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Ein Besuch in Straßburg macht Lust auf Europa

Johannes Sumser, Teilnehmer der Reise, berichtet:

Ich möchte von einem Besuch der europäischen Institutionen in Straßburg erzählen. Vom 11. bis 14. April 2017 hatte ich Gelegenheit in einer Gruppe von 30 Personen an einer Reise zu den europäischen Institutionen in Straßburg teilzunehmen. Die Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert (SPD) aus dem Wahlkreis Berlin-Schöneberg ist zugleich stellvertretendes Mitglied der parlamentarischen Versammlung beim Europarat. So hat sie die Möglichkeit, Bürgerinnen und Bürger zum Besuch Straßburgs einzuladen, damit diese sich über europäische Institutionen informieren können. Diese Reise wurde vom Bundespresseamt organisiert und aus dem Bundeshaushalt finanziert. Begleitet wurde die Gruppe von Manuela Harling, einer Mitarbeiterin im Abgeordnetenbüro. Während der Zugfahrt und beim ersten abendlichen Besuch eines typisch elsässischen Restaurants ergaben sich vielfältige Möglichkeiten des Kennenlernens. In Straßburg wurden wir von Michel Schirck empfangen, der uns in Straßburg begleitete und uns diese Stadt mit vielfältigen Informationen näher brachte. Zugleich fand die Reise zu einem besonderen Zeitpunkt statt. Am Sonntag zuvor hatte die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen stattgefunden. Emmanuel Macron und Marine Le Pen standen sich nun für die entscheidende zweite Runde gegenüber und damit war die Frage drängend aufgeworfen: „Europa: ja oder nein?“.

Zu Besuch einer Sitzung der Parlamentarischen Versammlung beim Europarat

Der nächste Tag begann mit dem Besuch einer Sitzung der Parlamentarischen Versammlung beim Europarat, dem z.Zt. 47 Staaten angehören. Sein Ziel ist die Entwicklung und der Schutz der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit, wie etwa des Rechts auf Leben, des Rechts auf Freiheit und Sicherheit, der Freiheit des Denkens, der Freiheit der Meinungsäußerung, der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, dem Verbot der Folter sowie der Sklaverei und der Zwangsarbeit.

Die Debatte während der Sitzung drehte sich um einen Bericht der österreichischen Abgeordneten Gisela Wurm: „Schutz von weiblichen Flüchtlingen vor Gewalt aufgrund des Geschlechts (Protecting refugee women from gender-based violence, Doc. 14284)“. Dieser Bericht beschreibt und prangert Fälle von Gewalt und inhumanen Situationen gegen Frauen und Kinder während ihrer Flucht wie auch in den Flüchtlingsunterkünften an, etwa Vergewaltigungen, aber auch, beispielsweise, dass es Unterkünfte gibt, in denen Toiletten und Duschen nicht abschließbar oder ohne Beleuchtung sind. Der Bericht stellt die dringende Notwendigkeit von sofortigen Schutzmaßnahmen heraus. Alle Teilnehmer der Debatte, bzw. alle Teilnehmerinnen der Debatte denn sicherlich 90 % von ihnen waren weiblich, hoben die Sorgfalt und die Genauigkeit des Berichts hervor und unterstrichen ihrerseits verschiedene Aspekte der Dringlichkeit sofortiger Maßnahmen. Dieser Bericht und die Debatte machten deutlich, in welchem Maß Probleme nur grenzüberschreitend, also gesamteuropäisch, gelöst werden können.

Die Gleichberechtigung aller Mitglieder des Europarates zeigt sich auch daran, dass, während den Sitzungen alle Abgeordnete ihre Rede in ihrer Muttersprache halten können. Die offiziellen Sprachen sind zwar englisch und französisch, zusätzlich sind deutsch, italienisch und russisch Arbeitssprachen. Während den Sitzungen wird jedoch aus und in alle Sprachen übersetzt. Die Kabinen des Übersetzungsdienstes füllen dementsprechend das komplette Rund des Plenarsaales.  



Da Mechthild Rawert im Deutschen Bundestag eine Rede halten musste, führten wir die anschließende Diskussion mit Gabriele Heinrich, MdB und Mitglied der parlamentarischen Versammlung beim Europarat. Die Fragen und Diskussionspunkte bezogen sich auf die Funktionsweise des Europarates, die Unterschiede in den Auffassungen zwischen den Mitgliedern (gedacht wurde hierbei etwa an die aktuellen Regierungen der Türkei und Rußlands), die Einführung der Todesstrafe als Ausschlussgrund aus dem Europarat, die Vermutung, dass einzelne Regierungen sich zu einem antieuropäischen Netzwerk zusammengeschlossen haben könnten, besonders jedoch die Kraft des Europarates für die Menschen- und Freiheitsrechte sowie für die Rechtstaatlichkeit einzutreten. Frau Heinrich führte in sehr couragierter und überzeugender Art und Weise aus, wie wichtig es ist, ebenso geduldig wie hartnäckig für diese Ziele zu arbeiten.

Besuch des Europäischen Parlaments

Der Nachmittag war reserviert für den Besuch des europäischen Parlaments im Louise-Weiss-Gebäude, natürlich wieder mit dem Ziel, sich über dessen Arbeit zu informieren. Louise Weiss war eine französische Politikerin, Schriftstellerin, Journalistin und Feministin, eine Europäerin der ersten Stunde. “Das Europäische Parlament ist das einzige direkt gewählte Organ der Europäischen Union. Es ist, gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union, Gesetzgeber und erlässt mit ihm zusammen den EU-Haushalt. Es vertritt mit seinen 751 direkt gewählten Mitgliedern die 500 Millionen Bürgerinnen und Bürger der EU und spielt eine bedeutende Rolle bei der Wahl der Europäischen Kommission” (Broschüre: Das Europäische Parlament).

Wir wurden von einem Mitarbeiter des Besucherservices empfangen. Das Gebäude ist so gebaut, dass nicht alle Etagen bis nach ganz oben ausgeführt sind und zeigt so, dass Europa unfertig ist und immer weiter ausgebaut werden muss. Die Glasfassaden des Gebäudes vermitteln einen Eindruck von Transparenz und Helligkeit. Beim Gang durch das Gebäude beeindruckte die sehr moderne Architektur. Elegant verbindet die doppelläufige Wendeltreppe die Etagen. Sie knüpft an Vorbilder bei Leonardo da Vinci an und symbolisiert mit ihrer ineinander verschlungenen Struktur die französisch-deutsche, die deutsch-französische Freundschaft.

Im Plenarsaal konnten wir uns, leider außerhalb einer Plenarsitzung, über die Arbeitsweise und Aufgaben des europäischen Parlaments, die Fraktionen, die Bedeutung des Fraktionsstatus, die Sitzordnung und Einzelaspekte der Geschäftsordnung informieren. Ein Film zeigte die Entwicklung der europäischen Zusammenarbeit, beginnend mit der auf französische Initiative entstandenen Montanunion. Dass dies bereits wenige Jahre nach den verheerenden Zerstörungen und den unzähligen Opfern des 2. Weltkriegs möglich war, gehört zu den beeindruckenden Erinnerungen. In einem weiteren Informationsgespräch konnten nach einem einführenden Film gezielt Fragen gestellt werden. Hier ging es um die Entscheidungskompetenz des europäischen Parlaments, die direkten Parlamentskosten im Verhältnis zu den wesentlich umfassenderen Ausgaben für Projekte und Programme der EU, etwa für strukturschwache Regionen, wie auch um das Gewicht der in der EU zusammengeschlossenen Staaten, aber auch vor allem um das Gewicht und die eigenständige Vertretung der europäischen Regionen sowie die Probleme, die sich aus dem doppelten Sitz des europäischen Parlaments ergeben.

Besuch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Besonders spannend fand ich am nächsten Tag den Besuch der dritten europäischen Institution in Straßburg, des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Schon vor dem Gebäude sahen wir am Ufer der Ill kleine Zelte aufgeschlagen. Hier leben Menschen, die in ihrer Sache demonstrieren und auf ein Urteil des Gerichtshofs hoffen.

In einem wiederum einführenden Film wurde uns die Entstehungsgeschichte des Gerichtshofs gezeigt. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist ein Organ des Europarats. Er wacht über die angemessene Beachtung der europäischen Konvention für Menschenrechte, die einzuhalten sich die 47 Mitglieder des Europarats verpflichtet haben. Jedes Mitgliedsland hat das Recht einen Richter vorzuschlagen, über dessen Ernennung die parlamentarische Versammlung beim Europarat entscheidet. Die Amtsperiode beträgt 9 Jahre und kann nicht verlängert werden. Die Richter sind vollständig unabhängig, insbesondere nicht ihrem Herkunftsland verpflichtet. Je nach Fall, kann die Klage von einem Einzelrichter, in einer 7-er Kammer oder von der Großen Kammer bestehend aus 17 Richtern entschieden werden. Etwa 250 juristische Referenten arbeiten ihnen zu. Wir hatten Gelegenheit mit einem solchen, deutschsprachigen Juristen zu sprechen. Er erläuterte uns die Arbeitsweise des Gerichtshofs und beantwortete unsere Fragen. Dabei legte er besonderes Gewicht auf den Umstand, dass sowohl die Konvention wie auch der europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht den jeweils nationalen Rechtsweg ersetzen kann – und will. Dies bedeutet, dass der Gerichtshof erst angerufen werden kann, wenn die nationalen Rechtsmittel ausgeschöpft sind, oder nachgewiesen werden kann, das ein faires Verfahren im Rahmen der nationalen Gerichtsbarkeit nicht erreicht werden kann. Erst wenn dies nachgewiesen ist, kann die inhaltliche Prüfung des Anliegens erfolgen. Mehr als 50.000 Klagen werden jährlich eingerecht. Viele diese Klagen erfüllen jedoch nicht die unabdingbar notwenigen Voraussetzungen. Die meisten Urteile betreffen die fehlende rechtliche Angemessenheit oder unangemessen lange Dauer von Verfahren, der Schutz des Eigentums, schwerwiegende Verletzungen des Rechts auf Leben oder das Verbot der Folter ebenso wie inhumane oder herabwürdigende Behandlung.

Der Gerichtshof selbst hat keine Mittel, seine Urteile durchzusetzen. Die Zuständigkeit hierfür liegt beim Europarat. Zur Realität Europas gehört auch, dass die Durchsetzung der Urteile teilweise langandauernde Bemühungen erfordert.

Erkundung Straßburgs

Der Nachmittag gehörte der Erkundung Straßburgs, einer Stadt, die unter dem 2. Weltkrieg sehr gelitten hat und heute zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört. Eine Bootsfahrt auf der Ill führte uns rund um die Altstadt und, nun per Schiff, nochmals hinaus zu den europäischen Institutionen, diesmal aus der Wasserperspektive. Die sehr sachkundige Führung unseres Straßburger Begleiters brachte uns beim anschließenden Stadtrundgang die Stadt sehr nahe. Er führte uns ins Straßburger Münster mit seinen grandiosen gotischen Skulpturen und den wunderbar leuchtenden Fenstern. In der Stadt konnten wir die mit beeindruckenden Schnitzereien versehenen und renovierten Fachwerkhäuser bewundern.


Empfang durch die Stadt Straßburg

Der Abschluss des Besuchsprogramms bildete ein Empfang durch die Stadtverwaltung. Im alten Rathaus trafen wir uns in einem mit einem großen Gobelin, mit Spiegeln und Kronleuchtern geschmückten Raum, bei elsässischem Wein und Gugelhupf. Herzlich begrüßt wurden wir vom Stadtrat Herrn Michaël Schmidt. In seiner Rede stellte er den Beitrag der Straßburger Stadtverwaltung für die Ansiedlung der europäischen Institutionen heraus, getragen von dem Wunsch, nach der wechselvollen und schmerzlichen Geschichte Straßburgs sich für die europäische Einigung, für die französisch-deutsche Freundschaft, für den Frieden in Europa zu engagieren. So hatte die Stadtverwaltung schon früh die erforderlichen Grundstücke auf eigene Kosten erworben. Völkerrechtlich stehen die europäischen Institutionen auf exterritorialem Gebiet. Aber wie alle großen Ideen ein konkretes, pragmatisches Handeln erfordern, so konnte er stolz auf die am übernächsten Tag anstehende Eröffnung der ersten, eine europäische Grenze überschreitenden und städteverbindenden Straßenbahn verweisen, nämlich der neuen Straßenbahn von Straßburg nach Kehl.

Elsässische Küche – ein Genuß

Unser Aufenthalt in Straßburg wurde – im doppelten Wortsinn – garniert durch die köstlichen wie gemütlichen elsässischen Restaurants, mit elsässischen Traditionsnamen, wie etwa “Im Schnockeloch”. Jeweils mittags und abends genossen wir, in meist uriger Atmosphäre, typisch elsässische Gerichte. Da war es gut, den Rat von Michel Schirck zu beherzigen, sich doch eher auf die französischen Essgewohnheiten einzustellen und das Frühstück nicht nach deutscher Gewohnheit ganz so üppig ausfallen zu lassen.

Und was ist das Ergebnis dieser Reise?

Die Idee eines gemeinsamen Europas ist in den europäischen Institutionen tägliche Realität. Sie bereichert und vereinfacht den Alltag der Menschen Europas, sie schützt ihre demokratischen Freiheitsrechte, ihre Reisefreiheit, das friedliche Miteinander. Dies ist nicht selbstverständlich gegeben, sondern muss in großen und kleinen, manchmal hartnäckigen Aushandlungen immer wieder neu errungen werden. Dies nicht nur abstrakt zu wissen, sondern konkret vor Ort zu erfahren, sich auch mit notwendiger Kritik konstruktiv auseinander zu setzen, dies in der Gruppe in verschiedenen Runden zu diskutieren, war der große Gewinn dieser Reise – einer Erfahrung, die bei den aktuellen Auseinandersetzungen um den Fortbestand der Europäischen Union so wichtig ist – und zu eigenem Engagement für die Zukunft eines geeinten Europas ermuntert.