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S-Bahn-Chaos

BerlinerInnen haben die Nase voll, wenn sie an die S-Bahn denken, mal wieder - bei eisiger Kälte - auf dem Bahnsteig stehen und warten. Wir alle erleben hautnah, was passiert, wenn Unternehmen der Daseinsvorsorge sich zu sehr als „privatwirtschaftliches Unternehmen“ mit Richtung Börsengang verstehen. Der Bund als Eigentümer der DB AG muss seine Gemeinwohlorientierung stärken. Wir Berlinerinnen und Berliner wollen die S-Bahn als Rückgrat unseres ÖPNV-Systems. Erbracht wird derzeit aber nur eine schlechte Leistung. Ich finde, dass uns Kundinnen und Kunden für die vielen Beeinträchtigungen eine Entschädigung gebührt - bloße Entschuldigungen der S-Bahn-GmbH, Tochterunternehmen der DB AG, nehme ich gerne gratis dazu. Erstmal ist meine Stimmung nämlich die, dass ich der Bahn so ohne weiteres gar nichts mehr glaube.

 Gewinne (56,3 Mio. Euro in 2008) der S-Bahn wurden offenbar mit Einsparungen bei Wartung, Personal und Investitionen in Schienen und Fahrzeuge ermöglicht. So geht es auf keinen Fall weiter. Schließlich war das Verkehrsangebot der S-Bahn bei Unterzeichnung des S-Bahn-Vertrages 2004 qualitativ hochwertig und verlässlich. Jetzt hilft wirklich nur noch eins: Druck! Die DG AG muss sich darauf einstellen, dass sie in Berlin keine bequeme Monopolstellung mehr hat. Ich will Wettbewerb.

 Wegen der Besonderheiten des Berliner S-Bahnnetzes und technischer Ausführungen der Fahrzeuge braucht jeder neue Betreiber eine jahrelange Vorbereitungszeit um eine eigene Fahrzeugflotte aufzubauen. Die in Berlin eingesetzten Fahrzeuge müssen extra entwickelt werden, sie sind nicht „von der Stange“ zu kaufen. Aber warum soll das Netz der S-Bahn nicht mehrere Betreiber haben? Das Land wird dafür sorgen, dass diese reibungslos zusammenarbeiten.

 Ob nun die BVG ggf. im Rahmen einer Beauftragung Teile des S-Bahnnetzes betreiben soll oder das Land Berlin die gesamte S-Bahn GmbH erwirbt - jede Überlegung ist gut, die der DB AG zeigt, dass auch andere Möglichkeiten existieren. Auf jeden Fall sind Neuverhandlungen der Verträge nötig. Deshalb finde ich es gut, was Ingeborg Junge-Reyer macht.

 In jedem Fall ist die S-Bahn ein wichtiger Bestandteil des Berliner Nahverkehrs und muss wieder „in die Spur“ gebracht werden. Dieser Aufgabe können sich weder die S-Bahn-GmbH noch die Berliner Verantwortlichen entziehen, denn ein gutes Verkehrsnetz ist auch für das wirtschaftliche Funktionieren Berlins lebenswichtig.

„Vorgaben“ des Kapitalmarktes und der Gewinnmaximierung sind die derzeitigen Orientierungspunkte der DB AG, an denen sich auch die Tochtergesellschaften zu orientieren haben. Ich denke, die Belange des Allgemeinwohls müssen wieder stärker in den Vordergrund treten. Deshalb sollte der öffentliche Einfluss auf die DB AG durch den Bund als Haupt-Eigentümer gestärkt werden. Der Bund muss sich seiner Rolle bewusst werden. Er muss verkehrspolitische Zielsetzungen zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes definieren.

Kolumne von Mechthild Rawert im Tempelhofer Journal, Ausgabe Januar/Februar 2010