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„Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt und Apotheker“ - Besuch in der Friedenauer Lauter-Apotheke

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Versandhandel von Medikamenten schlägt Wellen bis nach Berlin. Der EUGH hatte sich in seinem Urteil vom 19. Oktober 2016 mit der Festsetzung einheitlicher Apothekenabgabepreise für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel im deutschen Recht befasst. Gekippt wurde die in Deutschland geltende Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneien für Versandapotheken mit Sitz im Ausland. Damit wird die in Deutschland geltende Arzneimittelpreisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel faktisch außer Kraft gesetzt. Für die deutschen Apotheken - auch die in Deutschland ansässigen Versandapotheken - gilt dagegen die Arzneimittelpreisverordnung und damit die Preisbindung weiter wie bisher.

Um ihre Sorgen über die Auswirkungen des Urteils mitzuteilen, bat die Apothekerin Anna Katharina Fredrich die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kolat zu einem Besuch in der Friedenauer Lauter-Apotheke.

Der Bitte von Senatorin Kolat, als Mitglied des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages ebenfalls an diesem Gespräch teilzunehmen, bin ich sehr gerne nachgekommen. Ich bedanke mich für eine lebhafte Diskussion am 4. Januar 2017 mit Anna Katharina Fredrich, Apothekerin und seit 2009 Apothekeninhaberin, ihrem Vater Hans-Ulrich Fredrich, Apotheker und Apothekengründer, sowie Dr. Rainer Bienfait, Vorsitzender des Berliner Apotheker-Vereins Apotheker-Verband Berlin (BAV) e.V.

Versandhandel von verschreibungspflichtigen Medikamenten in der EU

Seit dem 1. Januar 2004 gehört Deutschland neben Dänemark, Estland, Finnland, den Niederlanden, Schweden und Großbritannien zu den sieben Ländern der Europäischen Union (EU), welche den Versandhandel von verschreibungspflichtigen und rezeptfreien Medikamenten erlauben. Bezüglich des Verbraucherschutzes und der Arzneimittelsicherheit gelten für Apotheken mit Versanderlaubnis die gleichen Maßstäbe wie für Apotheken "vor Ort". Ausländische Versandapotheken, die Arzneimittel nach Deutschland versenden, haben gleichwertige Standards zu erfüllen wie deutsche Apotheken und müssen eine kompetente Beratung in deutscher Sprache gewährleisten, so das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Website.

Der deutsche Rechtsrahmen, zu dem unter anderem die Einhaltung der Preisbindung der Arzneimittelpreisverordnung gehört, ist dabei für alle gleich.

Mit dem EuGH-Urteil wird europäischen Apotheken, wie z.B. Doc Morris oder der Europa Apotheek Venlo, nun ermöglicht, Preisnachlässe auf verschreibungspflichtige Arzneimittel zu gewähren, da sonst, so die Argumentation der Richter, die Regelung eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs sei.

Während somit für ausländische Apotheken die deutsche Arzneimittelpreisverordnung nicht gilt, ist sie jedoch für die deutschen Apotheken weiterhin verbindlich. Diese dürfen nach wie vor keine Rabatte oder Boni gewähren. Sollten sie es dennoch tun, drohen ihnen Konsequenzen. Vom Boni-Programm profitieren im Augenblick nur die Patient*innen bzw. Kund*innen, also weder die Kassen noch die Solidargemeinschaft.

Besuch in der Friedenauer Lauter-Apotheke

Die Lauter-Apotheke ist als familiengeführtes Unternehmen bereits seit 40 Jahren in Friedenau ansässig - als Friedenauerin freue ich mich darüber.

Unser Besuch startete mit einem Gang durch die Räumlichkeiten: 6.000 verschiedene und gut sortierte Artikel liegen in der Apotheke für ihre Kund*innen bereit. Zum Aufgabenprofil von Apotheker*innen gehört mehr als die Abgabe der Medikamente oder der mittlerweile breit gestreute Verkauf nicht verschreibungspflichtiger Artikel. In der sogenannten Rezeptur werden auch Salben und Kapseln direkt vor Ort selbst hergestellt. Dies wurde uns am Beispiel der richtigen Dosierungen für Lariam-Kapseln gegen Malaria für Säuglinge, die es so gar nicht auf dem Markt gibt, oder aber auch im Hinblick auf Patient*innen, bei denen Unverträglichkeiten bzgl. Konservierungsstoffen, Laktose oder anderen Füllstoffen vorliegen, erläutert. Das Verfahren sei recht zeitaufwändig, berichteten Frau und Herr Fredrich, unter anderem auch, da häufig mit den Ärzt*innen Rücksprache über die Rezeptur gehalten werden muss. Im hauseigenen Labor müssen die Ausgangsstoffe auch erst überprüft werden, bevor mit der Herstellung des individuell auf die Belange der Kund*innen abgestimmten Medikaments begonnen werden könne. Im Keller der Apotheke, war noch klar erkennbar, dass es sich bei dem Gebäude um ein ehemaliges Bankgebäude handelt - für mich noch ein interessanter Einblick in unsere Kiezgeschichte.

Im konstruktiven und lebhaften Gespräch wurde auch die Bedeutung der Apotheken diskutiert:

  • für eine gerechte Arzneimittelversorgung vor Ort, Tag und Nacht,
  • als eigentümergeführte, mittelständische Unternehmen und damit als nicht zu unterschätzender regionaler Wirtschaftsfaktor,
  • als niedrigschwelliger Ansprechpartner in allen Gesundheitsfragen
  • als Beschäftigungsort mit familienfreundlichen und flexiblen Arbeitszeiten, die Frauenquote unter den Beschäftigten liegt bei 85 Prozent.

Hauptthema war aber das EuGH-Urteil und der Umgang damit in Deutschland.

Um als inländische, öffentliche Apotheke auch einen Versandhandel zu betreiben, benötigen Apotheker*innen eine Erlaubnis des zuständigen Bundeslandes. Voraussetzung für die Genehmigung ist, dass der Versandhandel zusätzlich zu einem konventionellen Apothekenbetrieb erfolgt, d.h. es gelten die gleichen Vorschriften zum Verbraucher*innenschutz und zur Arzneimittelsicherheit. Diese Möglichkeit wird auch von deutschen Apotheken genutzt. Auf Bundes- und Länderebene agiert der Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA) als Interessenvertreter und Dienstleister der zugelassenen, deutschen Versandapotheken.

Auch der Versandhandel aus dem Ausland unterliegt dem Arzneimittelgesetz Deutschlands, so muss z.B. der Beipackzettel in deutscher Sprache vorliegen, die Beratung kompetent und ebenfalls deutschsprachig erfolgen. Es dürfen zudem nur Medikamente versendet werden, die in Deutschland zugelassen sind.

Laut Dr. Rainer Bienfait haben in Berlin im Jahre 2016 von den rund 850 Apotheken 25 geschlossen, nur vier neue Apotheken haben neu eröffnet. Dieses Ungleichgewicht sei einer der Gründe, weshalb die Preisbindung in Deutschland erhalten bleiben müsse. Für den Versandhandel aus dem Ausland fehlten die Steuerungselemente. Seiner Ansicht nach wäre sogar ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten für ausländische und inländische Apotheken gleichermaßen von Nöten.

Die drei Apotheker*innen erklärten, dass gerade die Beratung, die „nebenbei“ geschehe, beim Versandhandel nicht möglich wäre. Kund*innen würden gerade erst vor Ort darüber aufgeklärt, ob die zeitgleiche Einnahme von Medikamenten - oftmals auch der nicht verschreibungspflichtigen - wirklich sinnvoll sind. Auf diese Weise erfolge eine höhere Medikamentensicherheit, ja würden auch Beeinträchtigungen bzw. Folgeerkrankungen durch fälschliche Einnahme von Medikamenten bereits im Vorfeld erkannt und verhindert. 

Als Gesundheitssenatorin betonte Dilek Kolat (SPD) die Bedeutung der Apotheken in der lokalen Infrastruktur zur gesundheitlichen Versorgung. Laut Berliner Koalitionsvertrag sollen zahlreiche Präventionskampagnen gestartet werden, in denen die Apotheken durchaus auch wichtige Akteur*innen seien. Auch ich bin der Meinung, dass Apotheken einen wichtigen Teil unseres Gesundheitssystems darstellen, da sie flächendeckend und rund um die Uhr eine Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln ermöglichen. Die Frage ist, ob die Zukunftsfestigkeit aber alleine mit den Apotheken vor Ort, bundesweit sicherzustellen ist.

Ein vollständiges Verbot des Versandhandels geht an Bedarfen der Bevölkerung vorbei

Sowohl Frau und Herr Fredrich als auch Dr. Rainer Bienfait unterstützen den durchaus als Gegenschlag zum EuGH-Urteil zu verstehenden Referentenentwurf von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Dieser hat am 12. Dezember 2016 den Referentenentwurf für ein Gesetz zum Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln vorgelegt, der Änderungen am Arzneimittel-, Apotheken- und Betäubungsmittelgesetz sowie an der Apothekenbetriebsordnung vorsieht. Erlaubt sein sollen nur noch die Botendienste der Apotheken, d.h. das Apothekenpersonal liefert die verschreibungspflichtigen Medikamente selbst aus. Der Entwurf wurde auch an das Bundeskanzleramt zur Frühkoordinierung mit den beteiligten Ressorts verschickt. Gleichzeitig hat der Bundesminister die Koalitionsfraktionen informiert, mit der Bitte, eine Meinungsbildung zu dem Gesetzentwurf herzustellen.   

Kritik am Referentenentwurf ist bereits vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gekommen.  Im 21. Jahrhundert eine ganze Branche per Gesetz vom Online-Versandhandel ausschließen zu wollen, erscheint nicht mehr zeitgemäß. Gerade der Versandhandel könne dazu beitragen, dass die Versorgung von Patient*innen, die schon heute auf dem Land längere Anfahrtswege zu Apotheken hätten, verbessert werde. Auch die AG Gesundheit und auch die Spitze der SPD-Bundestagsfraktion hat sich klar gegen ein Verbot ausgesprochen.

Noch ist völlig unklar, ob der vorgelegte Referentenentwurf im Deutschen Bundestag in dieser Legislaturperiode überhaupt noch beraten und abschließend beschlossen wird. Es gibt erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, ein seit 2004 bestehendes Recht einzuschränken, weil dies in die vom Grundgesetz geschützte Berufsausübungsfreiheit eingreift. Außerdem muss ein Versandhandelsverbot der EU-Kommission zur Notifizierung vorgelegt werden.

Unterschriftenaktion der Apotheken

Die Spitzenorganisation aller Apotheker*innen ABDA (Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V.) startete am 20. Dezember 2016 eine nationale Unterschriftenkampagne mit dem Ziel, den Versandhandel auf nicht verschreibungspflichtige Medikamente zu begrenzen. Schon im Vorfeld stieß diese Unterschriftenaktion in den Koalitionsfraktionen CSU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag auf scharfe Kritik, da sie nicht zu einer faktenbasierten Debatte führe, sondern populistisch Ängste schüre und eine antieuropäische Stimmung verbreite. Für das Hauptargument, die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung durch Präsenzapotheken sei gefährdet, weil der Wettbewerb mit dem Versandhandel die Apotheken vor Ort in ihrer Existenz bedrohe, werden keine Belege geliefert. Im Übrigen hatte der EuGH exakt diese Argumentation in seiner Urteilsbegründung verworfen. Auch in den sechs anderen EU-Ländern, die den Versand von verschreibungspflichtigen Medikamenten erlauben, war und ist kein „Apothekensterben“ zu verzeichnen. In Deutschland beträgt der Anteil des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Medikamenten zudem immer noch weniger als 0,5 Prozent am Gesamtumsatz mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln.

SPD-Bundestagsfraktion: Wir unterstützen sowohl unsere Apotheken vor Ort als auch den Versandhandel

Ich kann einige der Sorgen der Apotheker*innen nach dem EuGH-Urteil teilweise nachvollziehen und nehme diese auch ernst. Dennoch halte ich aber sowohl den vorgelegten Referentenentwurf als auch diese Form der Unterschriftenaktion nicht für geeignet, die künftigen Herausforderungen zur Sicherstellung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu gewährleisten. Eine besondere Rolle nimmt dabei die zunehmende Zahl der chronisch Kranken ein - eine attraktive Kund*innengruppe sowohl für die europäischen Versandapotheken als auch die öffentlichen Apotheken in Deutschland mit und ohne Versandhandel.

Die SPD-Bundestagsfraktion wird die inhabergeführte Apotheke vor Ort stärken. Ein Apothekensterben werden wir nicht zulassen. Wir wollen die Apotheken unterstützen, bei den wichtigen Aufgaben, die sie z.B. bei der Beratung vor Ort aber auch im Notdienst haben. Dazu prüfen wir derzeit alle verfügbaren Handlungsoptionen. Denkbar ist z.B. ein Verbot oder die Einschränkung von Bonuszahlungen, um einen nicht gewollten Preiswettbewerb, den insbesondere umsatzschwächere Landapotheken nicht überstehen könnten, zu verhindern. Aber auch andere Möglichkeiten werden diskutiert. Derzeit ist aber noch nicht entschieden, welcher Weg der richtige ist.

Wir müssen aber auch die Situation der chronisch Kranken, der Älteren und der multimorbiden Patient*innen im Blick haben. Insbesondere die Menschen, die auf dem Land leben, wo es weite Wege zur nächsten Ärzt*in und zur nächsten Apotheke gibt, wollen auf die Möglichkeit des Versandhandels nicht mehr verzichten. In Zukunft werden schwierige Versorgungssituationen in strukturschwachen Regionen eher zunehmen. Dort, wo es keine Ärzt*innen mehr gibt, kann sich auch eine Apotheke nicht mehr halten.

Die Arzneimittelversorgung in Deutschland wird gestärkt

Zur Sicherstellung einer guten Gesundheitsversorgung in Deutschland ist eine flächendeckende, innovative, sichere und bezahlbare Arzneimittelversorgung ein Muss. Dem stellt sich die SPD-Bundestagsfraktion.

Es ist insbesondere der Berichterstatterin für Apotheken der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Sabine Dittmar, zu verdanken, dass in dem bereits am 10. November 2016 in 1. Lesung in die parlamentarischen Beratungen des Deutschen Bundestages eingebrachten „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV (GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz - AMVSG)“ (Drucksache 18/10208), wesentliche Verbesserungen auch für die Apotheker*innen enthalten sind. Sie hat sich - unterstützt von allen SPD-Gesundheitspolitiker*innen - sehr dafür eingesetzt, dass die Apotheker*innenhonorare

  • für die Rezepturherstellung und die Abgabe von Betäubungsmitteln,
  • sowie für besonders aufwendige Aufklärung und Beratung der Patient*innen, speziell chronisch Kranke, zu ihren Arzneimitteln
  • sowie für die Notdienste

um weitere 110 Mio. Euro pro Jahr erhöht werden sollen. Für diese Aufgaben sehen wir einen großen und wachsenden Bedarf in der Bevölkerung und einen hohen Nutzen für die Apotheken.

Es besteht derzeit kein Anlass zu überhasteten Schnellschüssen. Die SPD wird deshalb in Ruhe - aber unter Würdigung aller berechtigten Interessen - entscheiden, wie wir auf das EuGH-Urteil reagieren.