Nach einem intensiven partizipativem Dialogprozess hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 2020 den „Gesetzentwurf zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts“ vorgelegt, welcher nun im Deutschen Bundestag debattiert wird.
Als zuständige Berichterstatterin im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ist mir sehr an einem Austausch mit der Praxis gelegen.
Aus diesem Grunde fand am 4. Februar 2021 ein digitales Informationsgespräch statt, in dem die Praxis aus verschiedenen Perspektiven noch einmal Wünsche für die neue Gesetzeslage an mich herangetragen hat. Dieser Austausch fand als Livestream statt und steht auf meinem YouTube-Kanal Interessierten auch nachträglich zur Verfügung.
Vorstellung des Gesetzentwurfes und erkannte Änderungsbedarfe
Nach der Begrüßung durch Rieke Sturzenegger, Fachreferentin für den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, habe ich in meinen Ausführungen Zielsetzung und Inhalte des Gesetzentwurfes aber auch sich in der Diskussion befindende Änderungsbedarfe vorgestellt.
Strukturelle Herausforderungen durch die Reform aus Sicht der Betreuungsvereine
Wencke Pohle, Betreuungsverein Marzahn-Hellersdorf, und Marie Schäffler, Humanistischer Betreuungsverein Reinickendorf machten deutlich, dass es auch in Berlin noch einer Stärkung der Betreuungsvereine braucht. Bezirksübergreifend werden die Interessen durch die Interessengemeinschaft der Berliner Betreuungsvereine vertreten.
Frau Pohle begrüßt die Stärkung der Rechte der betreuten Menschen im Gesetzentwurf ausdrücklich und hofft, dass das Gesetz zügig in Kraft tritt. Geplant ist der 1. Januar 2023.
Betreuungsvereine haben zwei Aufgabenbereiche: die rechtliche Betreuung und der Querschnittsbereich Ehrenamt. Häufig würden die Probleme der Betreuungsvereine zu wenig in den Blick genommen, u.a. gibt es eine ausreichende Finanzierung im Betreuung- und Querschnittsbereich gerade auch angesichts wachsender Aufgabenbereiche, die Fluktuation von Mitarbeiter*innen oder der Fachkräftemangel. Aufgezeigt werden auch arbeitsrechtliche Herausforderungen, u.a. wenn Mitarbeiter*innen persönliche Betreuungen in eine Selbständigkeit mitnehmen, wenn es zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommt oder gar zum Tod von Mitarbeiter*innen. Für nicht sinnvoll erachtet wird die Einlagerung von Unterlagen abgeschlossener ehrenamtlicher Betreuungen bei den Vereinen. Probleme werden auch bei der Verhinderungsbetreuung gesehen.
Sowohl für Fremd-Ehrenamtliche als auch für Angehörigen-Ehrenamtliche Betreuer*innen sei ein verbindliches Angebundensein an Betreuungsverein wichtig. Eine bloße Meldepflicht – wie es sie in Berlin auch schon gäbe – sei nicht ausreichend. Die Betreuungsgerichte sollte mindestens die Möglichkeit haben, auf den Abschluss einer Vereinbarung auch bei Angehörigen hinzuwirken. Die Finanzierung wird als nicht ausreichend erachtet.
Gesetzliche Betreuung in besonderen Wohnformen
Herr Norbert Rodermond, Mitglied der Regionalleitung im Tiele-Winckler Haus GmbH erläutert, dass hier alle Menschen, die in besonderen Wohnformen wohnen, eine rechtliche Betreuung haben und dass es eine gute Zusammenarbeit mit den rechtlichen Betreuer*innen gäbe. Zumeist handelt es sich hierbei um Angehörige, in der Regel Eltern. Sein Wunsch sei es, dass es mehr niedrigschwellige Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten für Angehörige. Mit dem BTHG sei der bürokratische Aufwand stark gestiegen, was zu Überforderungen führe. Eltern seien immer in einer Doppelrolle und bräuchten häufig auch Unterstützung bei der Akzeptanz von mehr Selbstbestimmung auf Seiten der betreuten Personen. Die Notwendigkeit einer Beschwerdestelle wird unterstützt. Auch er verweist darauf, dass gerade bei Personen, die eine Unterstützte Kommunikation brauchen, die Kontext- und Schnittstellenarbeit einen gewichtigeren Platz im Betreuungsrecht finden müsse. Gleiches gilt für die Kooperation zwischen Betroffenen und Einrichtungen.
Frau Pohle betont im Anschluss noch mal, dass die Betreuungsvereine genau diese Aufgabe für ehrenamtliche Angehörigen-Ehrenamtlichen übernehmen, übernehmen wollen und sollen.
Unterstützte Kommunikation im Kontext der rechtlichen Betreuung – Notwendigkeiten und Entwicklung zur Stärkung der Selbstbestimmung
Im Rahmen eines filmischen Beitrags veranschaulichen Frau Nele Dierks, Nutzerin der Unterstützten Kommunikation und mit Unterstützung von Assistenz im wohngenossenschaftlichen Inklusionsprojekt VAUBANaise eG lebend, und Herr Lars Tiedemann, Dipl. Heilpädagoge, welche Chancen die Unterstützte Kommunikation bietet, um auch als Frau, die sich aufgrund einer schweren körperlichen Behinderung nicht mit dem Mund sprechen kann, selbstbestimmt durchs Leben zu gehen. Erläutert wurden zahlreiche technische Hilfsmittel und vor allem die benötigte hohe Fachlichkeit der Assistenz leistenden Menschen. Neben der Fachlichkeit ist vor allem auch ein hoher Zeitbedarf anzusetzen, damit die Entscheidungen von Frau Dierks auch zur Geltung kommen. Frau Dierks hat keine rechtliche Betreuer*in sondern hat ihre Wünsche über Vollmachte bzw. über vertraute Menschen geregelt.
Damit die der Reform des Betreuungsrechtes zugrundeliegenden Vorhaben Selbstbestimmung, Autonomie und Teilhabe für Menschen mit Behinderungen Wirklichkeit werden, braucht es das Aufzeigen von Wahlmöglichkeit und auch die Befähigung, Entscheidungen zu treffen. Der von Frau Dierks noch mal deutlich gemachten Einschätzung „Es braucht qualifizierte und geschulte Assistenz für die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrecht“ stimme ich vollumfänglich zu.
Erweiterte Unterstützung im Kontext der rechtlichen Betreuung
Als Experte hatte Jörg Tänzer, in vielfältigen Funktionen im Betreuungswesen unterwegs, im Rahmen des dem Gesetzentwurf vorausgegangenen Dialogprozesses an einzelnen Facharbeitsgruppen teilgenommen. Er erläuterte, dass es immer auch um finanzielle Interessensauseinandersetzungen zwischen den föderalen Ebenen sowie den Aufgaben und Haushalten verschiedener Ressorts, u.a. von Justiz und Soziales gegangen wäre. Er fordert ein bundesweites Modellprojekt zur Erweiterten Unterstützung, in dem die Betreuungsrichter eine zentrale Rolle spielen. Der Bund sei gehalten, Qualitätskriterien zu definieren, um auf deren Basis entscheiden zu können, ob eine erweiterte Unterstützung oder eine rechtliche Betreuung dem Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person am nächsten kommt. Jedoch können Länder womöglich sogar Geld sparen, in dem erweiterte Unterstützung eingesetzt wird durch. Entsprechende Regelungen seien u.a. im § 279a FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) zu treffen.
Betreuungsrecht weiterhin als Daueraufgabe
Dieses Gespräch hat deutlich gemacht, dass auch nach der Verabschiedung einer guten Reform des Betreuungsrechts zahlreiche Herausforderungen in der Praxis bestehen. Die dafür zuständigen Stellen sind dann überwiegend auf der Länder- und kommunalen bzw. bezirklichen Ebene zu verorten. Im Rahmen meiner Möglichkeiten werde ich mich auch hier stark machen.
(Portrait Mechthild Rawert, MdB: DBT / Stella von Saldern)