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Wohnkonzepte für eine gute Zukunft für alle

Wird unsere derzeitige Wohnsituation in Deutschland der steigenden Anzahl von behinderten oder im Alter alleinlebenden Menschen gerecht? Wird sie denjenigen gerecht, die oftmals nicht zu den Reichen in diesem Lande zählen? Diese und andere Fragen muss sich eine Gesellschaft des längeren Lebens angesichts des Demografischen Wandels stellen. Zusätzliche Herausforderung für unsere Wohnungswirtschaft ist auch die Einwanderung von geflüchteten Menschen. Wir brauchen ein neues Denken und neue Konzepte.

Drei große Arbeitsgemeinschaften der SPD (Arbeitsgemeinschaft SPD 60plusArbeitsgemeinschaft Selbst Aktiv - Menschen mit Behinderung in der SPD und die Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt) wollen deutlich machen, dass unterschiedliche Anforderungen an unsere Wohnungsbaupolitik sich nicht widersprechen müssen. Im Gegenteil: nach Jahrzehnten, in denen sich der Staat immer mehr aus dem Sozialen Wohnungsbau zurückgezogen hat, gibt es eine große Chance, wieder zu neuen Wegen im sozialen und öffentlichen Wohnungsbau zurück zu finden. Aus diesem Grunde haben die AGen gemeinsam die Fachkonferenz „Wohnkonzepte für eine gute Zukunft für alle“ am 9. Dezember 2015 im JugendKulturZentrum PUMPE organisiert und fachkundige ReferentInnen eingeladen.

Menschenwürdiges Wohnen für jede Person bundesweit

Für ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen herrscht Mangel an bezahlbaren Wohnraum, insbesondere dann, wenn die Rente gering sei. Darauf verwies die Bundesvorsitzende der AG SPD 60plus, Angelika Graf, in der Begrüßung. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete betonte, dass sich die Anforderungen für ein menschenwürdiges Wohnen in den Metropolregionen und in den Kommunen, in denen ein Rückbau stattfinde, regional sehr verschieden entwickeln. Auf dem am 10. Dezember beginnenden SPD-Bundesparteitag liegen seitens der AGen 4 Anträge zum öffentlichen, privaten, genossenschaftlichen und gemeinnützigen Wohnungsbau vor. Auch der Zuzug von geflüchteten Menschen stellt wohnungspolitischen Fragestellungen stärker in den Fokus, ist allerdings nicht die Ursache. Vor einer Vermischung aktueller Diskussionen der Unterbringung für geflüchtete Menschen mit den Herausforderungen einer nachhaltigen und zukunftsfesten Wohnungspolitik, warnte auch Dr. Franz-Georg Rips, Präsident des Deutschen Mieterbundes. Ein spezielles Wohnungsbauprogramm für geflüchtete Menschen lehnte daher Florian Pronold, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), ab.

 Staatliche Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau wahrnehmen

„Das Gefährliche an Prognosen, habe Karl Valentin gesagt, ist, dass sie auf die Zukunft gerichtet sind. So sei vor 25 Jahren eine Schrumpfung der Bevölkerung prognostiziert worden.“ zitierte Pronold mit einem Seitenhieb. Wohnungs(bau)politik sei daraufhin kein Thema mehr gewesen. Hinzugekommen sei der Glaube, der Markt würde es schon richten. Beides hat sich als grundlegende Fehler herausgestellt.

Von einer schrumpfenden Gesellschaft ist nicht auszugehen. Durchschnittlich gesehen sei der Wohnungsbedarf in Deutschland zwar gedeckt, aber Durchschnittszahlen sagen wegen über die Realität in der jeweiligen Region aus: Während es in Metropolregionen einen drängenden Bedarf an preisgünstigen Wohnungen gibt, stehen in den sich entvölkernden Regionen rund 1 Million Wohnungen leer. Nicht vorhergesehen wurde auch der Wohnungsbedarf aufgrund hoher Scheidungszahlen sowie der Zunahme an individuellem Wohnraum. "Wir brauchen dringend mehr bezahlbare Wohnungen für alle, für RentnerInnen ebenso wie für viele Normalverdienende", betonte Pronold.

"Wir brauchen Riesenanstrengungen beim Wohnungsneubau"

In Deutschland müssen etwa 400.000 Wohnungen pro Jahr gebaut werden. Der soziale Wohnungsbau muss "deutlich ansteigen". Davon profitieren auch die geflüchteten Menschen, die dauerhaft in Deutschland bleiben. In dem von Barbara Hendricks (SPD) geführten BMUB ist das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen initiiert worden. Hier und anderswo wird intensiv über weniger Regeln, niedrigere Standards, und modernen Fertigbau diskutiert. Mittlerweile ist erreicht worden, dass die Wohnraumförderung verdoppelt wurde.

Grundstücke machen rund 20 Prozent des Baukostenpreises aus. Der Bund betreibt deshalb jetzt eine Liegenschaftspolitik, nach der Bund seine Grundstücke nicht mehr automatisch zum Höchstpreis abgibt. Auch machen einige Kommunen Konzeptausschreibungen, das heißt, Grundstücke werden zum Beispiel verbilligt abgegeben, wenn die KäuferInnen günstige Mietwohnungen bauen. Vor allem für Genossenschaften ist das ein gutes Modell. München ist ein Vorbild, auch das Land Berlin ist hier sehr weit vorn.

Um bezahlbaren Wohnungsbau schnell zu ermöglichen, spricht sich Florian Pronold für kürzere Planungszeiten auf den Ebenen des Bundes, der Länder und der Kommunen sowie für industrielle Vorfertigung, Nachverdichtung und Absenkung von Standards in bestimmten Bereichen aus. In der Baukostensenkungskommission wird daran gearbeitet, dass Standards nicht pauschal heruntergeschraubt aber gut überprüft werden. Derzeit werden die größten Kostenfaktoren identifiziert. Er plädiert zum Beispiel für eine einheitliche Bauordnung der Länder. Heute muss ein neuer Aufzug an 16 unterschiedliche Verordnungen angepasst werden - das kostet. Bezahlbarer Wohnraum kann mit mehr industrieller serieller Vorfertigung erstellt werden - diese Häuser sind modern, lebenswert und klimagerecht. Eine Vorfertigung von Wänden kann bei Mehrfamilienhäusern eine Ersparnis bis zu 20 - 25 Prozent bringen. Es wird auch keineswegs jede Kreativität im Städtebau unterdrückt. Weiterhin können Standards abgesenkt werden, nicht jeder sei sinnvoll: So sind in Berlin je nach Stockwerk unterschiedliche Höhen für Treppengeländer vorgeschrieben.

Der Bund muss für auf Länder- bzw. kommunaler Ebene zu treffende Entscheidungen die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Ein Beispiel: Das Mobilitätsverhalten hat sich stark geändert, viele Menschen in der Stadt verzichten auf ein Auto. Berlin und Hamburg haben daraus ihre Konsequenzen gezogen und ihre Stellplatzverordnungen für den Wohnungsbau abgeschafft. Mit dem Verzicht auf eine Tiefgarage können die Kosten für den Wohnungsbau um bis zu 20 Prozent reduziert werden. Diesen Vorbildern könnten andere Großstädte folgen.

Wir brauchen eine stärkere Verantwortung des Staates. Das allein reicht aber nicht zur Bewältigung der Herausforderungen in den nächsten zehn Jahren. Um mehr privates Kapital für den sozialen Wohnungsbau zu generieren, wird auch mehr steuerliche Förderung benötigt. Diese steuerliche Entlastung darf aber nicht die Fehler der Neunzigerjahre wiederholen, als PrivatanlegerInnen in den Ruin getrieben wurden, als sie in Ostdeutschland Wohnungen kauften, die keiner brauchte. Heute sei es klug, die steuerliche Förderung jetzt auf angespannte Wohnungsmärkte und den Mietwohnungsbau zu konzentrieren.

Die Schaffung von barrierearmen bzw. barrierefreien Wohnraum ist eine große Herausforderung. Das Problem hierbei ist nicht der Wohnungsneubau, sondern die Sanierung im Altbaubestand. Vielfach müssen Vorschriften des Denkmalschutzes beachtet werden, die sich nicht leicht mit barrierefreien Baumaßnahmen in Einklang gebracht werden können.

Neues Streben: Eine Reform der Reform der Föderalismusreform

Mit der Föderalismusreform 2006 hat der Bund in der Wohnungspolitik fast alle Zuständigkeiten an die Länder verloren. Diese haben aber vielfach die falschen Prioritäten gesetzt. Einige boten mit den Wohnungsbaumitteln vom Bund den Unternehmen günstigere Zinsen an. Das hatte oft zur Folge, dass nicht Sozialwohnungen gebaut wurden, sondern mit dem Geld Eigenheime gefördert oder Schulden zurückgezahlt wurden. Das führte dazu, dass sich die Anzahl der Sozialwohnungen halbiert hat und nicht genügend neue Wohnungen gebaut wurden. Als Bund gibt es aber kaum noch Möglichkeiten, hier gestaltend einzugreifen. Nur bis 2019 könne noch für eine Übergangszeit seitens des Bundes finanzielle Anreize für die Schaffung von sozialem Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden. Das macht der Bund auch: Den Ländern stehen zweckgebunden 500.000 Millionen zur Verfügung, wenn sie den Betrag gleichwertig aufstocken. Nach 2019 existiert keine rechtliche Finanzierungsgrundlage mehr.

Die Soziale Wohnraumförderung hat im sozialdemokratisch geführten Bundesbauministerium oberste Priorität! Das Bundesbauministerium unterstützt - über die Bundesländer, in deren Verantwortung die soziale Wohnraumförderung liegt - beispielsweise den Bau zusätzlicher Studierendenwohnungen mit mehr als 120 Millionen Euro.

Wohnungsbaupolitik darf kein stiefmütterliches Dasein mehr führen

Beim Bauen von Wohnungen muss heute von Minimalkosten von 10 Euro pro Quadratmeter ausgegangen werden. Benötigt werden aber auch zahlreiche Wohnungen mit einem Mietpreis von 7 bis 8 Euro, teilweise auch drunter. Pronold sprach sich für Tilgungs- und auch Direktzuschüsse für BauherrInnen aus, für eine Zuschussfinanzierung statt für verbilligte Zinsfinanzierung.

„Wir Genossenschaften sind die Guten“

Von den insgesamt 20 Millionen Mietwohnungen bundesweit befinden sich rund 2 Millionen in genossenschaftlicher und 3 Millionen in kommunaler Hand., führte Dirk Lönnecker aus. Er ist Mitglied des Vorstandes der Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 e.G. Dieser Wohnraum ist preisgünstiger als der sich im privatem Eigentum oder im Besitz von börsennotierten renditeorientierten Unternehmen befindliche. Ein „neues Denken“ ist dringend von Nöten. Zur Lösung der hiesigen Herausforderungen ist es notwendig über die nationalen Grenzen zu schauen. In Großbritannien wurde die Sozialen Wohnraumförderung völlig eingestellt mit der Folge, dass nur noch MieterInnenmarkt von 20 Prozent - und extrem teuer – existiert. In Finnland hingegen werden genossenschaftliche Wohnungsbaumodelle unterstützt. Von Finnland könne viel gelernt werden. In Deutschland sollte über die Einführung eines genossenschaftlichen Mietrechts nachgedacht werden.

Eine lebendige Diskussion

In der Diskussion wird auf folgende Herausforderungen hingewiesen:

  • Die Regelungen hinsichtlich der „Bedarfsgemeinschaften“ führen zum Getrenntleben von Paaren.
  • Für diejenigen, die Menschen pflegen, ist die Wohnung auch häufig ein Arbeitsplatz.
  • Kommunale Grundstücke sollten ausschließlich in Erbpacht zur Verfügung gestellt werden.
  • Menschen mit  Behinderungen sind nicht immer alt, sondern befinden sich auch in anderen Lebensphasen: sie sind jung, sind Eltern mit Kinderzimmerbedarf, bei zwei E-Rollstühlen liege ein anderer barrierearmer bzw. barrierefreier Bedarf vor als bei erblindeten Menschen - auf diese lebensweltliche Vielfalt müsse die Wohnungspolitik Angebot machen.
  • Erkämpfte Standards des Umwelt- und Naturschutzes dürfen nicht einfach über Bord geworfen werden.
  • Viele Pflegebedürftigen schrecken vor der Inanspruchnahme von Mittel zur Verbesserung des Wohnraumes zurück, da sie für sich oder für ihre Angehörigen Rückbau-Forderungen des Vermieters befürchten. Bei den Genossenschaften ist es von Vorteil, weil sie die Bauarbeiten in der Regel selbst durchführen. Das erspart Kosten und führt in der Regel zu keiner Rückbau-Forderung.
  • Im Trend liegen die Wohngemeinschaften für pflegebedürftige SeniorInnen. Diese werden seitens der Pflegekassen auch gefördert. Hierfür ist Wohnraum bereit zu halten.
  • Immer mehr 50/60 Jährige schließen sich zu sozialen Gemeinschafen zusammen, stoßen bei der Suche nach geeigneten Wohnungen aber immer wieder auf mietrechtliche Schwierigkeiten. Hier muss nachgebessert werden. Wir brauchen einen neuen Rechtsrahmen für Wohnungs-Wohngemeinschaften.
  • Der drohenden Altersarmut unter SeniorInnen ist auch im Wohnungsbau entgegenzuwirken.
  • Jede Genossenschaft hat ein eigenes Profil.
  • Die derzeitige Umlagemöglichkeit von 11 Prozent der Kosten vom Vermieter auf die MieterInnen stellt häufig eine „Vertreibung“ dar. Heiko Maas ist bestrebt, diese Umlagemöglichkeit zu reduzieren.
  • „Gemeinsam statt einsam“ - es sind Wohnungsbaumodelle zu entwickeln, die der zunehmenden Vereinsamung entgegenwirken. Daher muss der Blick ein sozialräumlicher sein, der über die Einzelwohnung hinaus auf das gesamte Quartier gerichtet ist. Hinsichtlich der Förderung des Quartiersmanagement gibt es bei der KfW ein Förderprogramm
  • Die Vielfältigkeit des Wohnraumbedarfes ist auch Ausdruck zunehmender „gebrochener“ bzw. „unterbrochener“ Lebensläufe.

Die SPD wird sich insbesondere den Herausforderungen der Altersarmut zuwenden. Mit dem Programm der „Sozialen Stadt“ haben SozialdemokratInnen schon vieles im Hinblick auf ein funktionierendes Quartiersmanagement erreicht. Es bedarf noch vieler Best Practice-Beispiele. Die Differenzierung der Lebensstile muss sich auch in vielfältigen Wohnungsbaukonzepten wiederzufinden. In ihrem Schlusswort setzte sich Angelika Graf vehement für eine erneute Föderalismusreform ein.