Wofür steht Weihnachten? Für die Menschwerdung, für die Menschenfreundlichkeit Gottes, so erzählt es die Heilige Schrift der ChristInnen. Viele Menschen feiern mit ihrer Familie, Anverwandten und FreundInnen ein frohes Fest. Viele organisieren ein Weihnachtsfest auch für ihnen anvertraute Menschen - dafür muss Mensch nicht dem christlichen Glauben angehören. Sie alle zeigen Freundlichkeit und Nächstenliebe.
Den zweiten Weihnachtstag habe ich in der Notunterkunft Großbeerenstraße in Berlin-Mariendorf verbracht. Ich habe beim Essenausgeben geholfen und an einer von Sozialarbeiterinnen organisierten Weihnachtsfeier für die dort lebenden Kinder teilgenommen. Das spannungsvolle Warten der Kinder, ihre freudig-glänzenden Augen machen deutlich: Weihnachten ist ein Fest der gemeinsamen Wertschätzung, ist Ausdruck des Glaubens an das Gute in der Welt - ein gutes Gefühl.
Es ist schön, von dieser Menschenfreundlichkeit umfangen zu werden. Wir alle können diese Menschenfreundlichkeit auch selber in unsere Welt hinein tragen. Viele BürgerInnen überall in Deutschland haben dieses in diesem Jahr auch getan, als freiwillige HelferInnen, als Hauptamtliche in Behörden und Wohlfahrtsorganisationen, als BürgermeisterInnen vor Ort. Dafür danke ich sehr herzlich. Dank ihnen hat sich Deutschland im Ausland das Gesicht eines warmherzigen Landes erworben. Diese Wärme wird uns auch im Jahr 2016 zusammenhalten.
Sehen wir vor „lauter Flüchtlingen“ auch noch den einzelnen Menschen?
Jede einzelne der geflüchteten Frauen und Männer, der Kinder und Jugendlichen hat eine eigene Geschichte und eigene Hoffnungen. Davon konnte ich mich vor Weihnachten auch noch in zwei Gruppenbegegnungen überzeugen. Es ist mir ein Anliegen Begegnungen sowohl mit den in Deutschland heimischen Menschen als auch den Neuangekommenen zu schaffen. Es ist mir ein Anliegen, nicht nur über sondern auch mit den Menschen zu reden.
Geflüchtete zu Gast im Deutschen Bundestag
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zwischen 16 und 18 Jahren aus meinem Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg nahmen am 21. Dezember 2015 auf meine Einladung hin an einer Führung durch das Reichstagsgebäude teil. In Begleitung ihrer SozialarbeiterInnen Frau Dogan und Herr Schindler aus der JugendManufaktur des Diakonischen Werks in Tempelhof-Schöneberg führte uns Andre Meral vom Besucherdienst des Deutschen Bundestages sehr gekonnt und charmant durch dessen geschichtsträchtige Räumlichkeiten. Auf der Tribüne im Plenarsaal zu sitzen war für alle ein Riesenerlebnis.
Die Jugendlichen aus Syrien, Afghanistan, Somalia und dem Libanon waren sehr wissbegierig. Die in Englisch gehaltene Führung wurde in verschiedenen „Murmelgruppen“ jeweils ins Arabische und Kurdische übersetzt. Das große Interesse an den Wänden des Reichstagsgebäudes mit den Inschriften ehemaliger SowjetsoldatInnen rückte in den Hintergrund als Özlem Topuz, Mitarbeiterin im Wahlkreisbüro, zur Gruppe stieß. Das Erstaunen, dass eine Frau mit alevitisch-kurdischen Wurzeln für eine Abgeordnete des Deutschen Bundestag arbeitet, war groß. Mich hat es gefreut, dass so ganz lebendig erfahrbar wurde, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.
Der „Renner“ dieser und der zweiten Gruppe am 22. Dezember war der Besuch des SPD-Fraktionssaales. Hier hatten die BesucherInnen die Gelegenheit sich auf die Plätze der „Chiefs“ zu setzen - am begehrtesten war der Platz von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Gestellt wurden zahlreiche Fragen: Zu meiner großen Überraschung auch nach der „friedlichen Revolution“ in Deutschland, gemeint war die Wiedervereinigung.
Den Abschluss bildete ein gemeinsames Gruppenbild und der Besuch der Kuppel.
Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte
Die zweite Besuchergruppe kam aus dem Übergangswohnheim Marienfelde und lernte am 22. Dezember das Reichstagsgebäude kennen. Die Führung wurde auf Deutsch von Silvia Massenberg vom Besucherdienst des Deutschen Bundestages sehr kompetent durchgeführt.
Im Gespräch im SPD-Fraktionssaal stellte sich heraus, dass viele Gruppenmitglieder in Afghanistan in den Diensten der Deutschen Bundeswehr oder der Deutschen Polizei standen. Wegen dieser Zusammenarbeit ist ihr Leben und das ihrer Familien in Afghanistan nach dem Abzug der Truppen Ende 2014 gefährdet. Sie sind durch ein vorangegangenes Visumverfahren nach Deutschland gekommen und haben eine bewilligte Aufenthaltsdauer von drei Jahren. Unter ihnen herrscht eine große Verunsicherung hinsichtlich der Debatte der „sicheren Regionen“ in Afghanistan. Unsere Verantwortung für die HelferInnen in Afghanistan endet nicht mit dem Einsatz der Deutschen Kräfte vor Ort. Nun ist es an uns, diesen afghanischen Ortskräften dabei zu helfen, in Deutschland ein neues Leben aufzubauen. Ich habe versprochen, mich ihrer verstärkt anzunehmen.
Im Mai diesen Jahres hat sich das Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte mit Sitz in Potsdam gegründet. Die Bundeswehr und die Polizei haben Patenschaften für die bereits in Deutschland lebenden Afghanischen Ortskräfte ins Leben gerufen. Das Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte ist ein Zusammenschluss der PatInnen mit den Ortskräften selbst und agiert als ihr Dachverband. Aber auch jede interessierte und unterstützungswillige BürgerIn kann sich hier engagieren. Die Mitglieder des Vereins koordinieren und unterstützen Afghanische Ortskräfte bei der Wohnungssuche, der Arbeitssuche und der Integration in die neue Lebenssituation und beantworten auftretenden Fragen schnell und direkt.
Wir meistern Zukunft
Auch in 2016 wird die Herausforderung der Integration von Geflüchteten, die in unserem Land Schutz, Bleibe und Zukunft suchen, auf der gesellschaftlichen Agenda bleiben - und damit die Herausforderung an uns alle, Unterstützung zu geben. Unsere Gesellschaft und jede und jeder Einzelne hat also weiterhin die Chance zu zeigen, dass wir ein warmherziges Land sind. Ich bin sicher, wir meistern die damit verbundenen Herausforderungen.
In der gesellschaftlichen Debatte gilt es zu differenzieren zwischen einem Meinungsstreit, wie er in jeder Demokratie nun mal geführt wird, und dem geistigen Brandstiftertum. Bei letzterem wird zu Hass und Gewalt aufgerufen. Das ist kein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung! Diese Aufrufe verdienen die Verachtung aller anständigen BürgerInnen und vor allem Verfolgung durch unseren Rechtsstaat. Es liegt an uns BürgerInnen und PolitikerInnen, welches Gesicht wir unserer Demokratie geben. Ich weiß, auch Sie kämpfen für den sozialen Zusammenhalt: ein sozialer Zusammenhalt, der das Wohl der schon heimischen als auch der neuankommenden BürgerInnen im gemeinsamen Sinn hat.