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Barrierefreiheit endlich umfassend angehen

Digitale Fraktion-vor-Ort-Veranstaltung „Barrieren abschaffen, Lebensqualität erhöhen – Inklusion geht uns alle an“

Barrierefreiheit ist mehr als „nur“ eine Rollirampe. Das machten Mechthild Rawert, Klaus Mindrup und ihre Gäste schon am Beginn ihrer Veranstaltung klar. Einigkeit herrschte auch darüber, dass wir vom Ziel einer umfassenden Barrierefreiheit und Inklusion immer noch weit entfernt ist. So bleiben auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen noch viele dicke Bretter zu bohren. Dabei gibt es laut UN-Behindertenkonvention Rechtsansprüche auf Abbau der technischen, baulichen, kommunikativen und digitalen Barrieren, denen Menschen mit Beeinträchtigungen tagtäglich ausgesetzt sind. Weitere Informationen, u. a. einige Präsentationen, finden Sie am Ende des Artikels.

Der Anspruch der gemeinsam von den Berliner Bundestagsabgeordneten Mechthild Rawert und Klaus Mindrup veranstalteten digitalen Fraktion-vor-Ort-Veranstaltung „Barrieren abschaffen, Lebensqualität erhöhen – Inklusion geht uns alle an“ am Donnerstag, den 15. Juli, war eindeutig. Wer eine inklusive Gesellschaft will, muss die Barrieren in den Köpfen angehen: „Daher ist es ganz wichtig, ein öffentliches Bewusstsein für die vielfältigen gesellschaftlichen Barrieren, denen behinderte Menschen ausgesetzt sind, zu schaffen. Wir müssen und wollen die Interessen von Betroffenen auf allen politischen Ebenen vertreten“, so Rawert. Gemeinsam mit Klaus Mindrup zeigte sie sich nach der Veranstaltung erfreut über die vielen Anregungen aus der Zivilgesellschaft und von interessierten Bürger:innen. „Das nehmen wir natürlich mit in die SPD-Bundestagsfraktion“, versprach Mindrup.

„Wir stehen vor einem Jahrzehnt der Veränderungen“

Zunächst stellten die beiden Berliner Bundestagsabgeordneten einige Erfolge der inklusionspolitischen Arbeit der SPD in dieser Wahlperiode vor. So z. B. durch die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechtes mehr Selbstbestimmung in der rechtlichen Betreuung, ein inklusives Wahlrecht, ein modernes Teilhaberecht, Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt oder auch die Stärkung des Verbraucher:innenschutzes für Menschen mit Beeinträchtigungen. Auch die Hilfen für die Dienste der sozialen Arbeit über das Sozialdienstleister-Einsatzgesetz, von dem auch viele Träger der Behindertenhilfe während der Corona-Pandemie profitierten, gehen auf den Druck der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zurück.

Klaus Mindrup fokussierte sich als Mitglied im Ausschuss Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen in seinem Impuls vor allem auf den Zusammenhang von sozialem Wohnungsbau, Barrierefreiheit und ökologischer Nachhaltigkeit. Für das kommende Jahrzehnt plädierte Mindrup für große Investitionen in das alters- und behindertengerechte Bauen. Mindrup hob hervor: „Wir dürfen die Interessen der Menschen mit Beeinträchtigungen nicht vergessen.“

Barrierefreiheit darf keine Vision bleiben

In der Folge hatten dann Vertreter:innen aus der Zivilgesellschaft und von Betroffenenverbänden das Wort. Reik Lehmann von den Berliner Delphin Werkstätten des Sozialdienstes katholischer Frauen e.V. Berlin betonte, dass Inklusion nur gelingen könne mit mehr Barrierefreiheit u.a. im Bildungsbereich, im öffentlichen Raum und in den öffentlichen Verwaltungen, im Bereich der Kommunikation und Information, ja: auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Als Praktiker wusste Lehmann sehr anschaulich davon zu berichten, wo der Schuh drückt (vgl. auch seine Präsentation). Für die Zukunft wünscht er sich von allen Verantwortlichen die Organisation besserer inklusiver Übergänge in den allgemeinen Arbeitsmarkt und eine höhere Sensibilisierung und mehr Qualifizierung des Personals in Behörden und Betrieben für die vielen Bedarfs von Menschen mit Behinderungen.

Ganz analog zu Reik Lehmann argumentierten auch Sigrid Zwicker vom Schöneberger Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum in der UFA-Fabrik e.V. (NUSZ) und Manfred Scharbach vom Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin gegr. 1874 e.V. (ABSV). Ausgangspunkt war für beide das Leitbild einer inklusiven Gesellschaft mit vielen inklusiven Sozialräumen. Scharbach machte deutlich, dass die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) der rechtliche Rahmen sein muss, an dem sich Politik auf allen föderalen Ebenen in Deutschland zu orientieren hat. Der Widerspruch zwischen den Zielen der UN-BRK und der politischen, gesellschaftlichen und administrativen Praxis ist demgegenüber leider immer noch viel zu groß.

Sowohl Zwicker als auch Scharbach wussten aus ihrem beeindruckenden jahrzehntelangen Engagement von den immer noch eklatanten Barrieren für Menschen mit Behinderungen zu berichten. Sigrid Zwicker sprach sich für die Zukunft für eine stärkere finanzielle Förderung von inklusiven Räumen und eine an den individuellen Beeinträchtigungen ausgerichtete Qualifizierung von Personal aus (vgl. Präsentation). Für Manfred Scharbach, der selbst vollblind ist, war klar: „Echte politische Teilhabe gibt es nur mit barrierefreier Kommunikation.“ Dabei nahm er auch die Veranstalter:innen nicht von seiner Kritik aus, da zwar ein Schriftdolmetschung aber keine Gebärdensprachdolmetschung ermöglicht worden ist.

Janis Hantke, die als SPD-Abgeordnete in der BVV Tempelhof-Schöneberg seit Jahren mit viel Herzblut für die Belange von Behinderten streitet, konnte sich den Impulsen aus der Zivilgesellschaft nur anschließen. Sie mahnte hohe Standards auf allen Ebenen an: Beim Neubau und bei der Sanierung von Gebäuden, bei der Ausbildung von Mitarbeiter:innen in der Verwaltung und in Betrieben und in der öffentlichen Kommunikation. Hantke sprang Manfred Scharbach bei: „Tresen in den Bürgerämtern sind viel zu oft auf Stehtischhöhe. Und blinde Menschen bekommen immer noch zu oft Bescheide, die sie gar nicht lesen können.“ Immerhin: Bei vielen Mitarbeiter:innen des Bezirksamtes Tempelhof-Schöneberg steige das Bewusstsein für den notwendigen Abbau von Barrieren, u.a. auch durch das „Bezirkliche Inklusionskonzept gemäß UN-BRK im Bezirk Tempelhof-Schöneberg"

Auch nach der Wahl am 26.9.2021: Es bleibt viel zu tun!

In der anschließenden Diskussion äußerten sich viele Betroffene und in der Inklusionspolitik engagierte Menschen. Aus den Reihen des ABSV wurde mit Nachdruck die große Gefahr angesprochen, die von E-Scootern für blinde Menschen und andere Beeinträchtigte ausgeht. Viele Betroffene befürchten eine Verdrängung aus dem öffentlichen Raum. Es wurde auch darauf verwiesen, dass es für Menschen mit Behinderungen insbesondere in ländlichen Regionen in Deutschland einen noch größeren Bedarf an Barrierefreiheit gebe als in Berlin. Klaus Mindrup versprach, diese Sorgen an die entsprechenden Politiker:innen in der SPD-Bundestagsfraktion weiterzugeben.

Am Ende der diskussionsreichen zwei Stunden stand einmal mehr die Erkenntnis: Nur wenn Politik und Betroffene einen Austausch auf Augenhöhe pflegen, gelingt eine gute Interessenspolitik für Menschen mit Beeinträchtigungen. Dazu gehört auch, dass sich Politiker:innen den kritischen Anmerkungen aus der Praxis stellen.

AnhangGröße
Präsentation "Barrieren abschaffen, Lebensqualität erhöhen" von Reik Lehmann, Delphin-Werkstätten, SkF Berlin e.V. 864.03 KB
Präsentation "Inklusiver Sozialraum Tempelhof -Schöneberg" von Sigrid Zwicker, Geschäftsführerin, Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum in der UFA-Fabrik e. V.2.64 MB
Schriftliche Zusammenfassung der Veranstaltung288.74 KB