Was sind die Bedarfe und Bedürfnisse derjenigen, die für unser Wohlbefinden auch in der schwierigen Zeit der Corona-Krise sorgen? Das war eine der Kernfragen des „Mechthild on tour“ am 22. Oktober 2020. Die Vorbereitung dieses Jahr erfolgte dieses Jahr noch intensiver als sonst: Die Einrichtungen wurden im Vorfeld befragt, mit wie vielen Begleiter*innen ich auf der Grundlage ihrer Hygienekonzepte kommen dürfe, ob zusätzlich zur AHA-Regel weitere Vorkehrungen zu treffen sind, und und und. Der Wunsch nach Austausch ist stark und es gilt Möglichkeiten zur Realisierung zu finden. Der COVID-19-Virus darf nicht dazu führen, dass Politik und Zivilgesellschaft nicht mehr in Kontakt sind. Wir Politiker*innen brauchen die direkten Informationen von vor Ort, um die Verhältnismäßigkeit unserer Maßnahmen in und nach der Corona-Krise gut einschätzen und bewerten. Wir müssen uns vorbereiten auf dauerhafte alte neue Anforderungen im Hinblick auf ein gerechtes und solidarisches Zusammenleben.
Sozialstation, Kontaktstelle Ambulanter Pflegedienst
Das Nachbarschaftsheim Schöneberg bietet im Bereich der Gesundheit und Pflege, der Betreuung und Begleitung vielfältige Einrichtungen und Angebote an: Pflegen und Begleiten, Beratung rund um die Pflege, Ehrenamtlicher Besuchsdienst, Familienpflege, Gemeinschaftlich wohnen, Hospiz Schöneberg-Steglitz, Sozialstation Friedenau, Tagespflege. Mein Besuch galt der Sozialstation Friedenau in der Cranachstraße.
Ein erster großer Gesprächspunkt war der „Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts“. Da auch einige der von der Sozialstation begleiteten Personen „unter Betreuung“ stehen, ist dieses Gesetz auch für meine Gesprächspartnerinnen Ulrike Friedel-Franzen, Sozialarbeiterin, und Karen Lawerenz, Prokuristin, bedeutsam. Ihre Fragen sind sehr konkret, u.a.: Was unternimmt der Staat, wenn die rechtliche Betreuer*in keinerlei oder zu wenige Aktivitäten im Interesse der unter Betreuung stehenden Person unternimmt? Gibt es andere Möglichkeiten, als sich an die Betreuungsbehörde bzw. das Amtsgericht zu wenden? Wie ernsthaft wird die Kompetenz und das Engagement der rechtlichen Betreuer*innen überprüft? Wie werden die Rechte der betreuten Person und damit das ureigene Selbstbestimmungsrecht gestärkt? Mit der Reform wollen wir in der betreuungsrechtlichen Praxis eine Verbesserung des Erforderlichkeitgrundsatzes erreichen, insbesondere auch für Menschen mit Behinderungen. Starke Vorbehalte werden gegen die vorgeschlagenen Regelungen zum gesetzlichen „Notvertretungsrecht“ für Ehegatten vorgetragen.
Der zweite Gesprächskomplex war die Situation der ambulanten Pflege unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie. Berichtet wird von den mulmigen Gefühlen der Pflege(hilfs)kräfte, die in die Haushalte Älterer zu gehen hatten/haben, dem lange Zeit andauernden Mangel an Schutzkleidung, an klaren Regelungen, an Tests und vielem mehr. Es gibt Vorgaben der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung für Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste. Gewünscht werde noch mehr Unterstützung.
„Das Land blutet die ambulante Pflege aus“, so die an die Bundes- und Länderebene gerichtete Aussage - u.a. unter Hinweis auf schlechte Bezahlung, mangelnde Personal-Reserven und Unklarheiten beim Personalmix. Unzufriedenheit herrscht hinsichtlich der Vergabe des „Pflegebonus“. So sei nicht einzusehen, dass die Familienpflege davon nicht profitiere. Beklagt werden ebenfalls die zeitintensiven Dokumentationsanforderungen.
Eine rege politische Diskussion entstand nach dem Hinweis auf „Das Berliner Pflege-Manifest der SPD - Pflege geht uns alle an!“. Dieses diente auf dem Innovationsforum Pflege der Berliner SPD am 30.11.2018 im Willy-Brandt-Haus hunderten Fachvertreter*innen als Grundlage für den Ideen-Austausch. Formuliert werden politische Antworten auf die drängendsten aktuellen Herausforderungen und Zukunftsfragen in der Pflegepolitik. Weitere Einzelfragen habe ich zur weiteren Nachbearbeitung mitgenommen. Ich bedanke mich sehr für das ehrliche und vertrauensvolle Gespräch.
Stadtteilladen „Der Nachbar“
Ebenfalls in der Cranachstraße und ebenfalls in Trägerschaft des Nachbarschaftsheim Schöneberg ist der Stadtteilladen "Der
Nachbar", der zweite Besuch auf meiner Friedenau-Tour. Mich hat sehr gefreut, dass Marijke Höppner, Vorsitzende der SPD Fraktion in der BVV Tempelhof-Schöneberg und Orkan Özdemir, BVV Tempelhof-Schöneberg und nominierter SPD-Direktkandidat für den Friedenauer Wahlkreis zu diesem Gespräch mit Frau Gertraude Langbehn dazugestoßen sind.
Der Stadtteiltreff - "Der Nachbar" ist ein Projekt der Kontaktstelle PflegeEngagement in Kooperation mit dem Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V.. Ziel ist die Verbesserung der Lebensqualität von Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen und die Förderung von insbesondere kleinen, wohnortnahen Initiativen und Gruppen in Tempelhof-Schöneberg. Ein Motto dafür lautet: „Nachbarschaft gemeinsam gestalten - seien sie dabei!“
Berichtet wird über das breite Netzwerk, welches erforderlich ist, um eine lebendige Nachbarschaft für jede und jeden Einzelnen zu ermöglichen. Sehr erfreulich daher die enge Kooperation mit dem Theater der Erfahrungen – Werkstatt der alten Talente. Beeindruckt hat mich auch die Präsentation des Filmes „Jede*r ist eine Nachbar*in – wir alle leben in Nachbarschaften“ und die Überlegungen, die gemacht werden, damit Menschen so lange als möglich auch als pflegebedürftige Person in der eigenen Häuslichkeit verbleiben kann.
Der diesjährige Kulturtag zu Demenz und Migration ist für den 18.12.2020 als Online-Veranstaltung geplant. Ich freue mich schon sehr darauf.
Marijke Höppner (ganz links) und Orkan Özdemir (ganz rechts) - toll, dass ihr mich begleitet habt! (Fotos Mechthild Rawert, MdB)