Berichterstatterin für einen Gesetzentwurf zu sein, bedeutet für mich weitaus mehr als nur den Gesetzestext genau zu studieren. Ich möchte vor und während der parlamentarischen Debatte erfahren, was sich für betroffene Menschen vor Ort in ihren unterschiedlichen Lebens- und Berufssituationen durch das jeweils spezielle Gesetz verändert bzw. was diese von diesem speziellen Gesetz erwarten. Deshalb gehe ich auf Besuchstour.
Als Berichterstatterin für den „Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts“ habe ich mich am 23. September mit Mitarbeiter*innen des Cura Betreuungsverein Tempelhof-Schöneberg und Steglitz-Zehlendorf vom Nachbarschaftsheim Schöneberg und am 24. September 2020 mit Haupt- und Ehrenamtlichen im Tiele-Winckler-Haus in Berlin Lichtenrade getroffen.
Auch ehrenamtliche rechtliche Betreuer*innen brauchen hauptamtliche Unterstützung
Der Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V. ist mit dem Cura Betreuungsverein ein seit 1992 durch das Land Berlin anerkannter Betreuungsverein. Anerkannte Betreuungsvereine übernehmen rechtliche Betreuungen, unterstützen ehrenamtliche Betreuer*innen, bieten Fortbildungen und Erfahrungsaustausch an und beraten zu Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen.
Wo besteht Reformbedarf, wo Änderungsbedarf insbesondere im Betreuungsrecht? Meine Gesprächspartner*innen unterstützen grundsätzlich die Reformpläne. Dies macht auch der Vertreter der Interessengemeinschaft der Berliner Betreuungsvereine. Aber sie sehen auch Änderungsbedarf. So ist im Entwurf etwa vorgesehen, dass Mitarbeiter*innen der Betreuungsvereine als „Verhinderungsbetreuer*innen“ die Vertretung für ehrenamtliche rechtliche Betreuer*innen übernehmen sollen, wenn diese zum Beispiel im Urlaub sind. Ungeklärt sind bei der an sich gut gedachten Regelung aber Haftungs- und Ressourcenprobleme bei den Betreuungsvereinen.
Auch die Finanzierung der Betreuungsvereine bereitet weiterhin Sorgen. Da deren Finanzierung aber Ländersache ist, kann die Lösung nicht bundesgesetzlich erfolgen. Dennoch werde ich mich dafür einsetzen, dass die finanzielle Situation der Betreuungsvereine in den Beratungen berücksichtigt wird.
Einig waren wir uns, dass es größerer Anstrengungen bedarf, mehr Menschen für dieses besondere Ehrenamt zu gewinnen und diese auch ausreichend in ihrer Tätigkeit zu unterstützen. Die Übernahme der Betreuung einer (zunächst) fremden Person ist eine besondere Aufgabe. Die Betreuungsvereine unterstützen schon jetzt – und sollen dieses in Zukunft durch die verbindliche Anbindung noch intensiver tun.
Rechtliche Betreuung braucht Ehrenamt!
Es wird nicht immer gelingen, alle Menschen mit Behinderungen so zu unterstützen, dass diese keine rechtliche Betreuung brauchen. Die Tiele-Winckler-Haus GmbH besitzt in Berlin-Lichtenrade drei Häuser für Menschen mit geistiger Behinderung. Dem diakonischen Selbstverständnis entsprechend wird hier jede*r einzelne Bewohner*in von den Mitarbeitenden unterstützt, damit der Wunsch von individuellem Leben in der Gemeinschaft Wirklichkeit werden kann.
Im Gespräch mit Frau Scherer (Regionalleiterin), Herrn Rodermond (Stv. Regionalleiter) und Herrn Quisser (familiär-ehrenamtlich tätiger, rechtlicher Betreuer) haben wir überlegt, wie wir es schaffen, mehr Menschen für das Ehrenamt der rechtlichen Betreuung zu gewinnen – und das auch dann, wenn die zu betreuende Person nicht aus der eigenen Familie statt. Wir waren uns einig, dass es unser aller Aufgabe ist, die rechtliche Betreuung sichtbarer und attraktiver zu machen und für dieses Ehrenamt besonders zu werben.
Hierfür werden aber auch strukturelle Änderungen benötigt. Denn im Dschungel von BtHG, BGB, Ämtern, Ärzt*innen, Gerichten und Banken kann professioneller Rat und Erfahrung hilfreich sein. Ob die im Reformpaket vorgesehene Anbindung ehrenamtlicher Betreuer*innen an einen Betreuungsverein ausreicht, ist noch zu klären.
Im Tiele-Winckler Haus haben viele Bewohner*innen familiär ehrenamtliche Betreuungen. Über die Jahre hinweg werden die Eltern oft Profis im Umgang mit Gesetzen und Behörden im Interesse ihrer erwachsenen Kinder - so wie Herr Quisser. Aber auch für familiär ehrenamtliche Betreuer*innen stellen sich Fragen: Wer übernimmt, wenn ich mal nicht mehr kann? Geschwister leben häufig weit weg? Wird die rechtliche Betreuung langfristig in der Familie bleiben? Was, wenn nicht?
Ich danke auch hier für das aufschlussreiche Gespräch, aus dem ich viele Themen in die weiteren Beratungen zur Reform des Betreuungsrechts mitnehme.
(Fotos: Mechthild Rawert, MdB)