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Freude erleben - trotz Alzheimer

Geschichten über Menschen, die in den Supermarkt gehen, sich fünf Gänse kaufen und auf Nachfrage vollkommen überzeugt behaupten, sie bräuchten so viele. Geschichten über Menschen, die sich in der Umkleidekabine Sachen von anderen anziehen, weil sie überzeugt davon sind, dass es ihre eigenen sind. Geschichten über Männer, die ihre Frauen beim Abwasch verdutzt fragen, warum sie denn schon wieder arbeiten würden und dass das ja Ausbeutung sei. Lustige Geschichten, eigentlich. Doch der Hintergrund zu diesen Geschichten ist alles andere als zum Lachen, denn die Protagonist*innen dieser Geschichten sind an Alzheimer erkrankt.

Schätzungsweise sind in Deutschland etwa 1,2 Millionen Menschen an Alzheimer erkrankt und die Tendenz steigt nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels an. Damit macht die Alzheimer-Krankheit die große Mehrheit der 1,6 Millionen Demenzerkrankungen aus. Der überwiegende Teil der Erkrankten ist älter als 65 Jahre. Etwa 70 Prozent aller an Demenz Erkrankten werden zu Hause durch Angehörige gepflegt. Durch die wachsende Zahl demenziell Erkrankter werden die Herausforderungen ihrer gesellschaftlichen Teilhabe, aber auch der ihrer Angehörigen in Zukunft noch zunehmen.

Der Umgang mit Demenz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe

„Freude erleben trotz Alzheimer“, sowohl für die Betroffenen als auch für deren Angehörige, das ist das Motto der Alzheimer Angehörigen-Initiative, die sich regelmäßig im Nachbarschaftsheim Mittelhof e.V. in Zehlendorf treffen, deren Gast ich am 30. Januar 2017 gewesen bin. Benedikt Backhaus vom „Dialogforum Demenz“ war ebenfalls zu Besuch. Die Initiative feiert in diesem Jahr ihr bereits zwanzig-jähriges Bestehen. Zweimal monatlich treffen sich die Angehörigen der demenziell Erkrankten hier, erläutert Frau Rosemarie Drenhaus-Wagner. Hier könnten sie sich miteinander über ihre Probleme, Sorgen und Erfahrungen austauschen, ohne, dass jemand genervt die Augen verdreht. Die Verwandten können zu diesen Treffen mitgebracht werden und werden da von geschulten Mitarbeiter*innen betreut. Die Initiative hat es sich zum Ziel gesetzt, die Lebensqualität als pflegender Angehöriger und die des von ihnen betreuten oder gepflegten, an Alzheimer Erkrankten, zu verbessern.

Lange Zeit war das Thema Demenz ein Tabuthema und auch heute noch wird oft sehr ungerne darüber geredet. Zwar wissen wir alle, dass wir immer älter werden, doch möchte niemand so gerne daran denken, dass mit dem zunehmendem Alter auch immer häufiger Krankheiten und Beeinträchtigungen einhergehen können.

Mittlerweile wurde bereits vieles getan, um den Umgang mit Demenz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen, beispielsweise durch das Gesetzpaket der neuen Pflegestärkungsgesetze I bis III. Darin wird unter anderem ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff festgeschrieben, der die kognitiven, psychischen und körperlichen Fähigkeiten beim Zugang zu Leistungen der Pflegeversicherung gleichstellt. Das Recht auf wertneutrale, unabhängige Beratung hat jede*r, leider wissen viel zu wenige Bürger*innen davon – hier muss noch eine intensive Informationsarbeit geleistet werden, damit mehr Menschen die Pflegeberatung auch in Anspruch nehmen. Das Informations- und Beratungsangebot in Berlin hat sich in den letzten Jahren verbessert, mittlerweile gibt es 35 Pflegestützpunkte. Ausgebaut werden muss jedoch noch die Kooperation zwischen den Kommunalen Leistungen und denen der Pflegeversicherung. Damit dieses besser klappt, werden demnächst 60 Modellprogramme bundesweit eingerichtet - drei davon in Berlin.

Neue Alter(n)sbilder braucht die Gesellschaft

Wir müssen noch lernen, was alles zum Älterwerden gehört und zwar in allen Lebensbereichen. Wie können beispielsweise Geschäfte oder Banken und die Gesellschaft für die besonderen Erfordernisse von an Demenz erkrankten Menschen sensibilisiert werden. Wie können Mitarbeiter*innen in Geschäften und Banken die Erkrankung Demenz erkennen, ohne dass es zu großen Missverständnissen kommt, die die Erkrankten stark belasten?

Gute Pflege für alle!

Um pflegende Angehörige zu entlasten, gibt es in Berlin mittlerweile 96 Einrichtungen der Tagespflege. Dort werden die pflegebedürftigen Menschen tagsüber betreut, die geistigen und körperlichen Förderungen sollen gefördert werden, unter anderem durch Spiele und Ausflüge, Kreatives Gestalten, Gedächtnistraining, Orientierungsübungen, Übungen zur Mobilisation und Gymnastik, Ergotherapie für die Fein- und Grobmotorik, Vorlesen oder Gesprächsgruppen, Rehabilitationsmaßnahmen, Hilfe bei der Tagesstrukturierung und vieles mehr. Die Tagespflege ermöglicht den pflegenden Angehörigen Zeit für sich selbst zu haben, einer Erwerbstätigkeit oder auch Hobbies nachzugehen, Freund*innen oder den Friseur zu besuchen oder sich einfach ausruhen können.

Von diesen Tagespflegeeinrichtungen gäbe es jedoch bei Weitem noch nicht genug und die, die bereits existierten, seien häufig schon voll oder es fehle an Personal, oder beides, so die anwesenden Mitglieder der Alzheimer Angehörigen-Initiative. Außerdem würden „schwierigere Fälle“ meist gar nicht mehr aufgenommen. Notwendig sei es auch, bessere Strukturen aufzubauen, um das Abholen oder Hinbringen besser zu gestalten, gerade im Winter sei dieses für die auch nicht mehr jüngsten pflegenden Angehörigen schwierig und zeitaufwendig. Berichtet wird darüberhinaus von auftretenden Schwierigkeiten, wenn die Tagespflege nur 3-4 Stunden am Tag genutzt werden soll. Hier sei mehr Flexibilität erforderlich. Für einige der Erkrankten sei es zu viel, mehr als sechs Stunden aus der eigenen Häuslichkeit entfernt zu sein.

Neben den Tagespflegeeinrichtungen gibt es auch die stationären Pflegeeinrichtungen. Es war sehr bewegend zu erfahren, wie emotional hart, ja grausam sich einige der pflegenden Angehörigen erleben, wenn sie für ihre Partner*in, für ihre Mutter dort einen Platz in Anspruch nehmen, selbst im Wissen, dass es die richtige Entscheidung sei.

Pflege ist ein sinnstiftender Beruf

Das Problem des fehlenden Pflegefach- und Betreuungspersonals in allen Bereichen ist ein oft und breit diskutiertes Thema - so auch von Seiten der Alzheimer-Angehörigen hier. Sie machen sich hinsichtlich der Fachkräfteentwicklung große Sorgen. So wurde berichtet, dass Menschen in einigen Einrichtungen wegen des fehlenden Personals einfach vor dem Fernseher „abgestellt“ würden. Auch wenn einige der Erkrankten dies selbst häufig gar nicht mehr richtig bewusst aufnehmen würden, so beunruhige sie es. Wenn beispielsweise Kriegsfilme liefen, würde das die demenziell Erkrankten ängstigen, sie könnten durch das Personal dann häufig gar nicht mehr beruhigt werden.

Diskutiert werden die Arbeitsbedingungen für die in der Pflege beruflich Tätigen, ihr häufig unfreiwilliges Teilzeitarbeitsverhältnis, das regelmäßig auftretende Zurückholen aus dem Frei, die zu geringe Bezahlung, die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung ihrer fachlichen Kompetenzen, die problematischen Personalschlüssel und vieles mehr. Viel zu viele Fachkräfte verließen die Branche Pflege aufgrund dieser Arbeitsbedingungen bereits nach wenigen Jahren – und das, obwohl sie eigentlich gerne in ihrem Beruf arbeiten. Ala ein Baustein, die Situation zu verbessern, wollen wir Sozialdemokrat*innen auch die sogenannte generalistische Ausbildung für die Pflege realisieren. Es herrscht aber noch keine Einigkeit mit dem Koalitionspartner.

Rooming-in via Krankenkasse?

Ein an mich herangetretener Wunsch ist die Klärung, ob bei einem Krankenhausaufenthalt von an Demenz erkrankten Menschen, auch ein Rooming-in vonseiten der Krankenkassen bezahlt werden könne. So könne eine vertraute Bezugsperson den Erkrankten nicht nur emotional stützen, sondern auch das Krankenhauspersonal entlasten. Bei Kleinkindern sei dieses doch auch möglich.

Ich bedanke mich bei meinen Gesprächspartner*innen sehr für den offenen, emotionalen und anregenden Austausch.