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Das soziale Europa stärken: Arbeitnehmer*innen müssen ihre Ansprüche behalten können

Die soziale Dimension der Europäischen Union muss gestärkt werden. Dafür hatte sich die SPD im Europawahlkampf 2014 stark gemacht. Gestritten wird aber über die Konzepte und Wege zu einem sozialen Europa. Die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. (GVG) organisierte am 8. Dezember 2016 ein Forum zum Thema „Eine europäische Säule sozialer Rechte – Konzepte und Wege zu einem starken sozialen Europa“. Debattiert wurden Perspektiven und Positionierungen anhand des Entwurfs der Europäischen Kommission für eine europäische Säule sozialer Rechte. Damit greift die GVG ein Thema auf, welches Sozialdemokrat*innen in ganz Europa stark bewegt. Wir wollen sicherstellen, dass Arbeitnehmer*innen ihre Ansprüche auf Sozialleistungen behalten, wenn sie von einem europäischen Land in ein anderes ziehen. Gleichbehandlung und Nicht-Diskriminierung müssen dabei die Messlatte bei der Koordinierung der Sozialversicherungssysteme sein.

Sozialdemokratische Europaparlamentarier*innen drängen zur besseren Koordinierung der Sozialversicherungssysteme

Es ist längst überfällig, die Sozialversicherungssysteme in Europa besser zu koordinieren. Daher begrüße ich die Vorlage eines ersten vorläufigen Entwurfs zu einer europäischen Säule sozialer Rechte durch die Europäische Kommission am 8. März 2016, dessen öffentliche Konsultation noch bis zum 31. Dezember 2016 läuft. Die Europäische Kommission und Präsident Claude Juncker sind überzeugt, mit dem „Pillar of Social rights“ die Antwort und Lösung auf Europas soziale Probleme gefunden zu haben. Diese Einschätzung ist meines Erachtens weit übertrieben, aber die europäische Säule sozialer Rechte kann ein wesentlicher Baustein sein – der aber noch in die parlamentarische Beratung muss. Auch im Europaparlament gilt selbstverständlich das Strucksche Gesetz.

Angemessener und nachhaltiger Sozialschutz" - Brauchen wir eine europäische Säule sozialer Rechte?

Im Forum I "Angemessener und nachhaltiger Sozialschutz" - Brauchen wir eine europäische Säule sozialer Rechte?“, in dem unter der Moderation von Sven Astheimer, FAZ, als Podiumsteilnehmer*innen neben mir auch Andreas Storm, Vorsitzender, GVG-Ausschuss Gesundheit und Pflege, Gundula Roßbach, Vorsitzende, GVG-Ausschuss Alterssicherung, Ilka Wölfle, Direktorin, Deutsche Sozialversicherung Europavertretung und ich diskutierten, war ich die Einzige, die für die europäische Säule sozialer Rechte ausgesprochen hat.

Das ein hohes Sozialschutzniveau und der Abbau sozialer und gesundheitlicher Ungleichheiten in allen Mitgliedstaaten angestrebt wird, wird zwar begrüßt, da dieses Grundlage des langfristigen und politischen Zusammenhalts der Europäischen Union ist. Der freiwillige Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten sei aber völlig ausreichend um beispielsweise angesichts gemeinsamer Herausforderungen Regelungsbedarfe im Hinblick auf moderne Pflege- und Gesundheitswesen zu klären. Außerdem wird befürchtet, dass sich die sozialversicherungsrechtlichen Standards in Deutschland senken würden. Zu berücksichtigen sei auch, dass das System der Selbstverwaltung nur in Deutschland existiere.

Europa braucht eine starke soziale Säule

Warum bin ich für die Ausgestaltung der europäischen Säule sozialer Rechte? Mir ist bewusst, dass die konkrete Umsetzung angesichts der sehr unterschiedlichen Sozialsysteme in der EU umstritten und schwierig ist. Wir Sozialdemokrat*innen in Deutschland wollen ein Soziales Europa und höhere Standards, wollen Sozialdumping und ein Absenken von Sozialstandards vermeiden. Ich unterstütze nach wie vor die Aussagen unseres SPD-Wahlprogramm für die Europawahl 2014:

  • Sozialstaatlichkeit als Prinzip: Der Sozialstaat ist bewährte Tradition in Europa. Aber wir wollen, dass die EU die Sozialstaatlichkeit in den Mitgliedsstaaten respektiert und sie nicht rein marktwirtschaftlichen Interessen unterwirft oder im Zuge der Krisenpolitik massiv aushöhlt. Wer wirtschaftliche Prosperität und soziale Teilhabe gegeneinander ausspielt, verkennt, dass beide keine Gegensätze sind, sondern sich bedingen und stärken. Auch wollen wir soziale Mindeststandards europäisch vereinbaren, um europaweit ein möglichst hohes soziales Schutzniveau zu erreichen.
  • Perspektivisch wollen wir gemeinsame europäische Ziele für nationale Sozial- und Bildungsausgaben gemessen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der EU-Staaten vereinbaren. So werden die Kompetenzen der Mitgliedstaaten in diesen Bereichen gewahrt, zugleich aber gemeinsame Fortschritte bei der Bildung und sozialen Sicherung in Europa ermöglicht.

Damit Europa und die Europäische Union auch in Zukunft das einzigartige Demokratie- und Friedensprojekt bleibt, müssen wir die Solidarität, müssen wir das soziale Europa stärken – eine wahrlich nicht einfache Aufgabe angesichts von Wirtschafts- und Finanzkrise, Griechenlandkrise, Flüchtlingskrise, BREXIT-Krise. Das Vertrauen in die Lösungskompetenz von Europa sinkt. In den vergangenen Jahren hat die EU zu wenig gegen die steigende Ungleichheit in Europa getan. Für viele Menschen ist das „Soziale Europa“ nicht wahrnehmbar. Dabei ist Europa auch eine Solidar- und Sozialgemeinschaft.

Soziale Rechte werden zunehmend als Belastung und Wettbewerbshindernis dargestellt - mit dieser neoliberale Einschätzung muss überzeugend Schluss gemacht werden: Wir müssen die soziale Dimension stärken, um  die  Unterstützung der europäischen Bürger*innen zurückzugewinnen. Dafür muss der Mensch vor den Markt gestellt werden. Fakt ist doch: Europa kann weltweit nicht um die billigsten Arbeitskräfte konkurrieren. Wir müssen die weltweiten Märkte mit bester Qualität überzeugen. Dabei sind soziale Angelegenheiten keineswegs als Anhängsel des Binnenmarkts darzustellen. Vielmehr müssen wir auf eine Sozialunion hinarbeiten, die auf hohen gemeinsamen Standards basiert und die nationalen Sozialstaaten bei der Anpassung ihrer Sozialpolitik auf nationaler Ebene unterstützt und anleitet.

Der Vorschlag der Kommission ist sehr vage. Die Kommission will mit ihrer öffentlichen Konsultation erstmal zusammentragen, was es in Europa bereits an Sozialgesetzgebung gibt und dann daraus einen Referenzrahmen für europäische Sozialpolitik machen. Für mich ist klar: ein Rahmen reicht nicht! Ich will, dass die Säule auch eine Säule ist; also ein tragendes Element. Sie muss die europäische Gesellschaft stützen können. Das europäische Sozialmodell bedarf einer Überarbeitung, so dass es eine Verlässlichkeit für alle EuropäerInnen bietet.

Ein Beispiel: Damit Arbeitnehmer*innen ihre Ansprüche auf Sozialleistungen auch bei einem Wechsel in ein anderes europäisches Land behalten können, wollen sozialdemokratische Europaparlamentarier*innen unter anderem ein verbindliches Recht der Arbeitnehmer*innen, ihre aus Erwerbsarbeit in Europa erwachsenen sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche, in jedem EU-Land abrufen zu können. Dabei ist der Vorschlag der EU-Kommission zwar hilfreich, er greift für ein neues und verbessertes Koordinierungssystem aber noch zu kurz. Es muss sichergestellt werden, dass eine Arbeitnehmer*in, die in ein anderes Land zieht, den gleichen Regeln zum Erwerb von Sozialleistungen unterliegt, wie alle anderen dort lebenden Menschen. Im Zuge einer digitalisierten Arbeitswelt wird die Koordinierung der Sozialleistungen immer wichtiger, da für noch mehr Menschen Arbeit nicht mehr an europäischen Grenzen Halt macht. Es sind europäische Regelungen notwendig, um den Missbrauch von Sozialsystemen zu unterbinden. Bei der Überarbeitung des Kommissionsvorschlages muss weiterhin die Pflicht, Sozialleistungen zu erbringen, das Land tragen, in dem die Arbeitnehmer*innen die Ansprüche erworben hat.

Ich kämpfe beispielsweise für eine klare Liste von sozialen Standards, die für alle Arten von Beschäftigung gelten, kämpfe für eine Neudefinition des Arbeitnehmer*innenbegriffs und die Umsetzung des Prinzips "gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit", kämpfe gegen Abeitslosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung, kämpfe für existenzsichernde Löhne und Mindesteinkommen. Damit die europäischen Sozialsysteme inklusiv und nachhaltig gestaltet werden, muss die Bekämpfung von prekärer Beschäftigung eine zentrale Rolle spielen, ebenso auch Bildung, Fort- und Weiterbildung sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie/Pflege.

Machen wir uns gemeinsam für eine soziale Säule stark, die die europäische Gesellschaft stützt und dem Sozialen Europa eine Zukunft gibt!