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Soziale Quartiersentwicklung voran bringen

In der Themenreihe „Wert sozialer Arbeit“, die gemeinsam vom AWO-Bundesverband und der SPD-Bundestagsfraktion durchgeführt wird, haben wir uns am 4. November 2015 mit der sozialen Quartiersentwicklung beschäftigt.

Prof. Dr. Reinhold Knopp, Lehrstuhlinhaber für das Fach Soziologie an der FH Düsseldorf, machte in seinem Kurzvortrag „Quartiersentwicklung in Zeiten des demografischen Wandels“ deutlich, dass das, was wir heute „Quartiersmanagement“ nennen, eine lange Tradition hat. Bereits 1853 Jahre wurde mit dem „Elberfelder System“ die so genannte Armenfürsorge eingeführt. Zentraler Bestandteil waren dabei die ehrenamtlichen „Armenpfleger“. Die entscheidenden Qualifikationen der „Armenpfleger“ bestanden in den Eigenschaften Bürger und Nachbarn sowie vor Ort präsent sein und das Umfeld genau kennen. Gemäß des Prinzips „Hilfe zur Selbsthilfe“ sollten sie den bedürftigen MitbürgerInnen auf den Weg in ein eigenständiges Leben bringen. Mit ehrenamtlicher Arbeit das Interesse am eigenen Kiez und den hier lebenden Bewohnerinnen und Bewohnern so zu wecken, dass man/frau dafür aktiv wird, ist also keine neue Erfindung.

Quartiersentwicklung ist für alle da

Unter Quartiersentwicklung versteht die Stadtsoziologie - verkürzt gesagt -, dass die Menschen in den Stadtteilen wieder näher zusammenrücken, sich gegenseitig helfen und unterstützen: Alte und pflegebedürftige Menschen sollen dort ebenso ihren Platz haben wie Familien mit Kindern, Alleinstehende, Menschen mit Migrationsbiographie oder Menschen mit Behinderung. Im Quartier entscheide sich, ob ein selbstbestimmtes und gemeinschaftliches Leben aller BewohnerInnen möglich ist und ein Verbleib der größer werdenden Zahl älterer, hochaltriger, gegebenenfalls hilfe- und pflegebedürftiger Menschen - insbesondere der demenziell veränderten Menschen - auch faktisch gelingen kann. Die Integration von und die Kooperation mit stationären Pflegeeinrichtungen  sind ein aktiver Bestandteil der Quartiersentwicklung.

Prof. Knopp verwies darauf, dass für das Gelingen einer erfolgreichen und nachhaltigen Quartiersentwicklung eine sozialräumliche Betrachtung notwendig ist. Die Frage, was brauche ich, um mich hier in meinem Umfeld wohlfühlen zu können, sei nur zu beantworten, wenn alle Aspekte des Lebens gemeinschaftlich betrachtet und bearbeitet werden.  Es reicht nicht, z. B. bauliche Veränderungen vorzunehmen, wenn die soziale Infrastruktur, die die BewohnerInnen eines Quartiers benötigen, nicht vorhanden ist. Das gilt für unsere Gesellschaft des längeren Lebens umso mehr. Insbesondere ältere BürgerInnen sind in besonderer Weise auf eine Erreichbarkeit im Nahgebiet angewiesen.

Ehrenamt braucht Hauptamt

Eindringlich wies Prof. Dr. Knopp darauf hin, dass zur Generierung von mehr ehrenamtlichem Engagement auch mehr professionelle Unterstützung benötigt würde. Nur so könne ehrenamtliches, freiwilliges und bürgerschaftliches Engagement nachhaltig wirken. Die Absicht, (mehr) ehrenamtliches Engagement für den Kiez, für das Quartier zu gewinnen, darf daher auf keinen Fall mit dem Abbau professioneller Angebote verbunden sein. 

Mitmachen ist die Devise

Um Menschen im Quartier dazu zu bewegen, sich zu engagieren, braucht es neue attraktive Formate und Zeit. Mit Diskussionsrunden könne mensch die BewohnerInnen nicht zum Handeln bringen. Die Formate müssten zum Mitmachen geeignet, müssten einladend sein.

Nachbarschaftshilfe aktivieren heißt über längere Zeiträume denken

Die Bewilligungszeiträume für Quartiersmanagementgebiete seien meist zu kurz, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken. Deshalb bräuchten wir ein Umdenken bei den zulässigen Investitionen. Bislang werde zwar viel in Beton investiert, es wäre aber auch sehr angebracht in Projekte zu finanzieren, die die Nachbarschaftshilfe aktivieren helfen. Gerade in Zeiten des demografischen Wandels kommt es darauf an, dass auch ältere BürgerInnen in den Quartieren bleiben können, indem sie Unterstützung aus dem Kiez erhalten.

Brigitte Döcker, Vorstandsmitglied des AWO-Bundesverbandes, bemängelte, dass eine Vernetzung in den Kiezen durch professionell arbeitende Träger wie der AWO heute kaum noch möglich ist. Soziale Arbeit leide an den knappen Kassen der öffentlichen Haushalte. Zudem würden die Träger untereinander im Wettbewerb stehen. Beide Komponenten zusammen seien schlechte Voraussetzungen guter sozialer Arbeit in den Quartieren.

Michael Groß, sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter und Einlader zur Themenreihe, konnte in seinem Statement berichten, dass die Politik die Wichtigkeit der Quartiersarbeit verstanden habe. Die Sicherung der Daseinsvorsorge und der Erhalt des einheitlichen Lebensstandards sind anerkannte Aufgabe des Staates. Bundesministerin Barbara Hendricks hat dazu ein Eckpunktepapier vorgelegt und will eine Bundesstiftung soziale Stadt begründen.

Manuela Harling