ist klar, die Ehe für gleichgeschlechtliche Partner ist hierzulande nur noch eine Frage der Zeit.“ Die Union lehnt eine Gleichstellung bisher ab. Das Land hatte sich Mitte Juni daher bei einer Abstimmung im Bundesrat enthalten müssen. Die Berliner CDU will erst ihre Mitglieder befragen. 73 Prozent der Berliner Bevölkerung befürworten einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa zufolge die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare.
Die Botschafterin der Republik Slowenien, Marta Kos Marko, erklärte, dass Slowenien das 18. Land der Welt und das 11. in der EU ist, das seit März dieses Jahres die Partnerschaften von Schwulen und Lesben mit der Ehe und mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten komplett gleichstellt hat.
Mit besonders viel Applaus bedacht wurde der Botschafter der USA in Deutschland, John B. Emerson, der mit Frau und Töchtern erschien. „Das ist unser Tag“, rief er in die Menge und verwies voller Stolz auf das am Vortag ergangene Urteil des Supreme Court: Der oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat erklärt, dass Schwule und Lesben künftig in allen 50 Bundesstaaten heiraten dürfen. Das Verbot verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Damit müssen in 14 der 50 Bundesstaaten nun die Gesetze geändert werden.
Ich bin mir sicher, dass nach dem Referendum in Irland auch dieses Urteil alle Partner der Bundesregierung dazu bringt, die vollständige Gleichstellung für gleichgeschlechtliche Paare durchzusetzen. "Das Urteil des Supreme Courts hat globale Strahlkraft für gleiche Rechte, Vielfalt und Respekt. Kanzlerin Merkel führt mit ihrer Weigerung, die Ehe zu öffnen, Deutschland weiter in die Isolation gegenüber der westlichen Wertegemeinschaft. Wir wollen keine Sonderrechte, sondern Gleichstellung. Wir wollen nicht eine spezielle 'Homo-Ehe', sondern die Öffnung der Ehe!“ heißt es in der Erklärung des Lesben und Schwulenverbandes Deutschlands. Ich unterstütze diese Haltung!
1.000 bunte Luftballons für Vielfalt
Ein deutliches Zeichen für Vielfalt setzten die drei Bezirksbürgermeister*innen Angelika Schöttler, Tempelhof-Schöneberg, Dr. Christian Hanke, Mitte, und Reinhard Naumann, Charlottenburg-Wilmersdorf: An der Urania ließen sie 1.000 bunte Luftballons in den Himmel steigen. Alle drei Bezirke sind tolerante, bunte Bezirks, so ist im Schöneberger Kiez rund um den Nollendorfplatz die größte LSBTI*-Community Europas beheimatet. Überall wird Homo- und Transphobie entschieden entgegengetreten. Auch ich hoffe, dass die erste gleichgeschlechtliche Eheschließung im Rathaus Schöneberg stattfindet
Sichere Unterkünfte für homosexuelle Flüchtlinge
Ein wichtiges Thema auf dem Berliner Demonstrationszug war auch die Forderung nach sicheren Unterkünften für homosexuelle Flüchtlinge. Homosexuelle Flüchtlinge seien noch längst nicht sicher, wenn sie in Deutschland angekommen seien. Sie hätten in den Flüchtlingsheimen extreme Probleme und bräuchten dringend sichere Wohnheime. So fordert Jörg Steinert, Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg (LSVD) e.V., dass Sozialsenator Czaja und das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin (LAGeSo) tätig werden muss, „um jeden einzelnen zu schützen und Diskriminierung und Gewalt in den Unterkünften nicht zuzulassen".
Tausende von lesbischen, schwulen, bisexuellen, Trans- und intersexuellen (LSBTI) Personen beantragen jedes Jahr Asyl in Europa, weil sie wegen ihrer sexuellen Orientierung in ihren Herkunftsländern verfolgt werden. Auf ihre Situation habe ich in der zusammen mit den QueerSozis Berlin durchgeführten Veranstaltung „Fleeing Homophobia - sexuelle Orientierung und Asyl“ aufmerksam gemacht.
Ehrung für Klaus Wowereit
Auch Klaus Wowereit, Berlins Ex-Regierender Bürgermeister, demonstrierte für die Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen und Transgender. Auf dem CSD-Fest am Brandenburger Tor wurde er für sein Outing „Ich bin schwul und das ist auch gut so“ mit dem „Soul of Stonewall Award“ geehrt. Seit seinem Outing habe er wesentlich zur Freiheit von Homosexuellen beigetragen. Klaus Wowereit appellierte an Kanzlerin Merkel, es sei höchste Zeit, dass sie ihren Widerstand gegen die Ehe für alle aufgebe.
Gedenken an die verfolgten und ermordeten Homosexuellen
Wie in den Jahren zuvor wurde im Vorfeld der Demonstration zum Christopher Street Day am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) und der Berliner CSD e.V. zusammen mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas eine Gedenkstunde veranstaltet.
Die Einführung machte Ulrich Keßler, LSVD. Die Gedenkrede hielt Dilek Kolat, Bürgermeisterin und Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen. Anwesend waren viele Mitglieder des Deutschen Bundestages und des Berliner Abgeordnetenhauses. Es war mir eine Freude Kränze für die SPD-Bundestagsfraktion sowie für die QueerSozis Tempelhof-Schöneberg niederzulegen.
Die Nationalsozialisten hielten Homosexualität für eine „widernatürliche Veranlagung“, für eine den so genannten „Volkskörper“ schädigende „Seuche“, die „auszurotten“ sei. Vor 80 Jahren, am 28. Juni 1935, verschärften sie die Strafbestimmungen. In den folgenden Jahren wurden etwa 100.000 homosexuelle Männer polizeilich erfasst, 50.000 wurden nach § 175 verurteilt. Etwa 10.000 homosexuelle Männer wurden nach Verbüßung ihrer Haftstrafe in Konzentrationslager verschleppt. Viele von ihnen überlebten diese Qualen nicht.
Ein politisches 23. Lesbisch-Schwules Stadtfest 2015 „Gleiche Rechte für Ungleiche“
Das alljährliche Motzstraßenfest im Schöneberger Norden ermöglicht die Darstellung der Vielfalt queerer Lebenswelten. Bereits zum 23. Mal veranstaltet der Regenbogenfonds e.V. Europas größtes Lesbisch-schwules Stadtfest. Rund 450.000 BesucherInnen und Besucher nahmen am 20./21. Juni 2015 daran teil.
Leider konnte ich es dieses Jahr nur kurz besuchen, da ich noch nach Straßburg zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates musste. Nichtsdestotrotz habe ich es mir nicht entgehen lassen, den wunderbaren Stand der QueerSozis der Berliner SPD zu besuchen. Und das war gut so – wunderbare Begegnungen, gute Gespräche und viel Spaß.
Dieses Jahr hat es aufgrund der Nicht-Teilnahme der Lesbenberatung Berlin e.V. bereits im Vorfeld eine politische Debatte gegeben. In ihrer Stellungnahme begründete die Lesbenberatung ihre Entscheidung unter anderem mit dem Plakat (Fehler in der arabischen Sprache, stereotypisierende Darstellung von zwei sich küssenden Frauen) und der Angst eines Teils der Zielgruppe der Lesbenberatung vor trans*diskriminierende, sexistischen, rassistischen und islamophoben Diskriminierungen und Übergriffen.
Eröffnungsgottesdienst in der Apostelkirche
Der auf Initiative des Rogate-Klosters am Vorabend des Lesbisch-schwulen Stadtfestes stattfindende bunte Eröffnungsgottesdienst in der Apostelkirche ist mittlerweile gute Tradition. Der Wunsch des Rogate-Klosters: „Willkommen in unseren Gemeinden!“ wird wahr - die Kirche ist gut gefüllt, alt und jung, Menschen queerer Identität, viele Nationalitäten.
In seiner Predigt griff Burkhard Bornemann, amtierender Superintendent im Kirchenkreis Schöneberg, das Thema auf und legte ein besonderes Augenmerk auf die weibliche, auf die lesbische Identität. Er machte damit die Betroffenheit vieler lesbischer Frauen, häufig hinter den schwulen Männern zu stehen, zum Gegenstand.
Hinsichtlich der „Ehe für alle“ verwies er darauf, innerhalb der Evangelischen Kirche Paare bereits jetzt gesegnet werden. Die Synode der Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz will im kommenden Jahr die gottesdienstliche Gleichstellung von heterosexuellen und homosexuellen Paaren beschließen. Das ist ein wichtiges Zeichen. Benachteiligung und damit Ausgrenzung müssen endlich ein Ende haben. Gerade die Kirche müsse ein Ort sein, wo der Anspruch „Ehe für alle“ im Geist der Annahme eines jeden Menschen und der Akzeptanz verschiedener Sexualität und Lebensformen gelebt werden können muss.