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Erinnern an den "Porajmos" – Die Ausgrenzung der Roma und Sinti beenden

Der Holocaust an den Roma und Sinti - auf Romanes "Porajmos" (Verschlingen) - vernichtete die Leben von einer halben Million Männern, Frauen und Kindern. Der Holocaust an den Sinti und Roma wurde nach der Befreiung vom Nationalsozialismus jahrzehntelang aus dem historischen Gedächtnis und der öffentlichen Erinnerung verdrängt.  Ich danke der seit einigen Jahrzehnten in Europa existierenden Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma dafür, dass sich die Erinnerung an den Völkermord an den Sinti und Roma langsam verändert.  "Die Behandlung von Roma ist der Lackmus-Test einer Demokratie", sagte Vaclav Havel bezogen auf die heutige Situation einmal. Fakt ist: Diesen Test muss unsere Demokratie, muss Europa erst noch bestehen.

Am 2. August 2017 kamen mehrere hundert Menschen am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas zur Gedenkstunde „… Ohne Worte … Keine Tränen.“ Erinnern an die Ermordung der letzten Sinti und Roma in Auschwitz-Birkenau 1944 zusammen, um des Genozids an den Sinti und Roma zu gedenken.

Ich freue mich, dass das Land Berlin dem Gedenken an die Ermordung der Sinti und Roma einen hohen Stellenwert zumisst und durch Sawsan Chebli, Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales, vertreten gewesen ist.

Der 2. August wurde vom Europäischen Parlament zum „European Roma Holocaust Memorial Day“ erklärt. Er erinnert an den 2. August vor 73 Jahren, als um 19 Uhr der im NS-Sprachgebrauch als "Zigeunerlager" bezeichnete Teil B II e im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau nach einem Befehl aus Berlin abgeriegelt wurde. 1.408 noch als arbeitsfähig eingestufte Häftlinge wurden mit dem Güterzug ins KZ Buchenwald verlegt. Die verbliebenen 2.897 Frauen, Männer und Kinder wurden in den Gaskammern ermordet. Allein in Auschwitz wurden bis 1944 rund 22.600 Roma und Sinti unter unmenschlichen Bedingungen untergebracht.

Erinnern heißt Handeln

Bei der Gedenkveranstaltung sagte Staatsminister Michael Roth (SPD) in seiner Rede „das Verhältnis zwischen Europa und seiner größten ethnischen Minderheit ist nach wie vor von Ausgrenzung und Unverständnis, Fremdheit und Ignoranz geprägt. Sinti und Roma sind immer noch nicht in der Mitte unserer Gesellschaften verankert.“ Damit dürfen wir uns aber nicht abfinden, denn ansonsten drohen wir uns abermals schuldig zu machen an den rund zwölf Millionen Sinti und Roma in Europa. Ich danke für diese klaren Worte aus dem Auswärtigen Amt. Schließlich gehört der Völkermord an den Sinti und Roma zu den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte. Das Wissen um entstandenes Unrecht und um nicht erfolgte Anerkennung verpflichtet für heute und morgen. Noch immer fehlt das Bewusstsein dafür, dass Sinti und Roma Teil Europas sind und die Gesellschaften geprägt und bereichert haben.

Staatsminister Roth mahnte, dass Gedenken und Erinnern nicht ausreichten, sondern dass daraus etwas erwachsen müsse. „Das Wissen um entstandenes Unrecht und um nicht erfolgte Anerkennung verpflichtet uns für das heute und morgen.“ Deutschland habe sich sehr schwer getan, die Verbrechen durch das nationalsozialistische Deutschland an den Sinti und Roma als Völkermord anzuerkennen. Er forderte dazu auf, nicht damit aufzuhören, auf Politik und Gesellschaft zuzugehen und „uns zu fordern, sei es in Ihrem Einsatz für eine Unabhängige Expertenkommission oder auch für einen Beauftragten für die Bekämpfung von Antiziganismus.“

Staatsminister Roth betont, dass wir als Mehrheitsgesellschaft unsere Wahrnehmung und Haltung gegenüber Sinti und Roma ändern müssen. Statt Unkenntnis und nicht hinterfragter Stereotype müsse der Austausch und die Begegnung gefördert werden. Er erinnert an die Eröffnung des Europäischen Roma Instituts für Kunst und Kultur am 8. Juni 2017 in Berlin. Dies sei „ein wunderbares Projekt, das uns alle mit Stolz erfüllt“. Das Institut gebe die Deutungshoheit über die Sinti und Roma Kultur und Identität in die Hände der Sinti und Roma und soll so zum Aufbau einer eigenen positiven Identität beitragen als auch helfen, Vorurteile abzubauen und die Kultur der Sinti und Roma europaweit bekannter zu machen.

Erinnern muss Konsequenzen für die Gegenwart haben

Auch die Autorin und Bürgerrechtlerin Anita Awosusi, die sich seit Jahrzehnten gegen die Ausgrenzung und Diskriminierung engagiert, fordert, dass Erinnern auch Konsequenzen für die Gegenwart haben müsse. Sie kritisiert, dass aufgrund der immer weiteren Verschärfung der deutschen Asylgesetzgebung der Staat zu wenig für den Schutz der Angehörigen der Roma-Minderheit tue. Die Erklärung von sechs Westbalkanstaaten zu so genannten „sicheren Herkunftsländern“ mache es den meisten unmöglich, in Deutschland Schutz zu finden. Sie kritisiert auch, dass aus der Mitte unserer Gesellschaft Roma und Sinti zu tausenden abgeschoben wurden und werden. Dazu gehörten auch Kinder und Jugendliche, die hier geboren sind und keinerlei Bezüge zu den Herkunftsstaaten ihrer Eltern haben.

Nationalistische und populistische Bewegungen spalten Europa

Einige der Redner*innen äußern sich dazu, wie nationalistische und populistische Bewegungen die Spaltung Europas immer weiter vorantreiben. Befürchtet wird, dass diese sich verschärfenden gesellschaftlichen Konflikte für Sinti und Roma eine Gefahr bergen. Denn antidemokratische Strömungen brauchen Feindbilder, um die Ängste von Menschen für ihre politischen Zwecke auszubeuten. Dabei fällt Minderheiten stets die Rolle des Sündenbocks zu. Sie fordern, dass wir uns vom Rassismus Einzelner oder der Rechten in aller Klarheit zu distanzieren haben. Rassismus gefährdet die Demokratie als Ganzes und darf nicht salonfähig gemacht werden.