Es ist ein Unterschied ob mensch reisen will und kann - oder reisen, flüchten muss. Wir in Deutschland Lebenden können reisen, wann und wohin wir wollen. Viele reisen sehr gerne, wollen woanders sein und andere Kulturen kennenlernen, andere reisen in den Urlaub, um sich vom hiesigen Alltag zu erholen. Wir haben Glück.
Es gibt aber Millionen von Menschen auf der Welt, die ihr Heimatland verlassen, nicht weil sie es möchten, sondern weil sie müssen. Und im Gegensatz zu in Deutschland lebenden Menschen, können sie oft auch nicht mehr zurückkehren, ohne ihr eigenes Leben oder das Ihrer Familienmitglieder zu gefährden. Eine alte sudanesische Weisheit besagt, „Das Haus stirbt nicht, das einen Gast willkommen heißt“ und so ist es, das Haus wird durch den Gast umso lebendiger und entfaltet sich zu seiner wahren Blüte.
Aktuell gibt es in Berlin über 1000 Willkommensklassen für geflüchtete Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. In diesen Klassen lernen sie Deutsch und sofern sie in ihrem Heimatland weder Lesen noch Schreiben gelernt haben, lernen sie auch das.
Vier dieser Willkommensklassen hatte ich am 27. Februar 2017 im Deutschen Bundestag bei einem Gespräch rund um Politik und Parlament zu Gast. Sie lernen am OSZ Handel II in Marzahn. Die Schüler*innen waren zwischen 17 und 22 Jahre alt, alle seit etwa einem Jahr in Deutschland und kamen aus den verschiedensten Ländern, darunter Afghanistan, Syrien, Bangladesch und Somalia. Teilweise schüchtern, aber erkennbar hochmotiviert stellten die jungen Erwachsenen mir ihre Fragen über Politik, insbesondere über die Asylpolitik, und über den gelebten Parlamentarismus.
Was halten Sie von der Abschiebung nach Afghanistan?
Afghanistan ist schon seit Jahrzehnten ein Land des Bürgerkrieges, ist ein unsicheres Land, in vielen Teilen des Landes agieren nach wie vor die Taliban. Diese haben ihre Position in den letzten Jahren wieder gestärkt und führen eine - oftmals terroristisch-militärische - Kampagne gegen die demokratische Islamische Republik Afghanistan. Aufgrund der weiterhin instabilen Lage und um den Demokratieprozess in Afghanistan zu stärken, beteiligt sich Deutschland aktuell mit bis zu knapp über 900 Soldat*innen an der NATO-Mission „Resolute Support“. Auch vom IS ist das Land nicht verschont.
Das SPD-geführte Auswärtige Amt hat eine Reisewarnung für die Republik ausgesprochen. Das CDU-geführte Innenministerium unterbreitet dagegen aktuell Vorschläge, Afghanistan - zumindest einige seiner Regionen - zum sicheren Herkunftsland zu erklären. Ich bin von diesem „sicheren Herkunftsland“ nicht überzeugt, spreche mich daher auch gegen Abschiebung dorthin aus. Ich begrüße die Haltung des rot-rot-grün regierten Berliner Senates, sich aktuell nicht an Sammelabschiebungen nach Afghanistan zu beteiligen.
Abschiebungen als föderale Herausforderung
Auch die Abschiebungen nach Afghanistan sind nicht bundesweit einheitlich geregelt. Gemäß Aufenthaltsgesetz können die einzelnen Länder einen Abschiebestopp von bis zu sechs Monaten verhängen. Danach muss der Bund einer weiteren Verlängerung zustimmen, denn die Länder sind für den Vollzug des Aufenthaltsgesetzes zuständig. Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Berlin haben mit modifizierten Begründungen entschieden, Abschiebungen nach Afghanistan auszusetzen.
Finanzielle Unterstützung aus Deutschland für Afghanistan
Die Bundesregierung hat sich vertraglich dazu verpflichtet, Geld in Afghanistan zu investieren. Dieses dient auch der Bekämpfung der Fluchtursachen vor Ort. Diese Gelder werden über unsere Ministerien für spezifische Projekte ausgegeben und kontrolliert. In der Regel gibt es in den Projekten eine Ko-Finanzierung durch die afghanische Regierung. Weiterhin sind der Regierung in Kabul von Seiten der Bundesregierung Gelder zugesichert worden, zum Aufbau von Rückkehr- und Reintegrationsprogrammen für abgeschobene Geflüchtete und freiwillige Rückkehrer*innen.
Familiennachzug
Asylberechtigte Schutzberechtigte, denen die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, haben das Recht auf privilegierten Familiennachzug. Das bedeutet, dass kein Nachweis der Lebensunterhaltssicherung und ausreichenden Wohnraums als Voraussetzung für die Einreise der Familienangehörigen notwendig ist. Dies gilt für den Nachzug der Ehegattin bzw. des Ehegatten und der minderjährigen ledigen Kinder. Für subsidiär Schutzberechtigte, deren Aufenthaltserlaubnis nach dem 17. März 2016 erteilt worden ist, gilt eine Übergangsfrist von zwei Jahren. In dieser Zeit kann kein Familiennachzug erfolgen. Nach dem 16. März 2018 ist ein Familiennachzug wieder erlaubt. Dies betrifft im Augenblick etwa 120.000 Menschen. In besonderen Härtefällen ist eine humanitäre Aufnahme von Familienangehörigen weiterhin möglich. Solange das Asylverfahren läuft, kann grundsätzlich kein Familiennachzug erfolgen. Ist im Asylverfahren ein Abschiebungsverbot festgestellt worden, darf der Familiennachzug nur aus humanitären oder anderen wichtigen öffentlichen Gründen erfolgen.
Derzeit wird sehr intensiv über die Regelungen des Familiennachzuges debattiert. Hier ist eine Neuregelung dringend erforderlich.
Zuwanderung gestalten
Ideen für die Gestaltung von Zuwanderung gibt es viele, wie z.B. das von einer Expert*innen Gruppe erstellte Leitbild „Miteinander in Vielfalt“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. In der SPD-Bundestagsfraktion wird auch intensiv über ein Einwanderungsgesetz diskutiert. Es soll die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten steuern. Kernelemente des Gesetzesvorschlags: eine jährlich flexible Einwanderungsquote, die Deutschlands Fachkräftebedarf berücksichtigt, und ein transparentes Punktesystem nach kanadischem Vorbild. Ziel ist es, das Gesetz weiter auszuarbeiten und noch vor der Bundestagswahl 2017 zu verabschieden. Wir Sozialdemokrat*innen wollen beides: Ein funktionierendes Asylrecht und ein funktionierendes Einwanderungsgesetz.