Erinnerungskultur ist mit authentischen Orten verbunden, im Fall von Annedore und Julius Leber mit einer Kohlenhandlung in Berlin-Schöneberg. Das Gebäude der Kohlenhandlung, wie sie von Annedore Leber in den 1950er Jahren betrieben wurde, steht noch. Nach dem Wunsch engagierter BürgerInnen und PolitikerInnen soll in der Torgauer Straße 25 ein lebendiger Erinnerungs-, Gedenk- und Lernort entstehen. Der zivile Widerstand gegen den Nationalsozialismus soll hier sichtbar gemacht werden. Dabei soll der Zusammenhang mit der aktuellen Bedeutung von Zivilcourage und bürgerschaftlichem Engagement angesichts von mannigfachen rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Aktivitäten hergestellt werden.
Ich fand nicht nur die Vernissage am 28. August 2015, sondern auch die Ausstellung „Lebers Kohlenhandlung“ selber in der Galerie im Kurt-Schumacher-Haus, Müllerstraße 163, 13353 Berlin sehr gelungen. Diese ist noch bis zum 25. September während folgender Öffnungszeiten (Mo, Mi, Do, Fr 14–18 Uhr, Di nach Vereinbarung) aufgesucht und besichtigt werden.
Zum Gedenken an Annedore und Julius Leber finden in Kürze noch weitere Veranstaltungen statt:
Vernissage
Die Vernissage und die Ausstellung gehören zum Programm des August-Bebel-Instituts. Der Fotograf Berthold Prächt hat das Gebäude der Kohlenhandlung, wie es heute steht, sein Umfeld und die anwohnenden Menschen im Bild festgehalten. Diese Bilder hat er mit Fotos von Annedore und Julius Leber, ihrem Widerstand gegen Hitler und Kampf für die Demokratie ergänzt. Angelika Schöttler, Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, verwies auf unsere Verpflichtung, diesen Ort als authentischen Ort der Erinnerungskultur zu erhalten. Sie forderte die Zivilgesellschaft auf, diesbezüglich Druck zu machen. Auch Christine Fischer-Defoy, Vorsitzende Aktives Museum e.V., betont anhand zahlreicher Orte in Berlin die „Die Bedeutung authentischer Orte für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus“. An diesen Orten entstehen „Gefühle des Begreifens“. Als Beispiel erwähnt sie die Stolpersteine, von denen es in Berlin derzeit rund 6.400 gibt. Jeder einzelne Stolperstein sei eine eigene „Gedenkstätte im Kopf“. Beim anschließenden Empfang präsentierte DJ Steppin Suga ein Swing-Programm. Der Swing wurde ausgewählt, da die Swing-Jugend in vielen deutschen Großstädten in der Zeit des Nationalsozialismus eine oppositionelle Jugendkultur war. Jugendliche aus unterschiedlichen Milieus suchten im Swing eine Ausdrucksmöglichkeit als Abgrenzung zur nationalsozialistischen Gesellschaft und der Hitler-Jugend.
Aktiven Lern- und Gedenkort Annedore und Julius Leber schaffen
Nach vier Jahren der Haft in Gefängnissen und Konzentrationslagern kam der SPD-Reichstagsabgeordnete (1924 bis 1933) und Journalist Julius Leber 1937 frei. Er fand eine Stelle in der Kohlenhandlung in der Schöneberger Torgauer Straße. Hier vernetzte und traf er sich mit anderen Oppositionellen. 1943 lernte er Claus Schenk Graf von Stauffenberg kennen. Sie planten das NS-Regime durch die Ermordung Adolf Hitler zu stürzen. Mit Hilfe von Gestapo-Spitzeln flog seine Beteiligung an der Vorbereitung eines Attentats auf Hitler auf. Er wurde am 5. Juli 1944 - noch vor dem Stauffenberg-Attentat am 20. Juli 1944 - verhaftet und in einem Schauprozess am 20. Oktober 1944 zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 5. Januar 1945 in Plötzensee vollstreckt.
Sein Widerstand gegen den Nationalsozialismus, den er gemeinsam mit seiner Frau Annedore von der Schöneberger Kohlenhandlung aus organisierte, ist heute vielen bekannt. Seine Witwe Annedore Leber baute das zerstörte Gebäude der Kohlenhandlung wieder auf und verkaufte weiterhin Kohlen. Außerdem gründete sie hier den Mosaik Verlag, der politische und pädagogische Bücher veröffentlichte und den Widerstand in der NS-Zeit thematisierte. Bis in die 60er Jahre engagierte sie sich politisch besonders für die Berufsbildung von jungen Frauen und die Frauenerwerbstätigkeit. Nach ihrem Tod 1968 wurde die Kohlenhandlung verkauft und nach fünf Jahren eingestellt.
2009 erwirbt das Land alle Grundstücke der Torgauer Straße. Es gründet sich eine engagierte Arbeitsgruppe, darunter auch Mitglieder der Berliner Geschichtswerkstatt, die einen Lern- und Gedenkort Annedore und Julius Leber fordert. Politische Auseinandersetzungen zwischen SPD. Grüne und Linke einerseits und die CDU andererseits verhindern längere Zeit ein zügiges Planen. Es schreitet aber voran: Der Stadtteilverein Schöneberg wird vermutlich Träger und als solcher auf allen Ebenen nach Finanzierungsmöglichkeiten suchen, da der Bezirk hierfür kein Geld zur Verfügung stellen kann. Anfang Juli beschloss das Bezirksamt auf Antrag der SPD-Fraktion, dass der Grünzug Torgauer Straße den Namen „Annedore-Leber-Park“ erhalten wird. Dank des zivilgesellschaftlichen Engagements von BürgerInnen stehen an dem Ort der ehemaligen Kohlenhandlung einige Informationstafeln. Diese provisorische Open-Air-Ausstellung erinnert schon derzeit an Annedore und Julius Leber.