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Gleichstellung und Akzeptanz: „Was du nicht willst, dass man dir tut‘, ...“ - Schüler*innen des LETTE VEREIN BERLIN bei mir zu Gast

Niemals ist vorher klar, was der Diskussionsschwerpunkt während eines Gespräches mit Besucher*innen des Reichstagsgebäudes wird - und das ist gut so. Jede Gruppe ist in ihrer Zusammensetzung einzigartig. Jede Besucher*in hat die Möglichkeit zu Kommentaren und Fragen, hat die Möglichkeit zu einem direkten persönlichen Austausch zu dem, was ihr bzw. ihm am Wichtigsten ist. Die von der Bundestagsverwaltung zur Verfügung gestellten 60 Minuten sind immer zu kurz.

So auch bei der Diskussion mit 25 Schüler*innen des LETTE VEREIN BERLIN am 22. Februar 2017 bei mir im Bundestag zu Gast waren. Nach einem kurzen Bericht zu meiner Arbeit im Deutschen Bundestag und im Europarat begann eine lebhafte Diskussion zu meiner Arbeit und meinen Zielen im Europarat, zur Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderung auch im Bereich der politischen Teilhabe und eine Diskussion zum Umgang mit Mobbing.

Die Schüler*innen befinden sich im ersten und zweiten Jahr der Ausbildung als Technische Assistent*innen für Metallographie und Werkstoffprüfung. Der Arbeitsbereich Metallographie (wörtlich: „Metallbeschreibung“) gehört zum Gebiet der Werkstoffwissenschaft und wurde im LETTE VEREIN BERLIN selbst vor über 100 Jahren entwickelt. Vor dem Gespräch erhielten sie noch eine Führung durch das Reichstagsgebäude und konnten anschließend noch die Kuppel besuchen und ein Essen im Besucher*innenrestaurant im Paul-Löbe-Haus zu sich nehmen.

„Je mehr Barrieren wir abschaffen, desto besser geht es uns als Gesellschaft“

Die Ziele des Europarats sind der Schutz und die Förderung der Menschenrechte sowie die Protektion von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in ganz Europa. In der Parlamentarischen Versammlung des Europarats treffen sich 318 VertreterInnen der nationalen Parlamente der 47 Mitgliedsstaaten des Europarates. Deutschland wird durch 18 Delegierte aus allen Fraktionen vertreten.

Ich habe mich dort für die Mitgliedschaft im Ausschuss für Gleichstellung und Nichtdiskriminierung entschieden und war 2014/15 die Vorsitzende des dazugehörigen Unterausschusses für Menschen mit Behinderungen. Besonders am Herzen liegt mir die Gleichberechtigung aller Menschen in puncto Wahlrecht. Die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts ist das Fundament unserer Demokratie. In Europa leben rund 80 Millionen Menschen mit Behinderungen, das sind etwa 23 Prozent der Europäischen Bevölkerung. In den Parlamenten sind Menschen mit einer Behinderung aber eher eine Ausnahme. Das wurde auch in meiner Befragung aller Mitgliedstaaten des Europarats bestätigt.

Wahlrecht für alle Menschen

In vielen Staaten wird jedoch Menschen ihr Wahlrecht sogar gänzlich abgesprochen! Dazu gehört auch Deutschland. Hier sind über 81.000 Menschen mit Behinderungen vom Wahlrecht ausgeschlossen. Dies sind überwiegend die Menschen mit Behinderungen, bei denen eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet ist. Nichtsdestotrotz: Volljährigen Staatsbürger*innen wird damit ein zentrales Bürger*innenrecht vorenthalten. Das steht im klaren Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention und darf so nicht bleiben. Ich setze mich im Europarat und auch hier in Deutschland für ein Wahlrecht für alle Menschen ein.

Die Schüler*innen stellten die Frage, wie Menschen mit geistigen Einschränkungen eine komplexe Entscheidung wie eine Wahl zum Deutschen Bundestag treffen können und wie entschieden wird, wer wählen darf und wer nicht.

Behinderungen sind sehr vielfältig. Es gibt sehr unterschiedliche körperliche, seelische, geistige Behinderungen und Sinnesbeeinträchtigungen, welche Menschen in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Laut der UN-Behindertenrechtskonvention ist es Aufgabe der Gesellschaft und der Politik hier für Barrierefreiheit zu sorgen.

Ich setze mich für die staatsbürgerschaftlichen Rechte von Menschen mit Behinderungen ein, vor allem für ihr Wahlrecht. Jede Bürgerin, jeder Bürger hat da Recht zu wählen, und damit die Politik unserer Gesellschaft zu bestimmen. Unser aktuelles Wahlrecht ist nicht inklusiv, muss also geändert werden.

Die aktuell vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebene „Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht von Menschen mit Behinderung“ kommt zum Ergebnis, dass die Menschen, die bisher vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, sehr wohl in der Lage sind eine Wahlentscheidung zu treffen und auch wählen gehen können, wenn wir als Umwelt entsprechende Barrieren abbauen.

Dazu gehören beispielsweise keine Treppen am Wahllokal - Rollstuhlfahrer*innen -, das Auslegen von Wahlschablonen - sehbeinträchtige bzw. blinde Menschen -, die Ermöglichung von Assistenzsystemen beispielsweise für bewegungseingeschränkte Menschen. Dazu gehört aber auch eine verstehbare Aufbereitung von Wahlkampfmaterialien, also in leichter Sprache, und die Durchführung von Wahlkampfveranstaltungen, wie sie bereits seit Jahren dankenswerterweise vom Berliner Aktionsbündnis für Menschen mit Behinderungen „Das blaue Kamel“ durchgeführt werden.

Alle Bürger*innen sollen das demokratische Recht ausüben dürfen, zu wählen. Hiervon darf niemand ausgeschlossen werden.

Eine inklusive Gesellschaft bedeutet Barrierefreiheit. Wir sind verschieden, jedoch alle gleichwertig.

„Da sind wir alle gefragt“

Das Thema Inklusionsschulen brachte ein Schüler in die Diskussion ein und gab zu bedenken, dass bereits Kinder ohne Behinderungen in den Schulen mit Mobbing und Vorurteilen zu kämpfen haben. Er wollte wissen, wie Kinder mit Einschränkungen auf „normalen“ Schulen zurechtkommen.

Das Konzept der inklusiven Schule

https://www.berlin.de/sen/bjf/inklusion/

ist, den Unterricht und den Schulalltag so zu gestalten, dass alle Schüler*innen, unabhängig von Herkunft und Leistungsfähigkeit, gemeinsam lernen können. Damit wird die Forderung der UN-Behindertenrechtskonvention erfüllt, ein inklusives Bildungssystem zu entwickeln. Die Verschiedenheit der Schüler*innen wird dabei als Gewinn und nicht als Problem gesehen. Lehrer*innen werden dazu sensibilisiert, um adäquat auf die Vielfältigkeit eingehen zu können und z.B. durch gezielte Gespräche mit der Klasse eventuelle Konflikte zu lösen und das Miteinander zu stärken. Gerade in meinem Heimat-Stadtteil Friedenau gibt es hervorragende Beispiele, wie Inklusion in der Schule gelingen kann. So lernen in der Friedenauer Fläming-Grundschule bereits seit den 70er Jahren Schüler*innen mit und ohne Behinderung gemeinsam.

„Zeige mit einem Finger auf andere und vier zeigen auf dich zurück“

Seitens der Schüler*innen wurde darauf verwiesen, dass die Verschiedenheit der Menschen auch zu Gruppenbildung führe, aus der heraus dann auch Menschen aufgrund ihres Andersseins gemobbt würden. Menschen mit besonderen Eigenschaften oder Behinderungen würden gerade in Schulen häufig auch Opfer von Mobbing.

Mobbing ist ein gesellschaftliches Problem, welches auch in der Schule stattfindet und bei dem Schüler*innen, Eltern und Lehrer*innen häufig auch Hilfe brauchen. Letztlich liegt es auch an uns selbst, welche Entscheidung wir treffen: Steh ich auf Seiten des unter Mobbing leidenden Menschen oder steh ich auf Seiten der mobbenden Täter.

So erzählte ein Schüler, dass er selbst unter Mobbing gelitten habe. Er stellte fest, dass die Ursache von Vorurteilen häufig ist, dass andere nicht wissen, woher die Behinderung kommt. Er berichtete, dass seine Ärztin in die Schule gekommen sei und seine Mitschüler*innen über seine Beeinträchtigung aufgeklärt habe. Mit dem Aufklären habe er sehr gute Erfahrungen gemacht. Solch ein Engagement finde ich hervorragend.

„Kein Mensch hat es verdient, zur Ausschussware zu werden“

Mobbing habe oft die Ursache, dass sich die Täter*innen minderwertig fühlten und sich durch das Niedermachen von anderen ein Überlegenheitsgefühl entwickeln wollten, erklärte ein Schüler. Verstärkt werde das Phänomen durch unsere kapitalistisch denkende Gesellschaft, die bereits ein Konkurrenzdenken im Grundschulalter erzeuge.

Im Gespräch habe ich auch darauf hingewiesen, dass es allein in Deutschland 7,8 Millionen funktionale Analphabet*innen gibt. Das sind erwachsene Menschen, die nicht richtig lesen und schreiben können - in dieser Zahl sind geflüchtete Menschen, die noch kein Deutsch lernen konnten, nicht eingerechnet. Auch hier besteht dringender Handlungsbedarf: Die SPD will deshalb für die nächsten zehn Jahre ein Programm auflegen, damit alle Menschen die Möglichkeit haben, lesen und schreiben zu lernen.

Kein Mensch hat darf zurückgelassen werden - und da sind sich alle Diskussionsteilnehmer*innen einig.

Der LETTE VEREIN BERLIN

Der LETTE VEREIN BERLIN in meinem Wahlbezirk Tempelhof-Schöneberg leistet tolle und erfolgreiche Arbeit Die Stiftung des öffentlichen Rechts, prominent gelegen am Viktoria-Luise-Platz in Schöneberg, versteht sich als Ausbildungsstätte für Berufe, die jungen Menschen eine solide Lebensbasis ermöglichen. Der LETTE VEREIN BERLIN ist Träger von drei Berufsfachschulen und zwei Schulen des Gesundheitswesens: der Berufsfachschule für Design, der Schule für Ernährungs- und Versorgungsmanagement, der Technischen Berufsfachschule sowie der Schulen des Gesundheitswesens für Medizinisch-Technischen Assistenten (MTA) und Pharmazeutisch-Technische Assistenten (PTA) und wird vom Land Berlin gefördert.