Die am 15. März ins Casino des Rathaus Schöneberg strömenden Frauen waren so zahlreich, dass die Stühle zunächst nicht ausreichten. Sie kamen, um sich gegen eine der zentralen Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft zu stellen: Frauen verdienen für gleiche und gleichwertige Arbeit weniger als Männer. Die Frauen kamen, um Druck auf die Politik hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit auszuüben und um sich zu informieren, mit welchen Maßnahmen die Ungerechtigkeit des geschlechtsspezifischen Lohngefälles abgebaut werden könne. Der Gender Pay Gap hat Auswirkungen auf das gesamte Frauenleben: Aus 23 Prozent weniger Gehalt oder Lohn resultiert eine Rentenlücke von 59 Prozent zu Lasten der Frauen, resultiert Frauenaltersarmut. Die Anwesenden forderten ein diskriminierungsfreies Entgelt, forderten „Gleiches Geld für gleiche und gleichwertige Arbeit“, forderten ein Entgeltgleichheitsgesetz.
Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern ist eine der zentralen Machtfragen unserer Gesellschaft. Längst wird diese Machtfrage nicht mehr nur diskutiert als eine „ökonomische Beziehungsfrage“ zwischen Frauen und Männern auf der Basis der tradierten kulturellen Rollenbilder Männer sind die erwerbstätigen Haupternährer, Frauen sind die Familienfrauen und verdienen dazu, die einen arbeiten für Geld, die anderen aus Liebe. Im Zeitalter einer neuen Dienstleistungskultur ist diese Machtfrage verwoben mit der von Berufen und Branchen, mensch spricht von geschlechtersegregierten Arbeitsmärkten, von Frauen- und von Männerberufen.
Mich interessierte die von Ursula Hasecke, Frauenbeauftragte des Bezirksamtes Tempelhof-Schöneberg, im Rahmen des Tempelhof-Schöneberger Frauenmärz organisierte Veranstaltung sehr, da SPD-, insbesondere ASF-Frauen seit Jahren an diesem politisch dickem Brett der Macht bohren. Im März 2011 hat die SPD-Bundestagsfraktion Eckpunkte für ein Entgeltgleichheitsgesetz vorgelegt. Am 23. März 2012 wird der Deutsche Bundestag - voraussichtlich gegen 13.00 Uhr - über den Antrag SPD „Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen gesetzlich durchsetzen“ debattieren. Unser Gesetzentwurf zum Entgeltgleichheitsgesetz soll im Mai 2012 eingebracht werden.
Gender Pay Gap
Die Veranstaltung „Verdienen Sie, was Sie verdienen? Frauen verdienen mehr!“ wurde von Dr. Simone Real, Referentin für Frauen- und Familienpolitik im Sozialverband Deutschland e.V., moderiert, hochkarätige Referentinnen informierten über Modelle des Abbaus von Entgeltungleichheit.
In ihrer Begrüßung verwies Angelika Schöttler, Bezirksbürgermeisterin Tempelhof-Schöneberg, darauf, dass der Gender Pay Gap - die prozentuale Differenz zwischen dem durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von Männern und Frauen - im Öffentlichen Dienst mit sieben Prozent zwar wesentlich geringer ist als die 23 Prozent in der Privatwirtschaft. Trotzdem ist aber dennoch beschämend und für alle ein Verlust: ein „Verlust am Gleichstellungsgebot und ein Verlust an Lebensqualität für die Frauen und ihrer Kinder“. Es ist an der Zeit, die richtigen Akteure zusammenzubringen, Tarifverträge entsprechend auszugestalten. Eine Forderung, die später von Andrea Kühnemann, Vorsitzende des Personalrates des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg, mit Nachdruck unterstützt wurde. Die öffentliche Verwaltung muss zum diskriminierungsfreien Raum und somit zum gesellschaftlichen Vorbild werden.
Lohnfindung - welche Akteure gestalten den Prozess?
Ausgewiesene Expertinnen informierten mit Beiträgen, die sich durch hohen Praxisbezug auszeichneten: Hannelore Buls hielt für das aus vielfältigen Verbänden bestehende Equal-Pay-Day-Forum in Berlin ( www.equalpayday.de ) das Einführungsreferat “Lohnfindung - welche Akteure gestalten den Prozess?“. Ursachen der Lohnlücke zwischen den Gehältern der Männer bzw. der Frauen sind u.a. Teilzeit, Rollenstereotype, offene und versteckte Diskriminierungen. Frauen fehlen in bestimmten Berufen, Familienarbeit wird noch immer vorrangig Frauen zugeschrieben, wobei diese den Lohnschock häufig nicht mehr in jungen Jahren sondern beim Wiedereinstieg in den Beruf erfahren. Frauen(erwerbs)arbeit wird anders bewertet als Männerarbeit. Besonders heikel und perfide ist, dass die bestehende Lohnlücke von 23 Prozent zur Rentenlücke von 59 Prozent wird. Die Rente als Spiegel des Erwerbsleben zeigt sehr deutlich, dass eine Diskriminierung vorliegt.
Heutzutage fallen nicht einmal mehr 50 Prozent der Unternehmen unter allgemeinverbindliche Tarifverträge. Ein Desaster ist auch die Zunahme von Minijobs. So beschäftigt der Discounter Netto, der zum Edeka-Konzern gehört, 64.000 Beschäftigte, davon 30.000 MinijobberInnen, zumeist Minijobberinnen. Hannelore Buls rechnete vor, dass sich diese Personal- und Lohnpolitik für niemandem außer dem Unternehmen selbst rechne: Das Unternehmen gewinnt 38 Millionen Euro jährlich, die Beschäftigten verlieren, da nicht gemäß Tarif bezahlt, 39 Millionen Euro und den Sozialversicherungen werden 30 Millionen Euro vorenthalten. Minijobs sind für die Unternehmen ideale Beschäftigungsformen, um Unternehmensgewinne zu erzielen: An den sieben Millionen MinijobberInnen - 70 Prozent sind Frauen - verdienten die Unternehmen bundesweit jährlich fast 12 Milliarden Euro, den Beschäftigten werden damit Entgelte in Höhe von über 12 Milliarden Euro vorenthalten und den Sozialkassen über neun Milliarden Euro.
Wie können Frauen prüfen, ob sie gerecht entlohnt werden?
Dr. Karin Tondorf, freiberufliche Wissenschaftlerin und Beraterin, führte anhand praktischer Beispiele in das Prüfinstrument eg-check ein ( www.eg-check.de ). Nie! ist eine Frau individuell an ihrer Lohnlücke „schuld“. Es sind Vernebelungskerzen, wenn u.a. behauptet wird, frau hätte zu wenig gefordert, frau sei zu alt oder zu jung, etc. Solche Aussagen sind nur der Versuch, „Schuldzuweisungen“ zuzuweisen und zu individualisieren. Damit wird versucht, alle am sogenannten Modell der traditionellen männlichen Erwerbsbiographie zu messen. Schon heute sind über 13 Prozent Frauen die häufig alleinigen HauptverdienerInnen. Jede Arbeitnehmerin soll sich ihren Gehaltszettel genau anschauen und nach Diskriminierungsaspekten überprüfen. Die Gründe für die Lohnlücke sind für Frauen in Deutschland vielfältig. Ein Arbeitgeber darf diskriminierende Arbeitsverträge nicht anwenden. Frau Tondorf mahnte eine stärkere Politik der Antidiskriminierung an.
Diskriminierungsfreie Tarifverträge, Entgeltgleichheit, Frauengleichstellungspolitik
Alexa Wolfstädter kämpft als Mitglied der verdi-Bundesverwaltung seit Jahrzehnten um diskriminierungsfreie Tarifverträge, für Entgeltgleichheit und eine umfassende Frauengleichstellungspolitik. Ver.di hat in der Satzung unter § 5, Zweck, Aufgaben und Ziele als politische Ausrichtung die Realisierung der Gleichstellung von Männern und Frauen verankert und zur Erreichung dieses Zieles im Absatz f) die „Verwirklichung der Geschlechterdemokratie und die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen in Betrieb, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, auch unter Anwendung des Gender Mainstreaming“ postuliert. Zu ihrem sehr großen Bedauern haben es die Arbeitgeber bis jetzt immer abgelehnt, über eine diskriminierungsfreie Eingruppierungssystematik zu verhandeln. Deswegen ist es (noch) nicht möglich, auf einen diesbezüglich erfolgreichen Tarifvertrag, Tarifabschluss zu verweisen. Auch sie verwies auf das Anwachsen des Niedriglohnsektors, der die Gefahr einer Lohnspirale nach unten bedeutet. Sie forderte einen aktuelisierten Einkommensbericht, der letzte stammt von 2001, und fundiertes Datenmaterial zu Branchen und Unternehmen. Es bedarf umfassender poltische Gesamtstrategien. „Frauenpolitik muss weiterhin Motor sein“!
Beruf trifft auf Realität - dargestellt am Beispiel eines von Frauen dominierten Berufes
Margret Urban vom Verband der medizinischen Fachberufe e.V., unabhängige Gewerkschaft und Interessenvertretung der Medizinischen, Zahnmedizinischen und Tiermedizinischen Fachangestellten sowie angestellter Zahntechniker/innen, setzt sich ein für die gesellschaftliche Anerkennung und leistungsgerechte Vergütung dieser dualen Berufe. Sie verweist darauf, dass junge Frauen ihre Berufswahl noch immer auf „nur“ 12 Berufe orientieren. Über die Motive zur Berufswahl informiert sie anhand der neuesten Untersuchung „Berufsorientierung - Wie orientieren sich Jugendliche beruflich?“ von Angelika Puhlmann, BIBB. Nach wie vor gibt es einen geschlechtersegregierten Arbeitsmarkt: Laut Statistischem Bundesamt sind von den 840.000 Gesundheits- und KrankenpflegerInnen 710.000 und von den 531.000 AltenpflegerInnen 454.000 weiblich. Auch bei jungen Frauen spielt die Höhe des erwartbaren Erwerbseinkommen eine zunehmend größere Rolle. Für medizinische Fachberufe gilt immer häufiger, dass die BerufsabsolventInnen nach der Ausbildung verstärkt in andere Felder als in die ärztlichen Kleinbetriebe gingen, vor allem weil sie dort mehr Geld verdienen. „PatientInnen zu verwalten bringt mehr Geld als vor Ort Hand anzulegen“. Ironisch skizziert sie ihren Berufsstand mit „Wir sind das Selbstverständnis und werden nicht gesehen“. Ironisch verwies sie auf die gesetzlich festgelegte Pfändungsgrenze. Einige der Medizinischen Fachangestellten würden gerade mal zu diesen entsprechenden Nettolohnen beschäftigt. Hier sieht sie eine drängende politische Herausforderung für u.a. Politik und Tarifpartner zur Aufwertung der „Frauenberufe“.
Rege politische Diskussion - Frauen organisiert euch!
Die anschließende Diskussion war lebendig und rege, zeigte aber noch mal auf:
- Es gibt keinen verhandelten Tarifvertrag, der die Forderungen nach Diskriminierungsfreiheit erfüllt.
- Gefordert wird eine Verbandsklage.
- Je weniger prekär die Arbeitsverträge sind, desto ehr trauen sich Menschen, für die eigenen Rechte auch einzutreten. Die Zunahme von prekärer Beschäftigung, von Niedriglohnjobs birgt dagegen die Gefahr, dass Menschen zunehmend rechtloser werden, z.B. auch die 220.000 in Privathaushalten angestellten Menschen - weitere zwei Millionen arbeiten dort völlig ohne Sozialversicherungsschutz à la netto gleich brutto.
- Es bedarf dringend neuer und zusätzlicher Kriterien für die Entgeltgruppen, damit die von Frauen geleistete Arbeit besser abgebildet und damit auch bewertet wird.
- Frauen müssen sich mehr mobilisieren - mehr solidarisieren - mehr vernetzen, müssen auch öffentlich stärker für ihre Interessen eintreten.
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert ein Entgeltgleichheitsgesetz
In der Diskussion konnte ich darauf verweisen: Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits 2011 Eckpunkte für ein Entgeltgleichheitsgesetz beschlossen ( http://www.spdfraktion.de/cnt/rs/rs_datei/0,,14379,00.pdf ). Wir wollen im Mai 2012 einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einbringen. Die Zeiten der geschlechtsbedingten Diskriminierung müssen in Deutschland endlich vorbei sein.
An rechtlichen Anspruchslagen mangelt es nicht; das Grundgesetz, der EU-Vertrag und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) erklären eine Ungleichbehandlung der Geschlechter für unzulässig. Das Problem liegt in der Durchsetzung der individuellen Ansprüche.
Rechtlich ist bereits heute eine Benachteiligung beklagbar, denn laut § 2 I Nr. 2 AGG ist eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts unzulässig. Der Weg einer Individualklage wird von den Frauen allerdings selbst bei starkem Verdacht, diskriminiert zu werden, aus Angst vor Arbeitsplatzverlust selten beschreiten. Wir fordern daher ein Verbandsklagerecht.
Um wirksam zu sein, soll unser Entgeltgleichheitsgesetz folgende drei Kriterien erfüllen:
1. Es muss zu Transparenz über die Entlohnung führen.
Über Löhne darf gesprochen werden. Zuerst verpflichten wir die Unternehmen zur Erstellung von Entgeltberichten. Das schafft die notwendige Transparenz über die betriebliche Bezahlung. Die Antidiskriminierungsstelle prüft diese Berichte auf Diskriminierung.
2. Bei Entgeltungleichheit muss es einen Prozess zur Beseitigung der Lohndifferenz einleiten und festlegen.
Im Fall von Verdachtsmomenten muss eine zweite, detaillierte Prüfung sie bestätigen oder ausräumen. Diese Prüfung können die Tarifvertragsparteien, Betriebs- oder Personalräte und Antidiskriminierungsverbände vornehmen. Wird Entgeltdiskriminierung festgestellt, wird ein verbindlicher Prozess zu ihrer Beseitigung in Gang gesetzt. Zunächst sollen die Arbeitgeber beziehungsweise die Tarifvertragsparteien dazu verpflichtet werden, selbst, unter Beteiligung von Arbeitnehmervertreter/innen, für diskriminierungsfreie Entgeltsysteme zu sorgen.
3. Es muss Instrumente der Kontrolle und Durchsetzbarkeit von Lohngleichheit enthalten.
Bleiben die Unternehmen untätig, zwingen wir sie zur Beseitigung der Entgeltdiskriminierung. Dafür wollen wir unser Gesetz mit verbindlichen Pflichten, Fristen und Sanktionen ausstatten. Außerdem weisen wir zivilgesellschaftlichen Akteuren wie den Tarifvertragsparteien, Betriebs- und Personalräten, Beschäftigten und auch Antidiskriminierungsverbänden starke Kontroll- und Einwirkungsrechte zu.
Grundlagen dieses Gesetzentwurfes sind in der Querschnittsarbeitsgruppe Gleichstellung der SPD-Bundestagsfraktion, deren stellv. Sprecherin ich bin, erarbeitet worden. Im Gegensatz zur schwarz-gelben Bundesregierung sind wir überzeugt: Jegliche Form der freiwilligen Selbstverpflichtung hat sich als wirkungslos erwiesen. Wir brauchen endlich Gesetze, um eine Politik der Anti-Diskriminierung und der Aufwertung der sogenannten Frauen-Berufe voranzutreiben. Nicht Worte sondern Taten sind gefragt.