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Gedenkfeier für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

Am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Berliner Tiergarten wurde am 23. Juni im Rahmen einer Gedenkstunde der im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Homosexuellen erinnert. Es nahmen partei- und fraktionsübergreifend wieder zahlreiche PolitikerInnen aus dem Deutschen Bundestag, dem Abgeordnetenhaus zu Berlin, Dilek Kolat, Senatorin für Arbeit, Integration, Frauen, für den Berliner Senat, und Jan Stöß für die Berliner SPD teil. Meinerseits wurde ein Kranz zum Gedenken niedergelegt.

Die Redner erinnerten an die während und auch nach dem Ende der Nazi-Diktatur noch lange bestehende rechtliche Diskriminierung und Verfolgung von Schwulen und Lesben. Die Verfolgungspraxis der Nationalsozialisten gegenüber homosexuellen Männern und homosexuellen Frauen war sehr unterschiedlich. Die im Nationalsozialismus verschärften Strafbestimmungen bezogen sich ausdrücklich auf die männliche homosexuelle Sexualität. 1935 hatten die Nationalsozialisten den § 175 StGB verschärft und die Haftstrafe auf fünf Jahre hochgesetzt. Damit begannen massive Verfolgungen und Ermordungen, die für viele Schwule in den Konzentrationslagern endete: So wurden etwa 100.000 homosexuelle Männer polizeilich erfasst und 50.000 nach § 175 verurteilt. Nach der Verbüßung ihrer Haftstrafen wurden etwa 10.000 homosexuelle Männer in Konzentrationslager verschleppt, von denen rund die Hälfte nicht überlebte. Aber auch lesbische Frauen wurden in ihren Freiheitsrechten während des Nationalsozialismus eingeschränkt.

Lesbische Frauen im Nationalsozialismus
Für mich besonders berührend und informativ war die Rede von Bodo Niendel, Vorstandsmitglied beim Berliner CSD e.V. Er verwies - für mich erstmals öffentlich - darauf, dass nicht nur schwule Männer sondern auch lesbische Frauen im Nationalsozialismus gelitten haben. Damit erfahren lesbische Frauen, gegen den jahrelangen Widerstand vieler organisierter schwuler Männer, eine späte historische Anerkennung ihrer Diskriminierungen und Leiden. Bodo Niendel verwies darauf, dass die Bundesstiftung Magnus-Hirschfeld in der Erforschung der Lebensschicksale lesbischer Frauen im Nationalsozialismus ein Forschungsfeld sehe.

In Erinnerung geblieben ist mir dabei eine im Festsaal des Rathauses Charlottenburg abgehaltene Veranstaltung. Diese fand vor Baubeginn des Mahnmals im Januar 2007 unter der Schirmherrschaft des damaligen Bezirksstadtrat Reinhard Naumann - heute Bürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf - statt. Dabei handelte es sich um eine Podiumsdiskussion u.a. mit Claudia Schoppmann, Historikerin und Expertin in der Lesbenforschung zum Nationalsozialismus, Maren Kroymann, Schaupielerin, und mir. Desweiteren waren Vertreter der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft und der Initiative Queer Nations sowie des Bundesvorstandes LSVD und vom Initiatorenkreis des Mahnmals zum Andenkens für die schwulen Opfer des Nationalsozialismus anwesend. Damals wurde darüber diskutiert, ob dem politischen Auftrag des Deutschen Bundestages, die verfolgten und ermordeten Opfer zu ehren, die Erinnerung an das Unrecht wach zu halten und ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben zu setzen, Genüge getan sei, wenn dieses Mahnmal ausschließlich schwulen Männern gewidmet sei. Der Streit war damals aufgrund des preisgekrönten Entwurfs der Künstler Michael Elmgreen und Ingar Dragset erneut hochgefacht, die den Wettbewerb mit einer dem Holocauststelenfeld ähnlichen Plastik gewonnen hatten, wo in einem Guckloch zwei einander küssende Männer gezeigt wurden. Ihrer Meinung nach sollte es ein Mahnmal für schwule NS-Opfer werden und darüber hinaus ein in die Zukunft weisendes Zeichen gegen die Diskriminierung von Lesben und Schwulen setzen. Gegen diese nachträgliche Unsichtbarmachung und Tabuisierung lesbischen Lebens haben sich viele homo- und heterosexuelle Frauen verwehrt. Deshalb war meine Freude groß, die Botschaft von Bodo Niendel zu hören.

Diese Gedenkstunde wird vom Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) und der Berliner CSD e.V. zusammen mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas jeweils im Vorfeld der Parade zum Christopher Street Day organisiert.

Gedenkort für Hilde Radusch, eine verfolgte lesbische Frau
Aufgrund des inhaltlichen Zusammenhanges möchte ich auf eine Ehrung verweisen, an der ich selber nicht teilgenommen habe: Ich freue mich, dass am Wohnort von Hilde Radusch, Eisenacher Straße Ecke Winterfeldtstraße, der erste Berliner Gedenkort für eine während der Nazizeit verfolgte lesbische Frau entstanden ist. Am Freitag, 21. Juni, enthüllte Bürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) mit den Initiatorinnen "Miss Marples Schwestern. Netzwerk zur Frauengeschichte vor Ort" drei Emaille-Tafeln. Hilde Radusch war 1933 von den Nazis für fünf Monate inhaftiert worden. Danach tauchte sie unter, überlebte die NS-Zeit und widmete sich bis zu ihrem Tod 1994 der Frauen- und Lesbenbewegung.

Noch ist die Forschung zum Leben von Lesben im Nationalsozialismus nicht sehr umfangreich. Seit Mitte der siebziger Jahre beschäftigt sich damit die Berlinerin Ilse Kokula, Forscherin, Autorin und LGBT-Aktivistin, die Interviews mit lesbischen Zeitzeuginnen durchführte und dokumentierte. Auch die Historikerin Claudia Schoppmann engagiert sich seit den 80er Jahren mit der umfangreichen wissenschaftlichen Aufarbeitung dieser Thematik und hat mit ihrer Veröffentlichung „Nationalsozialistische Sexualpolitik und weibliche Homosexualität“ ein Standardwerk geschaffen. Sie stellt die Geschlechtsspezifik der nationalsozialistischen Homosexuellenpolitik dar und zeigt auf, dass für lesbische Frauen die nationalsozialistische Frauenpolitik wesentlich stärker lebensbestimmend war als die nationalsozialistische Homosexuellenpolitik. Eine jüdische Lesbe wurde nicht verfolgt, weil sie Lesbe war, sondern weil sie Jüdin war. Mit der Durchsetzung ihrer völkischen Frauenpolitik verbunden war die Zerschlagung der damals starken Frauenbewegung.

Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld versteht sich nach eigenen Angaben als wissenschaftliche Impulsgeberin für die Erforschung geschichtlicher Zusammenhänge und aktueller Entwicklungen hinsichtlich der Diskriminierung und Verfolgung sowie des Alltags von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, Trans- und Intersexuellen. Ich bin dankbar, dass Bildung und Forschung die wichtigen zwei Säulen ihrer Aktivitäten darstellen. Dabei setzt sie Akzente auf drei Forschungsperspektiven zur LSBTTI-Community: Geschichte, Diversität und Intersektionaliät.