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„Ein ganz normales Leben führen“

Endlich wurde es wahr: Meine vor einem Jahr ausgesprochene Einladung an junge Roma und Sinti und an VertreterInnen des Vereins südost Europa Kultur e.V. zu einer Führung durch das Reichstagsgebäude und einem ausführlichen Gespräch mit mir wurde am 22. Juni eingelöst. Eine der TeilnehmerInnen feierte an diesem Tag ihren 18. Geburtstag. Daraufhin habe ich die ganze Gruppe zu einem gemeinsamen Theaterbesuch im „Rroma Aether Klub Theater“ in Neukölln eingeladen. Ich freue mich schon auf unser Wiedersehen.

Die mit mir diskutierenden jungen Menschen wollen nur eines: „ein ganz normales Leben führen“. Sie wollen Schul- und Bildungsabschlüsse machen, wollen eine Ausbildung absolvieren, wollen ihre Frau bzw. ihren Mann im Leben stehen, wollen einen Arbeitsplatz, wollen Bäcker oder Krankenschwester werden, wollen Familie und Freunde und Freundinnen um sich haben. Also alles ganz „normal“ für junge Menschen.

Nicht so „normal“ sind allerdings ihre Lebensbiografien: Einige sind in Berlin geboren aber von den Eltern für einige Jahre wieder zurückgebracht worden in die „Bergdörfer Ex-Jugoslawiens“ mit der individuellen Konsequenz: Es war nicht möglich, einen Schulabschluss mit deutscher Anerkennung zu erwerben, was nun zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz führt. Nicht vergleichbar mit den Lebensbiografien der allermeisten jungen Berlinerinnen und Berliner sind auch ihre bisherigen Lebenserfahrungen. Diejenigen, die zusammen mit ihren Eltern oder als unbegleitete Minderjährige nach Deutschland geflohen sind, haben in ihren zumeist südosteuropäischen Herkunftsländern schon vielfältige Ausgrenzungen, ein Leben am Rande der Gesellschaft erlebt. Mit einer Flucht nach Deutschland ist wiederum ein Leben mit befristeten Duldungen verbunden, ohne Arbeitserlaubnis, ohne Recht auf Sprach- und Integrationskurse und somit häufig ohne Voraussetzungen, um ein Bleiberecht in Deutschland zu beantragen. Roma-Flüchtlinge müssen jederzeit mit einer Abschiebung aus Deutschland rechnen. So beschreibt ein junger, aktzentfrei sprechender junger Mann sein Unverständnis darüber, dass doch in Deutschland ständig vom Fachkräftemangel gesprochen würde, er es aber enorm schwer habe, Abschlüsse machen zu dürfen.

Wer sich näher informieren will über das Schicksal und die Situation von aus Deutschland abgeschobenen und rückgeführten Kindern kann sich in der neuen UNICEF-Studie "Stilles Leid" informieren:
http://www.unicef.de/projekte/themen/kinderrechte/roma-kinder-aus-dem-kosovo/unicef-studie-stilles-leid/

Gleichberechtigter Zugang zur Gesundheitsversorgung
Viele der TeilnehmerInnen benannten Probleme mit dem Zugang zum hiesigen Gesundheitswesen. Da die Fragen so vielfältig wurden, haben wir vereinbart, dass die Gruppe alle Fragen aufschreibt und ich sie dann später detaillierter beantworte.

Mir, aber bedeutsamer noch den Berliner Verwaltungen auf Landes- und Bezirksebene, sind riesige Probleme gerade beim Zugang zum Gesundheitswesen bekannt. So fehlt aktuell den Bezirken häufig das Geld, um die Impfung neu zugewanderter Kinder zu gewährleisten. Ein Großteil vor allem der ZuwandererInnen aus den neuen EU-Mitgliedstaaten Bulgarien und Rumänien - viele davon Roma sind nicht krankenversichert, viele von ihnen bereits in ihren Herkunftsländern nicht. Dies vergrößert den Bedarf an Gesundheitsversorgung allerdings noch, da sie häufig schon vor der Ankunft unter Problemen litten, beispielsweise infolge unbehandelter Krankheiten oder fehlender Nachsorge nach Unfällen im Herkunftsland.

Soziale Integration gewährleisten
Einige SPD-Bundestagsabgeordnete haben sich zu einer fraktionsinternen Arbeitsgruppe zusammengeschlossen, um gegen strukturelle Diskriminierung vorzugehen und einen Ausbau von Maßnahmen zur sozialen Eingliederung zu entwickeln. Dieser Arbeitsgruppe gehöre auch ich an.

Der SPD-Bundestagsfraktion ist bewusst, dass Roma in ganz Europa nach wie vor vielfältiger Diskriminierungen und Benachteiligungen ausgesetzt sind - so auch in Deutschland. Wir haben deshalb die Bundesregierung aufgefordert, die Europäische Kommission bei der Umsetzung des „EU-Rahmens für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020“ zu unterstützen und in enger Kooperation mit den Dachverbänden der Sinti und Roma eine nationale Strategie zu entwickeln, welche die vier Kernbereiche Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsfürsorge und Wohnraum abdeckt. Wir fordern auch, dass von der Abschiebung besonders schutzbedürftiger Roma bis auf weiteres abgesehen wird.

Es gibt seit 2009 einen vermehrten Zuzug von Roma nach Berlin, darunter viele, die sich niederlassen wollen. Seit 2010/2011 gibt es darüber hinaus auch einen vermehrten Zuzug von Roma-Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Der Senat stellt sich mit zahlreichen Maßnahmen den damit verbundenen teils bekannten, teils neuen Herausforderungen. Ich begrüße es sehr, dass seitens des Senats ein Mitteilungsblatt „Roma und europäische Wanderarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer: Rechtsgrundlagen zu Aufenthalt und Bildung sowie Kontaktstellen“ existiert, welches MitarbeiterInnen der Verwaltungen aufklärt und auf die rechtlichen Gegebenheiten hinweist. Häufig sind „BehördenmitarbeiterInnen“ die ersten Personen, die durch ihr Auftreten deutlich machen, ob in Deutschland eine wirkliche Willkommens- und Anerkennungskultur gelebt wird. Das Infoblatt kann hier heruntergeladen werden:
https://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bildung/foerderung/sprachfoerderung/fachinfo/informationsblatt_wanderarbeiter.pdf?start&ts=1340051873&file=informationsblatt_wanderarbeiter.pdf

Weiterhin fand am 17. April eine Fachtagung zur Unterstützung von Roma und zum Aufbau von Selbsthilfestrukturen statt, auf der der Staatssekretär Farhad Dilmaghani einige Maßnahmen und Vorhaben des Senatsprogramm zur Stärkung der Roma-Community in Berlin vorstellte. Auch hier geht es um Zugänge für Roma zu Arbeit, Bildung, Gesundheit und Wohnen. Die Rede von Herrn Staatssekretär Farhad Dilmaghani anlässlich der Fachtagung zur Entwicklung von Strategien zur Stärkung der Roma-Community finden Sie hier:
http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-aif/termineundreden/redenundinterviews/roma_tagung_gru__wort_sts_d_17_4_.pdf?start&ts=1334833848&file=roma_tagung_gru__wort_sts_d_17_4_.pdf

südost Europa Kultur e.V.
Die an der Reichstagsführung und am Gespräch mit mir teilnehmenden jungen Menschen nehmen an einer beruflichen Orientierungsmaßnahme zur besseren Integration in den Arbeitsmarkt teil. Zusammen mit anderen Bildungsträgern führt südost Europa Kultur e.V. mehrere Maßnahmen gegen Ausgrenzung und Diskriminierung vor. So auch das seit dem 01.12. 2011 bis Ende 2013 laufende Modellprojekt „Maßnahmen zur Stärkung der Roma-Community in Berlin“. Mit diesem Projekt soll der Zugang zu Roma-Familien verbessert werden. Angeboten werden Alphabetisierungskurse und aufsuchende Sozialarbeit. Zusammen mit muttersprachlichen SozialarbeiterInnen sollen Selbsthilfe-Strukturen aufgebaut werden. Kooperationen gibt es u.a. auch mit dem auch in Schöneberg tätigen Verein Gangway e.V.

Das Leitbild des Vereins ist: „südost Europa Kultur e.V. verbindet psycho-soziale Arbeit, kulturelle Aktivitäten und gesellschaftliches Engagement zu einem Gesamtkonzept. Wir stehen für Integration durch Beratung, Betreuung, Bildung und Beschäftigung. Tief verbunden fühlen wir uns Flüchtlingen, die der besonderen Unterstützung bedürfen. Wir sehen uns der Förderung von Völkerverständigung, Frieden und Demokratie verpflichtet und unsere Arbeit richtet sich explizit gegen Nationalismus, Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art.“

Diese Haltung war auch sehr spürbar beim gemeinsamen Gespräch im Paul-Löbe-Haus. Ich danke für die Solidarität, die Menschen in Not durch die MitarbeiterInnen von südost Europa Kultur e.V. erfahren.