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„Wohnzimmergespräch“ beim Verein gleich & gleich

Am 25. August 2016 war ich bei einem besonderen Wohnzimmergespräch: gleich&gleich e.V. hatte mich in ihre Geschäftsräume - in ihr „Wohnzimmer“ - in der Kulmer Str. 16, 10783 Berlin-Schöneberg eingeladen.

Wir alle wissen aufgrund unserer eigenen Persönlichkeitsentwicklung, wie irritierend die Entwicklung der eigenen Sexualität im Jugendalter sein kann. Wir wissen aber auch, wie bedeutsam diese Phase der Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsfindung für unseren Lebensverlauf ist.

Nicht selten sind immer noch einige junge Menschen, die ihre geschlechtliche und/oder sexuelle Identität jenseits der maßgeblich gesellschaftlich geprägten Mann-Frau-Beziehungs-Sozialisation entwickeln, in ihrem sozialen Umfeld mit Unverständnis und Ablehnungen bis hin zu Gewalt konfrontiert. Der Coming-Out-Prozess im Jugendalter gestaltet sich für diese junge Menschen oftmals so konfliktreich, dass Jugendliche das Elternhaus verlassen und in die Jugendobdachlosigkeit geraten.

Hier setzt der Verein gleich&gleich e.V seit seiner Gründung 1996 mit seinem bundesweit einzigartigen Angebot des betreuten Jugendwohnens für diese besondere Zielgruppe an. Er bietet den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich im Coming-Out-Prozess befinden - sich als queer, lesbisch, schwul, bisexuell, trans* oder inter* (lsbt*i) definieren - Unterstützung an auf dem Weg zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung. Grundlage der pädagogischen Haltung der Mitarbeiter*Innen ist ein politisches Selbstverständnis, welches sich kritisch mit sozialen gesellschaftlichen Ungleichheiten auseinandersetzt.

Neue Herausforderungen für gleich&gleich

Mit seinen Angeboten ist gleich&gleich e.V. integrierter Bestandteil der regionalen und überregionalen Jugendhilfelandschaft. Was heißt das?

Zunächst zur Erinnerung: Wir haben ein Kinder- und Jugendhilfegesetz, das Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII), welches bundesweit gilt. Die Leistungen und Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe richten sich an alle jungen Menschen unter 27 Jahren. Das sind: Kinder (bis 14 Jahre), Jugendliche (zwischen 14 bis 18 Jahren), Heranwachsende (zwischen 18 und 21 Jahren), junge Volljährige (zwischen 18 und unter 27 Jahren) sowie an deren Personensorgeberechtigte (in der Regel die Eltern, ggf. auch ein Vormund oder Pfleger). Die Leistungen werden von öffentlichen und freien Träger erbracht. Über die tatsächliche Leistungsausgestaltung und deren Finanzierung entscheiden die entsprechenden staatlichen Stellen, in der Regel die Jugendämter, in den einzelnen Bundesländern - die Leistungsausgestaltung und Finanzierung ist zwischen den Bundesländern nicht einheitlich.

Gerade weil gleich&gleich bundesweit einzigartig ist, schicken Jugendämter aus der ganzen Bundesrepublik Jugendliche in die betreuten Wohneinrichtungen in Berlin. Das bedeutet: Die MitarbeiterInnen von gleich&gleich müssen sich mit den verschiedenen landesrechtlichen Regelungen auseinandersetzen. Sie müssen den Jugendlichen auch erklären, warum nicht alle „das Gleiche“ bekommen - die Gewährung von Leistungen in den einzelnen Bundesländern ist unterschiedlich. Doch das ist mittlerweile das kleinere Problem.

Aufgrund der unterschiedlichen Finanzlagen in den Bundesländern ist auch die Handhabung der Gewährung von Jugendhilfe bei den über 18jährigen unterschiedlich. Berlin, als ein ärmeres Bundesland gewährt Jugendhilfe für über 18jährige Menschen immer seltener. Dies ist ein großes Problem, denn viele der jungen Menschen befinden sich in der Lebensphase - um die 18 Jahre – immer noch oder auch gerade erst in „einer großen Umbruchphase“. Das betrifft sowohl den Übergang von Schule zur beruflichen Bildung, aber auch den persönlichen Bereich.

Bei transidenten Menschen stimmt das Geschlecht, mit dem sie zur Welt gekommen sind, nicht mit dem gefühlten Geschlecht überein. Jungen, die Mädchen sind und Mädchen, die Jungen sind. Transidente Menschen fühlen sich im falschen Körper geboren. Viele merken dieses schon im frühesten Kindesalter, andere erst in der Pubertät oder auch noch später. Die Klärung der sexuellen Identität ist bei transidenten jungen Menschen in der Regel nicht punktgenau mit 18 Jahren abgeschlossen. Viele haben schon viele Diskriminierungserfahrungen hinter sich. Die Entwicklung ihrer sexuellen Identität beschäftigt sie sehr stark.

Genau zu diesem Zeitpunkt soll aber der Übergang von der Jugendhilfe zur Eingliederungshilfe erfolgen. Dies hat zur Konsequenz, dass die Jugendlichen aus den betreuten Wohngruppen ausziehen müssen. Der „Zwangsauszug“ in dieser persönlich kritischen Phase gefährdet jedoch den Erfolg der Jugendhilfe, gefährdet die bisherige Unterstützung aus der Jugendhilfe heraus. Stephan Pröpper, Geschäftsführer von gleich&gleich, betont: „Das ist eine Einsparung an der falschen Stelle.“. Seitens der Jugendhilfe sei Geld in die Entwicklung der jungen Menschen investiert worden. Dieser Prozess müsse auch bis zum Ende gegangen werden. Und dieses sei dann erreicht, wenn die Jugendlichen, die Heranwachsenden gefestigt in ein selbstständig geführtes Leben „geführt worden seien“, und keine weiteren (Wieder-)Eingliederungshilfen in Anspruch genommen werden müssten.

In Berlin gäbe es zudem nahezu keinen bezahlbaren Wohnraum für ihre Klientel. Deren Einkommen sei in der Regel noch ungesichert, es fehle häufig auch an Bürgen für den Abschluss eines eigenen Mietvertrages. Der Auszug aus den betreuten Wohnungen ist also kaum noch möglich, „Wir wollen die jungen Menschen ja auch nicht in die Obdachlosigkeit entlassen.“.

Über viele Jahre hat gleich&gleich für ihre über 18jährigen BewohnerInnen Eingliederungshilfe mittels Einzelvereinbarungen beantragt, um den über 18jährigen weitere Hilfe in ein eigenständiges Leben zu ermöglichen. Die Bezirke in Berlin sind jedoch kaum noch bereit diese Einzelvereinbarungen einzugehen. Als Jugendhilfeträger ist gleich&gleich auch nicht in der Steuerungsrunde zum Hilfeplan der Eingliederungshilfe vertreten, so dass sie den Hilfebedarf für „ihre“ jungen Menschen nicht vortragen können.

In den Jugendamtsverwaltungen gibt es viele engagierte MitarbeiterInnen. Diese seien aber arbeitsüberlastet und könnten so den KollegInnen der Eingliederungshilfe, die ungeschult in Fragen der sozialen Integration der queeren Jugendlichen sind, auch nicht zur Seite stehen. Die Folge sei häufig: Die Jugendlichen müssen sich beim Sozial-psychiatrischen Dienst einfinden und bekämen dort häufig die Diagnose Entwicklungsverzögerung.

Was tun?

gleich&gleich e.V. hat mir von ihren täglichen Herausforderungen erzählt, damit wir gemeinsam nach MitstreiterInnen suchen, um tragbare Lösungen für die jungen Menschen zu finden. gleich&gleich ist bereit, den Weg der Zulassung als überregionaler Träger der Eingliederungshilfe zu gehen. Im Interesse der jungen Menschen und ihrer gefestigten Identitätsentwicklung bin ich gerne bereit hier weitere Unterstützung zu geben. Im Erleben dieser mag es unerheblich sein, ob die Finanzierung aus der Jugend- oder der Eingliederungshilfe erfolgt – ist für viele sowieso zusammengefasst „die Verwaltung“. Für den Träger gleich&gleich ist die Differenzierung zur Erfüllung des satzungsgemäßen Auftrages aber entscheidend.