Ein Bericht von Helena Weber, Freiwilliges Soziales Jahr in der Politik
Das Berliner Reichstagsgebäude gilt als eine der größten BesucherInnenattraktionen Deutschlands. Mit seinen bis jetzt fast 40 Millionen BesucherInnen ist er vergleichbar mit dem Kölner Dom und Schloss Neuschwanstein. So lädt Mechthild Rawert regelmäßig Bürgerinnen und Bürger aus dem Wahlkreis Tempelhof- Schöneberg zu Kunst- und Architekturführungen im Reichstagsgebäude ein. Dass das Gebäude in seiner äußerlich beinahe unveränderten Form zu einer so großen Attraktion werden konnte, war jedoch alles andere als selbstverständlich. Denn nach dem zweiten Weltkrieg wurde intensiv darüber diskutiert, das durch den Krieg stark zerstörte Gebäude abzureißen. Während des Krieges trafen etwa eine Million Geschosse das ursprünglich zwischen 1884 und 1894 von dem Architekten Paul Wallot erbaute Reichstagsgebäude. Erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands beschloss der Deutsche Bundestag mit einer knappen Mehrheit seinen Sitz von Bonn nach Berlin in das Reichstagsgebäude zu verlegen. Mit dem Umbau wurde der britische Architekt Norman Foster betraut, der beschloss die Außenmauern des Gebäudes zu erhalten und nur das Innere zu verändern. Foster plante die 1954 gesprengte Kuppel durch ein gläsernes Flachdach zu ersetzen, fand dabei im Bundestag, wo man befürchtete, der Reichstag würde anschließend das Aussehen einer riesigen Tankstelle haben, aber wenig Unterstützung - gewollt wurde eine Kuppel. So errichtete er schließlich doch eine Kuppel, die dem Prinzip des restlichen Gebäudes entsprach: ästhetisch, funktional und ökologisch.
„Das gesprochene Wort stützt ein Parlament.“
Doch nicht nur die imposante äußere Erscheinung des Gebäudes ist beeindruckend. Wer durch das Innere des Reichstags geführt wird, entdeckt zahlreiche Kunstwerke von KünstlerInnen aus Deutschland (Ost und West) sowie der Alliierten, dem Vereinigten Königreich, der Sowjetunion, den Vereinigte Staaten von Amerika und Frankreich. In der nördlichen Eingangshalle beispielsweise reicht eine, von der US-Amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer entworfene, stählerne Stele vom Boden bis zur hohen Decke, auf der in Form von digitalen Leuchtschriftbändern Reden von Bundestagsabgeordneten aus der Zeit von 1871 bis 1999 von unten nach oben laufen. Wie die Referentin der Führung erklärte, wählte die Künstlerin über 440 Reden aus, die fast ununterbrochen ablaufen und die auch von draußen bewundert werden können. Auf dem Weg durch das Reichstagsgebäude blitzt diese Säule immer wieder auf, steht man jedoch zu nah dran, wird es für das Auge unmöglich, einzelne Worte zu erkennen. Das einzige, was zu sehen sind, sind Pixel. Wer jedoch im richtigen Abstand davor steht, dann wirkt es, als stützten die Worte das Parlament, das Haus der politischen Reden.
„Das Archiv der deutschen Abgeordneten“
Im Untergeschoss sehen die BesucherInnen die insgesamt 4800 Blechkästen mit den Namen jeder bzw. jedes von 1919 bis 1999 demokratisch gewählten Abgeordneten. Diese wurden vom französischen Künstler Christian Boltanski übereinandergestapelt, reichen bis an die Decke und bilden einen schmalen Gang. Unterbrochen werden sie nur von einem schwarzen Kasten der symbolisch für die Zeit zwischen 1933 bis 1945 steht, in der es keinen bzw. keine demokratisch gewählte Abgeordnete gab. Einige der Kästen sind mit einem schwarzen Streifen versehen, auf dem „Opfer des Nationalsozialismus“ geschrieben steht. Auf diese Weise gedenkt Boltanski einerseits der Opfer der NS-Zeit und stellt andererseits die Geschichte des deutschen Bundestages dar.
Die Würde des Reichstags ist unantastbar.
Auf der Präsidialebene ist eine Ausstellung des Künstlerpaares Christo und Jeanne-Claude zu sehen, die im Juli 1995 das Reichstagsgebäude mit sage und schreibe 100.000 m2 Stoff und über 70.000 km Garn verhüllten. Doch bevor es zur Realisierung dieses Projektes kam, gab es heftige Debatten im Bundestag. Es wurde sogar von einigen behauptet, die Verhüllung des Reichstags würde die Würde des Gebäudes verletzen. Nach über 300 Einzelgesprächen mit Abgeordneten des Deutschen Bundestages wurde das Projekt von Christo schließlich mit knapper Mehrheit genehmigt. Die Abgeordneten, die gegen die Verhüllung stimmten, irrten sich jedoch: Das Projekt zog etwa 5 Millionen Besucherinnen und Besucher zum Platz der Republik. Das Modell des verhüllten Reichstages, mit dem damals für das Projekt geworben wurde, die Skizzen und Bilder von Christo sowie zahlreiche wunderbare Fotographien lassen die Stimmung von 1995 wiederaufleben.
Nach dem Rundgang führte Mechthild Rawert die BesucherInnen hinauf auf die Fraktionsebene. Im SPD-Fraktionssaal bestand die Möglichkeit zu politischen Gesprächen. Unter anderem berichtete Mechthild Rawert noch von einer jüngst in Paris stattfindenden Sitzung des Ausschuss für Gleichstellung und Nicht-Diskriminierung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Anschließend gingen die Gäste noch auf die Dachterrasse und auf die Reichstagskuppel. Das Interesse als auch die Begeisterung der BesucherInnen über diese Führung war groß - also alles in allem ein gelungenes Angebot zum Dialog mit BürgerInnen aus Tempelhof-Schöneberg.