Pflege geht immer mehr Menschen an, in der eigenen Familie, in der Verwandtschaft oder Freundschaft. Bundesweit sind derzeit rund 2,7 Millionen Menschen pflegebedürftig. Für 2030 belaufen sich die Schätzungen auf rund 3,5 Millionen und für 2050 auf über 4 Millionen Menschen. Die Zahl derjenigen, die Betreuung und Unterstützung brauchen, aber noch keinen Antrag auf Pflegebedürftigkeit bei der eigenen Pflegekasse gestellt haben, ist dabei noch nicht mitgerechnet.
Der Erhalt von Pflegeleistungen darf nicht vom Geldbeutel abhängen. Darüber waren sich alle Teilnehmer*innen der Veranstaltung „Pflege geht uns alle an“ in der Begegnungsstätte des Vereins „Menschen helfen Menschen“ in der Wollankstraße 59 mitten im Soldiner Kiez einig. Ich danke Wendula Strube, Mitglied des Abteilungsvorstandes für die Initiative und der SPD Abteilung „Am Luisenbad”, dass sie diese Veranstaltung organisiert haben. An ihr nahmen teil die SPD-Bundestagsabgeordnete für Mitte, Dr. Eva Högl, und Petra Fock, Leiterin des Pflegestützpunktes Charlottenburg-Wilmersdorf. Ich habe mich sehr gefreut, dass „Pflege geht uns alle“ auf so großes Interesse bei den Bürger*innen des Kiezes und bei den Genoss*innen gestoßen ist.
Pflegestützpunkte Berlin - Informationen, Beratung und Unterstützung rund um die Pflege
Das am 1. Juli 2008 in Kraft getretene Pflege-Weiterentwicklungsgesetz ist die Grundlage (§ 92c des SGB XI) für die Errichtung von Pflegestützpunkten gewesen. In den vergangenen sieben Jahren wurden in jedem Bezirk auf Initiative der Berliner Kranken- und Pflegekassen und des Landes Berlin drei Pflegestützpunkte aufgebaut, 36 derzeit insgesamt.
Petra Fock informierte in ihrer Präsentation über die Aufgaben der Pflegestützpunkte und berichtete aus ihrem Arbeitsalltag. Kernaussagen von ihr sind unter anderem dabei:
- Pflege und Demenz ist Schwerstarbeit.
- Die Beratung von Angehörigen alleine genügt nicht, Formulare müssen ausgefüllt und Verwaltungswege eingehalten werden – dass wird vielfach auch von den Pflegestützpunkten übernommen.
- Sehr hilfreich seien die zahlreichen Informationsblätter der Berliner Pflegestützpunkte, die es in verschiedenen Sprachen und zu sehr vielen Themen gibt. Diese würden regelmäßig aktualisiert.
Eine dringende Bitte an den Gesetzgeber äußerte Frau Fock auch:
Alle Pflegebedürftigen in den Pflegegraden 1-5 erhalten gemäß Pflegestärkungsgesetz (PSG) II einen sogenannten Entlastungsbetrag von 125 Euro pro Monat. Er ist vorrangig für den Bedarf an körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen zu verwenden. Nach Berliner Landesrecht dürfen Leistungen nur bei lizensierten Unternehmen „eingekauft“ werden. Frau Fock bitte um eine Lockerung dieser Vorschrift.
Mehr gute Pflege: „Dafür kämpfe ich mit lauter Stimme.“
Um zügiger in die Diskussion einsteigen zu können, habe ich auf meine Präsentation verzichtet und mündlich referiert. Sehr wichtig war mir, Informationen zum großen sozialdemokratischen Projekt der solidarischen, paritätischen Bürger*innenversicherung zu vermitteln. Damit fördern wir Gerechtigkeit – sowohl für die Mitglieder der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als auch für die der Privaten Krankenversicherungsunternehmen (PKV).
Themenvielfalt Wohnen, Betreuen, Pflegen, …
Schwerpunkte der Diskussion waren unter anderem:
- Die notwendige Vorbereitung für den Besuch des Medizinischen Dienstes zwecks Begutachtung zur Einstufung eines Pflegegrades: Es sollten Angehörige und/oder auch Vertreter*innen von Pflegediensten dabei sein.
- Viele (ältere) Alleinlebende sind möglicherweise an Demenz erkrankt. Wie sollen sich Nachbar*innen verhalten, wenn keine Angehörigen da sind: Sich unter anderem mit dem SPD, dem Sozial-Psychiatrischen Dienst des Bezirkes in Verbindung setzen.
- Wir müssen das Wohnen umfassend neu denken, mehr gemeinschaftlich, mehr generationsübergreifend. Es gibt bereits zahlreiche Projekte – es bedarf der Umsetzung jeweils vor Ort. Es braucht aber auch Menschen, die solche Planungen steuern.
- Um die Pflegeberufe attraktiver zu machen, werden bundesweite Personalstandards, eine bessere Bezahlung insbesondere in der Altenpflege, bessere und gesunde Arbeitsbedingungen, mehr Tarifverträge und die Einrichtung von Pflegekammern auf Bundes- und Länderebene notwendig. Pflege muss sich als Lebensberuf professionalisieren. Wir brauchen zunehmend mehr Pflegefachkräfte auch in der Prävention, der Rehabilitation oder in der Hospizarbeit.
- Gebraucht wird eine höhere Transparenz über die Pflegequalität, mehr Beratungs- und Unterstützungsangebote, mehr Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege auch mit Lohnersatz.
- Die Finanzierung der Pflege kann nachhaltig verbessert werden durch die Einführung der paritätischen Bürger*innenversicherung.
Deutlich wurde auch: Ältere alleinlebende Frauen, insbesondere diejenigen, die selber noch die Mutter oder Schwiegermutter gepflegt haben, haben Angst, dass „niemand mehr für mich da ist“. Hier stehen wir als Gesellschaft in der Verantwortung.
Berlin: Pflege geht uns alle an
Die mit der Zunahme von Pflegebedürftigkeit zusammenhängenden Herausforderungen unterscheiden sich regional, unterscheiden sich in Berlin sogar zwischen den Kiezen. Laut Berliner Landespflegeplan 2016 werden rund 75 Prozent der insgesamt 112.509 Pflegebedürftigen im Jahr 2013 zu Hause versorgt. Die Angehörigen sind „Berlins größter Pflegedienst“, sie versorgen mehr als die Hälfte der Pflegebedürftigen allein und ohne Hilfe von professionellen Pflegekräften. Nur ein Viertel der Pflegebedürftigen in Berlin lebt in einem Pflegeheim. Berlin wächst, Berlin wird älter. Prozentual am stärksten zunehmen wird in Berlin die Gruppe der über 80-Jährigen. Bis 2030 wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen auf etwa 170.000 steigen. Für diese eine Pflege in hoher Qualität zu sichern und dafür den notwendigen Nachwuchs für die Pflegeberufe zu finden und die Erhaltung der Arbeitszufriedenheit der im Beruf stehenden Pflegekräfte zu gewährleisten, sind wichtige Ziele, um auch in Zukunft eine gute pflegerische Versorgung für Berliner*innen sicherzustellen.
In Berlin liegt der Anteil der zu Hause lebenden Pflegebedürftigen mit 75 Prozent höher als der Bundesdurchschnitt (70 Prozent), höher ist auch der Anteil der allein von Angehörigen versorgten Pflegebedürftigen (50 Prozent) im Vergleich zum Bundesdurchschnitt mit 47 Prozent, höher ist in Berlin auch der Anteil derjenigen Pflegebedürftigen, die ambulant, also mit Hilfe einer Sozialstation, etc. versorgt werden. Diese höheren Anteile in Berlin (und den neuen Bundesländern) im Vergleich zu den alten Bundesländern liegen möglicherweise im höheren Armutsrisiko, der höheren Arbeitslosen- und Transferleistungsquote: Pflegebedürftige und deren pflegende Angehörige, die in prekären Verhältnissen leben, sind stärker angewiesen auf das Pflegegeld und schöpfen dieses möglichst lange aus, bevor sie ambulante Hilfe hinzu ziehen. Herausgezögert wird auch die teurere Heimversorgung. In der Hauptstadt der Singles gibt es aber auch Haushalte, in denen Pflegebedürftige nur Unterstützung durch ambulante Dienste und keine Unterstützung durch Angehörige erhalten.