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IDAHOBIT 2021 - Unser Regenbogenkiez - Kultur und Medien während und nach der Corona-Pandemie

Am 17.05.21 haben mein Team und ich anlässlich des Internationalen Tages gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie eine diskussionsreiche und gleichzeitig sehr lebendige Veranstaltung im INCOGNITO Showpalast in Berlin-Schöneberg veranstaltet. Lesen Sie hierzu gerne einen umfassenden Artikel und erhalten Sie weitere Informationen, auch zur Thematik der Veranstaltung und den Teilnehmenden selber. 

Weiter möchte ich Sie dazu einladen, sich auf YouTube nachträglich die Veranstaltung anzuschauen. Im Folgenden lesen Sie eine Zusammenfassung der Beiträge der Teilnehmenden. Diese erfolgt auf Grundlage der Live-Mitschrift unserer Schriftdolmetscherin Margret Meyer. 

Veranstaltungsablauf

(1)    Begrüßung und thematische Einführung: Mechthild Rawert (MdB, Mitglied im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz)
Vorstellung des Showpalastes INCOGNITO: Tina De Vinta (Chefin und Mutter Theresa vom INCOGNITO)

(2)    Aktuelles aus der SPD-Bundestagsfraktion: Kultur in und nach der Pandemie: Martin Rabanus (MdB, Sprecher für Kultur und Medien der SPD-Bundestagsfraktion)

(3)    Musikalische Einlage: „Wer schmeißt denn da mit Lehm | Corona-Edition“, Sigrid Grajek (Sängerin, Kabarettistin)

(4)    Video: Mechthild Rawert zu Besuch im „Regenbogenkiez“ im Schöneberger Norden

(5)    Diskussionsrunden zu „Kreativität als Lebenselixier“ moderiert durch Margot Schlönzke (Entertainerin, Polit-Tunte, Sängerin):

  1. Diskussionsrunde 1 aus der bundespolitischen Sicht mit Sigrid Grajek, Martin Rabanus und Olaf Möller (OM Consult & Event GmbH, Vorstand Regenbogenfonds e.V.)
  2. Diskussionsrunde 2 aus der landespolitischen Sicht mit Michael Biel (Bürgerdeputierter in der BVV Tempelhof-Schöneberg), Ralph Ehrlich (Preisträger des Rainbow Award 2015 des lesbisch-schwulen Stadtfestes) und Tina De Vinta

(6)    Video: „2020 - Du warst ein blödes Jahr“, Margot Schlönzke

(7)    Schlussworte und Ausblick auf 2021, Mechthild Rawert

 

(1) Begrüßung und thematische Einführung

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen laut Mechthild Rawert die besonderen Nöte der Kulturbranche und der in ihr Tätigen während der Corona-Pandemie. Wie konnte die SPD-Bundestagsfraktion in der Regierung die Kultur- und Medienschaffenden erreichen und was will sie weiterhin für diese tun?

Warum an diesem 17. Mai? Am 17. Mai 1990 strich die Weltgesundheitsorganisation Homosexualität von der Liste psychischer Krankheiten. Wir gedenken an diesem Tag der ermordeten und verfolgten Homo-, Inter- und Transsexuellen.  Der 17. Mai war in Berlin auch stets der Auftakt der CSD-Saison - und wir wünschen uns einen CSD im Sommer 2021 - sofern die Corona-Pandemie es zulässt.


Vorstellung des Showpalastes INCOGNITO

Tina De Vinta heißt alle im berlin- und deutschlandweit bekannten INCOGNITO willkommen. In diesem Showpalast treten in „normalen“ Zeiten Künstler*innen aus ganz Deutschland auf. Hier findet 4- 5 Mal im Jahr wird eine völlig ausgebuchte Travestieshow statt. Eigentlich hätte das INCOGNITO im Jahr 2020 sein 10-jähriges Jubiläum gefeiert. Leider mussten die Feierlichkeiten 2020 als auch 2021 abgesagt werden.


(2) Aktuelles aus der SPD-Bundestagsfraktion: Kultur in und nach der Pandemie

Kunst und Kultur gehören zu den am stärksten von den notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie betroffenen Branchen, so Martin Rabanus. In Folge der Schließungen fallen nahezu alle finanziellen Einnahmen weg, während Fixkosten wie Miete etc. weiter fortbestehen. Der SPD-Bundestagsfraktion ist diese Schieflage bewusst. Sie will Betroffene – Kultureinrichtungen aber vor allem auch Künstler*innen und Medienschaffende - u.a. durch verschiedene Programme unterstützen, um die Corona-Krise überstehen zu können. Kunst und Kultur sind systemrelevant. Als Teil der Bundesregierung konnte die SPD bereits vieles erreichen: Mit dem Instrument des Kurzarbeiter:innengeldes wurden Jobs im siebenstelligen Bereich gerettet. Doch gerade in der Kulturbranche sind viele nicht in Regelarbeitsverhältnissen beschäftigt. Eine soziale Absicherung ist häufig nicht (mehr) vorhanden. Soloselbstständige benötigen andere Hilfs- und Unterstützungsformen. Die SPD hat sich deshalb für spezielle Unterstützungsprogramme für Kulturschaffende stark gemacht. Neben den Wirtschaftshilfen (Überbrückungshilfen, sogenannte „November- und Dezemberhilfen“ etc.) steht Betroffenen aus der Kunst- und Kulturszene ein spezielles Rettungspaket zur Verfügung: NEUSTART KULTUR, mit dem der Kulturbetrieb und die kulturelle Infrastruktur stabilisiert werden soll. Derzeit wird ein neues Programm geplant, welches dabei helfen soll, das kulturelle Leben wieder hochzufahren. Wir wollen die anstehenden Öffnungen der Kultureinrichtungen coronaangepasst forcieren und Kultureinrichtungen beim Wiedereinstieg in ein kulturelles Leben Planungssicherheit geben. Kultur soll überall auf dem Lande ebenso wie in den Ballungsräumen erlebbar sein. Vielfalt, Pluralität, dass jede:r das eigene Leben wie gewünscht leben kann - dafür steht die SPD.


(3) Musikalische Weltpremiere, geschrieben und gesungen von Sigrid Grajek auf der Musik von Claire Waldoff

Wer schmeißt denn da mit Lehm | Corona-Edition

Die Menschen heutzutage sind alle so nervös

Wegen jeder kleinen Kleinigkeit, da werd’n se giftig bös.

Schimpft einer auf den andern, dann sing ich mit Humor,

damit er nicht mehr schimpfen muß, mein kleines Liedchen vor.

Refrain:

Wer schmeißt denn da mit Lehm, der sollte sich was schäm‘,

der sollte auch was and‘res nehm‘ als ausgerechnet Lehm.

Wir hocken auf dem Sofa seit mehr als einem Jahr

Und wissen heute gar nicht mehr, wie’s mal auf Partys war.

Kommt ein Fremder uns zu nahe, dann meckern wir ihn an:

„Mensch, halten Se mal Abstand und packen Se mich bloß nich an!“

Refrain: Wer schmeißt denn da mit Lehm….

Die einen schrei‘n nach Freiheit und fühl’n sich eingesperrt,

das finden wieder Andere so ganz und gar verkehrt.

Auf Twitter und auf Facebook haut man sich klein und kurz.

Das Virus lacht sich scheckig, dem ist das völlig schnurz.

Refrain: Wer schmeißt denn da mit Lehm….

Es gibt hier keine Impfpflicht, das ist auch richtig so,

denn jeder, der vernünftig ist, der impft sich sowieso.

Die, die dagegen wettern, die müssen’s auch nicht tun,

Die macht ganz solidarisch die Herde mit immun.

Refrain: Wer schmeißt denn da mit Lehm….

So’n klitzekleines Virus schießt das Leben aus der Bahn,

da hilft nur leider gar nicht die Flucht in einen Wahn.

Mit Freundlichkeit und Weitsicht und Solidarität,

da schaffen wir es besser, daß die Welt sich weiterdreht.

Refrain: Wer schmeißt denn da mit Lehm….


(4) Video: Mechthild Rawert zu Besuch im „Regenbogenkiez“ im Schöneberger Norden

 

(5) Diskussionsrunden zu „Kreativität als Lebenselixier“ moderiert durch Margot Schlönzke (Entertainerin, Polit-Tunte, Sängerin)

Margot Schlönzke ist auch als Moderation ein Gewinn: gut vorbereitet, sachkompetent, fix in den Nachfragen, stetig wertschätzend – eine gute Wahl. Herzlichen Dank.


a)      Diskussionsrunde 1 aus der bundespolitischen Sicht mit Sigrid Grajek, Martin Rabanus und Olaf Möller (OM Consult & Event GmbH, Vorstand Regenbogenfonds e.V.)

Welche Herausforderungen bedeutet die Corona-Pandemie für Kunst- und Kulturschaffende?

Zu Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland wusste niemand so genau, was nun kommen würde. Dennoch war den meisten schnell klar, dass sich die Pandemie länger hinziehen würde. Für Kunstschaffende bedeuten die angeordneten Schließungen der künstlerischen Infrastruktur der Wegfall ihrer finanziellen Einnahmen. Um über die Runden zu kommen, suchten viele gezwungenermaßen nach beruflichen Alternativen. Die Sängerin Sigrid Grajek beispielsweise hielt viele Trauerreden. Um mit dem Publikum in Kontakt zu bleiben, boten viele Kultureinrichtungen digitale Live-Streamings an, die allerdings das Kulturerlebnis in einem dreidimensionalen Raum nicht ersetzen können.

Olaf Möller, Vorstandsmitglied aus dem sich in der Queer-Community engagierenden Verein Regenbogenfonds e.V., bekräftigt die finanzielle Notlage der Kunst- und Kulturszene. Viele Einrichtungen haben nun seit über 14 Monaten geschlossen. Das vom Sommer auf den 02. / 03. Oktober 2021 verschobene 28. Lesbisch-schwule Stadtfest Berlin (Motzstraßenfest) ist vielen eine Hoffnung. Finanzielle Sorgen bleiben, denn wegen der geltenden Corona-Regeln – Abstandsregeln, Hygienemaßnahmen – wird mit beträchtlich weniger Spendeneinnahmen gerechnet. Nicht unerwähnt bleiben darf aber ein riesiger politischer Erfolg, für den jahrelang gekämpft wurde: Clubs sind nun Kultureinrichtungen statt Vergnügungsstätten. Der Deutsche Bundestag hat Anfang Mai einen Antrag beschlossen, der die Clubkultur in Deutschland aufwertet und im Baurecht besserstellt. Eine Folge dieser neuen Perspektive ist, dass Clubs in Innenstädten nun stärker vor Verdrängung geschützt sind, eine andere, dass es nun zu einer Weiterentwicklung der clubkulturellen Vielfalt in ganz Deutschland kommen wird.

Immer wieder wird deutlich, dass die Beantragung der finanziellen Unterstützungshilfen eine äußerst komplexe Angelegenheit ist. Für Selbstständige ist es mitunter gar nicht möglich, einen Nachweis über kontinuierliche Betriebskosten vorzulegen, was in den meisten Programmen allerdings eine Voraussetzung zum Erhalt finanzieller Hilfen ist. Viele Betroffene wünschen sich eine Art Kurzarbeiter:innengeld für Künstler:innen bzw. einen Unternehmer:innenlohn. Martin Rabanus informiert darüber, dass aktuell ein neuer Sonderfonds für Kulturveranstaltungen geplant werde, der für kulturelle Veranstaltungsbetriebe Ausfallshilfen bereit hält, falls künftige Veranstaltungen coronabedingt doch wieder ausfallen müssten. So solle das Einkommen der Menschen, die in Kulturberufen arbeiten und ermöglichen, gesichert werden und Kulturbetriebe endlich wieder in die Normalität kommen können.

Wie kann es nach der Krise weitergehen?

Konsens unter den Teilnehmenden ist: Eine „Lehre“ aus der Pandemie muss die Schaffung besserer Vorsorge-Rahmenbedingungen für Künstler:innen sein. Durch ihre Selbstständigkeit und die fehlende soziale Absicherung sind Kulturschaffende mehr als andere Berufe und Tätigkeiten von Armut bedroht. Auch müssen Regeln zur Sicherung der kulturellen Infrastrukturen geschaffen werden. Ohne Kultur wird es roh. Kultur ist gesellschaftliche Weiterentwicklung und sie fördert eine empathische Haltung. Die Krise hat zudem gezeigt, wie wichtig der gegenseitige Dialog, wie wichtig eine empathische Gesprächskultur ist. Nur durch ein Aufeinanderzugehen und stärkeres Miteinander anstelle eines Gegeneinanders sind gemeinsame und solidarische Lösungen zu erreichen. Eine solche Haltung ist auch angesichts der vielfältigen Debatten zur aktuellen Pandemielage wichtig. Nicht alle, die Corona-Maßnahmen kritisieren, sind automatisch Corona-Leugner:innen und Querdenkende. Viele haben schlicht Angst und reagieren mit Realitätsausblendung. Diese dürfen nicht pauschal stigmatisiert und diskreditiert werden.


b)      Diskussionsrunde 2 aus der landespolitischen Sicht mit Michael Biel (Bürgerdeputierter in der BVV Tempelhof-Schöneberg), Ralph Ehrlich (Preisträger des Rainbow Award 2015 des lesbisch-schwulen Stadtfestes) und Tina De Vinta

Welche Bedeutung hat der Schöneberger „Regenbogenkiez“ für die queere Community?

Die Nöte der Kulturschaffenden stehen auch in dieser Runde im Mittelpunkt. Tina De Vinta berichtet, dass die Corona-Pandemie direkt nach der teuren Neurenovierung des INCOGNITO begann. Seit Monaten fehlen die Einnahmen, während andere Kosten wie Mietkosten und GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte)-Gebühren konstant weitergezahlt werden müssen. Auch die Erstellung und Einhaltung des Hygienekonzeptes verursacht zusätzliche Kosten. Deutlich wird in der Diskussion aber auch, dass es guter Beratungsstrukturen braucht. 

CSD-Aktivist Ralph Ehrlich hat ähnliche Erfahrungen gemacht. So musste der Christopher Street Day im Jahr 2020 gänzlich abgesagt werden. Einnahmen waren gleich null. Für dieses Jahr hofft man auf eine Durchführung im Spätsommer. Zusätzlich zu den finanziellen Verlusten betont er die Notwendigkeit der queeren Infrastruktur: Für nicht-heterosexuelle Menschen fungieren Bars, Kneipen, Clubs und Feste wie der CSD durchaus auch als Rückzugsort, als „safe spaces“ : Wichtige Strukturen, innerhalb derer mensch offen und frei Gleiche kennenlernen kann, ohne Angst vor Diskriminierung und scheelen Blicken, da mensch nicht der vermeintlichen „Norm“ entspricht. Dieser besondere Schutz und Erhalt der queeren Infrastruktur ist deshalb grundsätzlich wichtig. Der Regenbogenkiez rund um den Berliner Nollendorfplatz hat deshalb für den Bezirk, für ganz Berlin, eine so große Bedeutung.

Dem stimmt Michael Biel, Bürgerdeputierter in der BVV Tempelhof-Schöneberg und Kandidat für Schöneberg (Wahlkreis 2) für das Berliner Abgeordnetenhaus 2021 zu: Als er vor Jahren das erste Mal im Regenbogenkiez gewesen sei, hat er ein Gefühl der Freiheit erlebt. Dies ist als schwuler Mann immer noch nicht überall selbstverständlich. Hier im Nollendorfkiez fühlt sich mensch akzeptiert - unabhängig von Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung. Der Erhalt der queeren Infrastruktur liegt ihm persönlich sehr am Herzen. Weshalb er im März 2021 gemeinsam mit der Bezirksverordneten und ebenfalls Kandidatin für das Abgeordnetenhaus Wiebke Neumann eine Aktion zur Rettung des Regenbogenkiezes ins Leben gerufen hat. Unter dem Motto #RegenbogenkiezRetter:innen haben sie dazu aufgerufen, in den sich im Kiez ansässigen Geschäften einzukaufen. Auch dieser Aufruf dient dazu, die Gewerbetreibenden zu unterstützen und Strukturen aufrecht zu erhalten.

Wie kann die queere Infrastruktur besser geschützt und erhalten bleiben?

Ralph Ehrlich wünscht sich vonseiten der Berliner Landespolitik die Finanzierung einer Art eines festen und ausfinanzierten Ortes für die queere Szene, so beispielsweise ein spezielles Kulturhaus. Michael Biel sieht besonders im Gewerbebereich Veränderungsbedarf: Denn im Gewerberecht gibt es (noch) keine Mietbremsen - für viele Künstler:innen und Gewerbetreibende eine finanzielle Herausforderung. Hier bedürfe es dringend politischer Maßnahmen.


(6) Video: „2020 – Du warst ein blödes Jahr“

 

(7) Schlussworte und Ausblick auf 2021

Mechthild Rawert erklärt im Namen aller: 2020 hat von jeder und jedem viel abverlangt. Es ist nun Zeit, nach vorne zu schauen: 2021 soll ein besseres Jahr werden. Die heutige Veranstaltung hat wieder einmal klar gemacht, dass Kunst und Kultur wertvolle gesellschaftliche Kräfte sind, die es zu erhalten gilt. Lasst sie uns gemeinsam wertschätzen. Und lasst uns gemeinsam für den Erhalt der queeren Infrastruktur einstehen.

 

 

P.S.: Selbstverständlich wurde ein umfassendes Hygienekonzept eingehalten. Der Infektionsschutz war somit gewährleistet und dank der Luca-App auch noch weiterhin kontrolliert.

(Foto: Mechthild Rawert, MdB)